Sechs Koffer

Sechs Koffer

CD-Audio
3.88
WestSowjetunionGeheimnisFlucht

By using these links, you support READO. We receive an affiliate commission without any additional costs to you.

Description

Ein Gerücht, dessen böse Kraft bis in die Gegenwart reicht
Eine russisch-jüdische Familie flieht von Ost nach West, von Moskau über Prag nach Hamburg und Zürich. Der Großvater des inzwischen in Berlin lebenden Erzählers wurde Opfer eines großen Verrats, einer Denunziation, und 1960 in der Sowjetunion hingerichtet. Unter Verdacht: die eigene Verwandtschaft. Eine Erzählung über sowjetische Geheimdienstakten, über das tschechische Kino der Nachkriegszeit, vergiftete Liebesbeziehungen und die Machenschaften sexsüchtiger Kultur-Apparatschiks – und zugleich über das Leben hier und heute, über unsere moderne, globalisierte Welt, in der fast niemand mehr dort zuhause ist, wo er geboren wurde und aufwuchs.

Main Genre
Novels
Sub Genre
Generational Novels
Format
CD-Audio
Pages
N/A
Price
19.95 €

Author Description

Maxim Biller, geboren 1960 in Prag, lebt seit 1970 in Deutschland. Seine Bücher wurden insgesamt in 16 Sprachen übersetzt. Sein Bestseller Sechs Koffer stand auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2018.

Posts

7
All
4

Maxim Biller ist mir schon immer etwas unheimlich. Positiv könnte man ihn als streitlustig und engagiert charakterisieren, aber ich empfand ihn stets als aggressiv, polemisch und anklagend. Daher hatte ich bislang um ihn einen Bogen gemacht, doch die Tatsache, dass sein neuestes Buch vom Feuilleton gefeiert und auf die Shortlist gehoben wurde, weckte meine Neugier. Ich war gespannt, wie ein Roman eines so scharfen Kritikers aussehen würde, der nicht zimperlich mit seinen Autorenkollegen umgeht. Also las ich meinen ersten Biller-Roman und kam auf den ersten Seiten überhaupt nicht in die Erzählung. Wie in einer Kurzgeschichte wird man in die Familienchronik an einem sehr warmen Maitag im Jahr 1965 in Prag hineingeworfen. Ich hatte bewusst nichts über den Roman im Vorfeld gelesen und daher dauerte es eine Zeitlang, bis mir klar wurde, dass das wohl eine Autobiografie ist. Da sind Vater, Mutter, Schwester und der Ich-Erzähler zu erkennen, aber es tauchen gleich eine Unmenge an weiteren Namen auf, die man als nicht zu den Billers gehörender Leser nicht zuordnen kann. Der Autor ist nun auch kein Romancier, der seine Geschichte langsam aufbaut und den Leser an die Hand nimmt. Nach dem ersten Drittel hatte ich dann den mir hingeworfenen Scherbenhaufen aus Szenen, Namen und nebensächlichen Handlungen und Dialogen aber langsam sortiert und das Gefallen am Buch stieg. Vermeintlich geht es um die Leiche im Keller, die wohl jede Familie zu verbergen hat. Bei den Billers ist es ein Verrat, der den Großvater 1960 das Leben in Moskau kostete. Der Ich-Erzähler versucht sein Leben lang die Wahrheit hinter diesem Verrät aufzuspüren. Folglich dachte, es wäre eine Art Kriminalroman, doch welche Überraschung am Ende: es gibt keine Auflösung. Folglich war ich auch überrascht, als ich Maxim Biller in einem Interview nach der Lektüre sagen hörte, dass es absoluter Quatsch sei, dieses Buch als autobiografisch zu bezeichnen. Die Hälfte davon wäre Fiktion und er "wolle die Leser mit dem Buch verrückt machen, in dem er alles durcheinander bringe. Dagegen ist ein Eintopf nix". Das strahlt ja schon eine gewisse Arroganz aus und letztlich fühlte ich mich ein wenig, na ja verarscht wäre zu viel gesagt, aber zumindest durchgequirlt. Das hat den Lesespaß zunächst getrübt. Ich hatte mich wie gesagt über das Buch nicht informiert im Vorfeld und auch keine Rezensionen gelesen. Daher war ich über das Ende erst überrascht, aber dann doch nach einigem Reflektieren ziemlich fasziniert. Es geht eigentlich gar nicht um die Frage, wer der Täter war. Wenn ich an Biller im Literarischen Quartett zurück denke, wie er sich über die gängigen Romanstrukturen im Mainstream echauffierte, dann wäre ein übliches Ende auch nicht wirklich authentisch für ihn gewesen. Nur wenn es nicht um den Verrat ging, um was ging es dann? Warum hat Biller mir seine Familiengeschichte (egal ob jetzt real oder fiktiv) erzählt? Mich hat dieser Mischmasch während des Lesens erst sehr geärgert, bis ich mich fragte, warum eigentlich? Ungewöhnliche Erzählformen sind normalerweise genau mein Geschmack. Warum rege ich mich darüber auf, dass die Figuren sich nur sehr langsam entwickeln, dass die Dialoge oft kurz und belanglos sind, dass ich nicht weiß, was real und was Fiktion ist? Ich interpretiere es so (gerade mit dem Brecht-Zitat zu Beginn, nachdem der Pass der edelste Teil des Menschen ist), dass eine entwurzelte Familie wie die Billers, die sich über Russland, Tschechien und später nach Deutschland, Schweiz, Großbritannien und Brasilien verstreute, kein Heimatgefühl entwickeln kann. Es ist das Los der Vertriebenen, kein Vertrauen und keine Geborgenheit zu spüren und eine enorme physische und seelische Belastung auf sich zu nehmen. Und daher ist es auch völlig gleichgültig, wer den Großvater verraten hat. Die Tat als Solches hat die Familie in ihrer Zerrissenheit geprägt. Und dieses Misstrauen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern ist hervorragend sprachlich umgesetzt. Mal abgesehen davon, dass ich es nicht leiden kann, wenn ich erst Interviews mit einem Autor anschauen muss, um wesentliche Zusatzinformationen über sein Buch zu erhalten, muss ich sagen, dass ich seinen Erzählstil gerade in der zweiten Hälfte des Buchs sehr genossen habe. Das Buch ist dramaturgisch hervorragend aufgebaut und mit den sechs Koffern, die die sechs Blickwinkel von verschiedenen Familienmitgliedern symbolisieren, auch gut strukturiert. Ungewöhnlich ist auf jeden Fall die nicht chronologische Erzählweise, die aber für mich auch ein Beweis ist, dass es bei diesem Buch weniger um die fortlaufende Handlung geht. Absolut nervig war für mich nur die gezwungene Witzigkeit beim Vergessen des Namens des Freunds Miroslav oder Jaroslavs und die Sexbessenheit des Teenagers Maxim Biller, bei dem die Suche nach Indizien für die Verräterrolle des Onkels genauso einen großen Raum einnahm, wie die Suche nach den Pornoheften in dessen Wohnung in Zürich. Aufgrund der vielen Pros und Contras, schwankte ich zwischen 3-5 Sternen und entschied mich letztlich für den Mittelwert. Je länger ich über das Buch nachdenke umso besser hat es mir gefallen.

4

Maxim Biller ist mir schon immer etwas unheimlich. Positiv könnte man ihn als streitlustig und engagiert charakterisieren, aber ich empfand ihn stets als aggressiv, polemisch und anklagend. Daher hatte ich bislang um ihn einen Bogen gemacht, doch die Tatsache, dass sein neuestes Buch vom Feuilleton gefeiert und auf die Shortlist gehoben wurde, weckte meine Neugier. Ich war gespannt, wie ein Roman eines so scharfen Kritikers aussehen würde, der nicht zimperlich mit seinen Autorenkollegen umgeht. Also las ich meinen ersten Biller-Roman und kam auf den ersten Seiten überhaupt nicht in die Erzählung. Wie in einer Kurzgeschichte wird man in die Familienchronik an einem sehr warmen Maitag im Jahr 1965 in Prag hineingeworfen. Ich hatte bewusst nichts über den Roman im Vorfeld gelesen und daher dauerte es eine Zeitlang, bis mir klar wurde, dass das wohl eine Autobiografie ist. Da sind Vater, Mutter, Schwester und der Ich-Erzähler zu erkennen, aber es tauchen gleich eine Unmenge an weiteren Namen auf, die man als nicht zu den Billers gehörender Leser nicht zuordnen kann. Der Autor ist nun auch kein Romancier, der seine Geschichte langsam aufbaut und den Leser an die Hand nimmt. Nach dem ersten Drittel hatte ich dann den mir hingeworfenen Scherbenhaufen aus Szenen, Namen und nebensächlichen Handlungen und Dialogen aber langsam sortiert und das Gefallen am Buch stieg. Vermeintlich geht es um die Leiche im Keller, die wohl jede Familie zu verbergen hat. Bei den Billers ist es ein Verrat, der den Großvater 1960 das Leben in Moskau kostete. Der Ich-Erzähler versucht sein Leben lang die Wahrheit hinter diesem Verrät aufzuspüren. Folglich dachte, es wäre eine Art Kriminalroman, doch welche Überraschung am Ende: es gibt keine Auflösung. Folglich war ich auch überrascht, als ich Maxim Biller in einem Interview nach der Lektüre sagen hörte, dass es absoluter Quatsch sei, dieses Buch als autobiografisch zu bezeichnen. Die Hälfte davon wäre Fiktion und er "wolle die Leser mit dem Buch verrückt machen, in dem er alles durcheinander bringe. Dagegen ist ein Eintopf nix". Das strahlt ja schon eine gewisse Arroganz aus und letztlich fühlte ich mich ein wenig, na ja verarscht wäre zu viel gesagt, aber zumindest durchgequirlt. Das hat den Lesespaß zunächst getrübt. Ich hatte mich wie gesagt über das Buch nicht informiert im Vorfeld und auch keine Rezensionen gelesen. Daher war ich über das Ende erst überrascht, aber dann doch nach einigem Reflektieren ziemlich fasziniert. Es geht eigentlich gar nicht um die Frage, wer der Täter war. Wenn ich an Biller im Literarischen Quartett zurück denke, wie er sich über die gängigen Romanstrukturen im Mainstream echauffierte, dann wäre ein übliches Ende auch nicht wirklich authentisch für ihn gewesen. Nur wenn es nicht um den Verrat ging, um was ging es dann? Warum hat Biller mir seine Familiengeschichte (egal ob jetzt real oder fiktiv) erzählt? Mich hat dieser Mischmasch während des Lesens erst sehr geärgert, bis ich mich fragte, warum eigentlich? Ungewöhnliche Erzählformen sind normalerweise genau mein Geschmack. Warum rege ich mich darüber auf, dass die Figuren sich nur sehr langsam entwickeln, dass die Dialoge oft kurz und belanglos sind, dass ich nicht weiß, was real und was Fiktion ist? Ich interpretiere es so (gerade mit dem Brecht-Zitat zu Beginn, nachdem der Pass der edelste Teil des Menschen ist), dass eine entwurzelte Familie wie die Billers, die sich über Russland, Tschechien und später nach Deutschland, Schweiz, Großbritannien und Brasilien verstreute, kein Heimatgefühl entwickeln kann. Es ist das Los der Vertriebenen, kein Vertrauen und keine Geborgenheit zu spüren und eine enorme physische und seelische Belastung auf sich zu nehmen. Und daher ist es auch völlig gleichgültig, wer den Großvater verraten hat. Die Tat als Solches hat die Familie in ihrer Zerrissenheit geprägt. Und dieses Misstrauen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern ist hervorragend sprachlich umgesetzt. Mal abgesehen davon, dass ich es nicht leiden kann, wenn ich erst Interviews mit einem Autor anschauen muss, um wesentliche Zusatzinformationen über sein Buch zu erhalten, muss ich sagen, dass ich seinen Erzählstil gerade in der zweiten Hälfte des Buchs sehr genossen habe. Das Buch ist dramaturgisch hervorragend aufgebaut und mit den sechs Koffern, die die sechs Blickwinkel von verschiedenen Familienmitgliedern symbolisieren, auch gut strukturiert. Ungewöhnlich ist auf jeden Fall die nicht chronologische Erzählweise, die aber für mich auch ein Beweis ist, dass es bei diesem Buch weniger um die fortlaufende Handlung geht. Absolut nervig war für mich nur die gezwungene Witzigkeit beim Vergessen des Namens des Freunds Miroslav oder Jaroslavs und die Sexbessenheit des Teenagers Maxim Biller, bei dem die Suche nach Indizien für die Verräterrolle des Onkels genauso einen großen Raum einnahm, wie die Suche nach den Pornoheften in dessen Wohnung in Zürich. Aufgrund der vielen Pros und Contras, schwankte ich zwischen 3-5 Sternen und entschied mich letztlich für den Mittelwert. Je länger ich über das Buch nachdenke umso besser hat es mir gefallen.

3

Hmm... Die Familiengeschichte zu erfahren war interessant, allerdings wurde für mich die eigentliche Frage nicht geklärt und ich bin nicht schlauer als vorher

5

Maxim Biller erzählt die Geschichte einer russisch-jüdischen Familie – oder halt, nein, nicht einer, sondern seiner russisch-jüdischen Familie. Es ist eine komplexe Geschichte von Emigration und Flucht, Verrat und Denunziation, die von Rechts wegen gar nicht auf nur 208 Seiten passen sollte. Fast fühlt es sich an wie ein literarischer Taschenspielertrick, als habe der Autor doch noch 300 Seiten im Ärmel versteckt. Ein wenig ungläubig schlug ich daher das Buch zu – ungläubig, aber beeindruckt. Sechs Koffer, sechs Perspektiven: die des Vaters, seiner drei Brüder, der Mutter und einer Tante. Sechs Bruchstücke einer Geschichte, die sich durch die ganze Welt erstreckt und dabei doch im allerkleinsten Kreise um ein großes Familiengeheimnis dreht: der Großvater wurde 1960 wegen Schwarzmarkthandel und Devisenschieberei hingerichtet, und nur ein Mitglied der Familie kann ihn verraten haben. Die Geschichte ist fast zu gut, um nicht erfunden zu sein. Sie ist unterhaltsam, spannend, regelrecht süffig, und hat doch Substanz – im Grunde ist “Sechs Koffer” das perfekte Einstiegsbuch für Leser, die vor Buchpreis-Büchern zurückschrecken, weil sie dröhnende Langeweile fürchten. Also nein, die Geschichte ist nicht erfunden, sie hat autobiographische Grundlagen. Es ist mutig, die eigene Familie so an den Pranger zu stellen, aber Maxim Biller verwebt die harten Fakten seiner Familiengeschichte mit fiktiven Elementen und heraus kommt ein Roman, der der die reinste Wundertüte ist: Familienroman, Kriminalroman, Abenteuerroman, Spionagegeschichte, zeitgeschichtliches Dokument. Anspruchsvolle Literatur und dabei beinahe Genreroman – die Mischung ist gelungen. Der Verrat am Großvater sorgt für kriminologische Spannung, darüber hinaus ist die Familie nicht nur weltweit versprengt – Hamburg, Prag, Moskau, Zürich, Berlin –, sondern auch zerrissen vor gegenseitigem Misstrauen. Zitat: "Und dort, dachte ich auch noch, ohne es auszusprechen, hast du deinen eigenen Vater verraten. Oder war es Lev? Oder wart ihr es beide?" Die Figuren sind Chimären aus historisch belegten Menschen und Romancharakteren. Maxim Biller beschreibt Szenen aus der Sicht seiner Verwandten, als könne er ihre Gedanken lesen, und auch er selber tritt als wichtiger Charakter auf: er übernimmt die Rolle des jugendlichen Detektivs, der zur treibenden Kraft in der Aufklärung des Geheimnisses wird. Was ist hier Fiktion, was hat er wirklich erlebt? Die Grenzen verschwimmen. Er spielt mit der Hoffnung, das große Geheimnis lasse sich nach all der Zeit endlich aufklären – als ließen sich auch die Brüche innerhalb der Familie damit womöglich kitten. Dabei entdeckt er Geheimnisse, die er am liebsten direkt wieder vergessen würde, aber er kann von seiner Suche auch nicht ablassen. Zitat: "Oh Gott, dachte ich, das will ich jetzt wirklich nicht mehr hören." Man fragt sich unwillkürlich, was Mutter und Tante zu ihren literarischen Porträts sagen, denn die sind wenig schmeichelhaft. Mutter Rada wird oft als zornig beschrieben, mehrmals fallen gar Wörter wie “böse” und “kalt”. Zu ihren Kindern scheint sie eine innige Hassliebe zu empfinden. Tante Natalia ist ebenfalls eine zwiespältige Figur, so lebenshungrig wie tragisch. Sie hat den Todesmarsch von Auschwitz nach Thüringen überlebt, bei dem sie jedoch buchstäblich ihre kleine Schwester verlor, und scheint nun wild entschlossen, alles aus dem Leben herauszuwringen, was sich herauswringen lässt – sei es auch auf Kosten anderer. Die Frauen misstrauen sich gegenseitig, und auch die Männer, die sie lieben, misstrauen ihnen. Zitat: "»Woher weißt du, Natalia, dass der StB jahrelang davon wusste?« Sie sah ihn erschrocken an – sehr erschrocken – und sagte unsicher: »Die wissen doch alles, oder nicht?« (…) Wirklich, Natalia? Wissen »die« alles? Oder wissen sie es nur, weil es ihnen einer von uns erzählt hat?" Im “Literarischen Quartett” war man sich uneins darüber, ob Maxim Biller das Geheimnis um den Tod des Großvaters nun wirklich aufklärt oder nicht. Ich schließe mich der Meinung der Autorin Sasha Marianna Salzmann an, die die Lösung auf einer bestimmten Seite gefunden zu haben glaubt – möglicherweise ist aber auch diese vermeintliche Lösung nicht des Rätsels letzter Schluss. Der Autor empfiehlt die Lektüre des Buches seiner Schwester, die auch schon über die gemeinsame Familie geschrieben hat: “In welcher Sprache träume ich?” Vielleicht füllt dieses die Leerstellen in Maxim Billers Version der Familiengeschichte. Aber zurück zu “Sechs Koffer”: Der Schreibstil spielt virtuos mit dem Stilmittel des unzuverlässigen Erzählers. Immer wieder gibt es subtile Anzeichen dafür, dass man der Wahrnehmung oder Erinnerung einer Person nicht hundertprozentig vertrauen kann – Kleinigkeiten wie eine Couch, die mal dänisch und mal schwedisch ist, mal kuschelig weich und mal kratzig rau. Formulierungen wie “oder so ähnlich” und “aber vielleicht täuschte er sich auch”. Überhaupt ist der Schreibstil eher schlicht, aber elegant. Er fängt ohne Pathos eine verzweifelte Grundstimmung ein und scheut auch nicht davor zurück, Schmerz und Humor Hand in Hand gehen zu lassen. Amüsant und interessant ist ein wiederkehrendes Motiv des Buches: Maxim Billers ‘Alter Ego’ soll einen Aufsatz über Brecht schreiben. Der Junge reagiert mit Widerwillen, kapiert eigentlich nicht, was Brecht ihm sagen will – erlebt dann aber ständig etwas, was ihm Sätze des Autors in jähem Verstehen in Erinnerung ruft FAZIT “Sechs Koffer” ist ein autobiographischer Roman, in dem es um das größte Geheimnis der russisch-jüdischen Familie des Autors geht: wer hat den Großvater verraten, der 1960 in der Sowjetunion hingerichtet wurde? Es kann nur ein Familienmitglied gewesen sein, und so betrachtet man sich mit gegenseitigem Misstrauen. Viele Jahre später zieht der Enkel – der Autor! –, los um das Geheimnis zu lösen. Das liest sich einerseits hochliterarisch, andererseits spannend wie ein Krimi. In meinen Augen ist das Buch ein sehr starker Anwärter auf den Deutschen Buchpreis – am 8. Oktober 2018 wird sich zeigen, ob auch die Jury das so sieht. Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog: https://wordpress.mikkaliest.de/2018/09/23/deutscher-buchpreis-2018-maxim-biller-sechs-koffer/

4

Das ist jetzt das 2. Buch der diesjährigen Longlist des Deutschen Buchpreises, das ich gelesen habe, das ein offenes Ende hat bzw. etwas ungeklärt stehen lässt. Wenn das ein Qualitätsmerkmal sein soll, dann bleibe ich lieber Banausin. ;-) Von der erzählerischen Seite her, hat es mir sehr gut gefallen und Christian Brückner ist ein großer "Vorlesekünstler".

4

Maxim Biller erzählt in seinen knapp gehaltenen, für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman die Geschichte seiner eigenen Familie. Schon vor seiner Geburt ist die Familie von Moskau nach Prag übergesiedelt und mit ihm schließlich noch einmal von Prag nach Hamburg. Billers Vater hat mehrere Brüder, von denen es einen nach Brasilien und einen anderen nach Zürich verschlägt. Ein weiterer Onkel, Dima, steht zu Beginn des Romans kurz vor der Entlassung aus der Haft, zu der er wegen dubioser Geschäfte verurteilt wurde. Pikanterweise ist er mit Natalia verheiratet, der Frau, die ursprünglich Billers Vater heiraten wollte. Über der Familie schwebt ein großes Fragezeichen: Wer hat den Großvater, den Taten, damals verraten, sodass seine Schmuggelgeschäfte aufflogen und er zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Es muss jemand aus der Familie gewesen sein. Maxim Biller erzählt die Geschichte in sechs Kapiteln, für die die sechs Koffer stehen, für sechs Familienmitglieder und das, was sie mit sich herumschleppen. Jedes Kapitel gibt die Sicht eines Familienmitglieds wieder. Alle haben eine Theorie, wer der Verräter sein könnte, der fünfzehnjährige Biller versucht seinerseits, bei einem Besuch seines Onkels Dima in Zürich, mehr herauszufinden. Ich ahnte relativ früh, wohin das führen sollte. Es ist jedoch schwierig, sich darüber zu äußern, ohne Teile des Schlusses zu verraten. Ich hatte auch eine Theorie, warum er dieses Ende gewählt hat, ganz bestätigt wurde dies vom Ausgang des Buches nicht. Biller schließt seinen Roman aber mit einem Wink mit dem Zaunpfahl ab, der die Leserin wohl veranlassen soll, das Buch seiner Schwester Elena Lappin zu lesen. Das ist frech, was mich bei Biller nicht wundert, und auch wenn ich es nicht für verwerflich halte, ärgert es mich doch ein wenig. Ich komme weiter unten noch mal zu meiner Theorie über das Ende. Sprachlich ist an Billers Werk einwandfrei, schnörkellos, ohne jede Längen und auch als Hörbuch gut nachvollziehbar. Hörbuch-Altmeister Christian Brückner trägt seinen Teil zum gelungenen Hörbuch bei. Lediglich die Einteilung in sechs Kapitel oder Koffer wird nicht so deutlich. Mir hat das Buch beinahe gänzlich gut gefallen, überwältigend ist es freilich nicht und das Ende ärgert mich etwas. Daher gibt es 3,5 von 5 Sternen. SPOILER Dass das Ende offen bleiben würde, war mir auch aufgrund der Reaktionen anderer Leser auf Goodreads schnell klar. Wir erfahren also nicht, wer den Großvater verriet. Ich hielt dies demnächst für eine angemessene Lösung, denn ich vermutete dahinter die Absicht, klarstellen zu wollen, dass unter einem kommunistischen Regime jeder jeden denunzieren kann, ohne dies zu wollen, dass jeder unter dem Druck und der Angst, die der Geheimdienst auf die Menschen ausübt, zusammenbrechen kann. Wer den Verrat am Großvater begangen hat, ist unter diesem Aspekt irrelevant, die kommunistische Herrschaft verzerrt normale Familienbande. Dann kam aber dieser Hinweis auf das Interview mit der Schwester, in dem diese das Geheimnis offenbar preisgab (oder vielleicht auch nicht). Böse wie der Biller aber ist, enthält er uns dieses aber vor. Was soll das? Muss ich jetzt wirklich das Buch seiner Schwester lesen und steht die Lösung da drin? Oder gab sie sie nur in besagtem Interview preis? Angesichts der Überschrift des letzten Kapitels (Eine reine Familiensache), scheint es mir nun eher so, dass der Leserin gesagt wird: „Es geht dich nichts an.“ Warum dann aber ein Buch darüber schreiben? Ich habe es nach einer kurzen Internetrecherche aufgegeben, die Wahrheit zu finden. Es finden sich vor allem Besprechungen von „Sechs Koffer“ im Netz, wenn man googelt. Soll Biller es halt für sich behalten.

3

Ein Buch, in das ich sehr schwer hereingekommen bin. Die Erzählperspektive ist ein wenig wirr. Vieles wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und bringt den Leser doch nicht so richtig weiter. Die Figuren blieben mir alle irgendwie fern und die Aufklärung des Familiengeheimnisses bleibt leider aus. Dir geringe Seitenzahl lässt keine tiefere Auseinandersetzung mit der Geschichte zu und bleibt dabei ziemlich oberflächlich. Selbst die Sprache ist recht durchschnittlich, sodass ich mich frage, wie es das Buch auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Ein interessantes Buch mit außergewöhnlicher Herangehensweise, von dem ich mir aber viel mehr versprochen habe. Auch nachdem ich das Hörbuch ein zweites Mal gehört habe, blieb meine Verwirrung und Enttäuschung. Ausführliche Rezi folgt.

Create Post

More from Maxim Biller

All
Mama Odessa
Der falsche Gruß
Wer nichts glaubt, schreibt. Essays über Deutschland und die Literatur
Sieben Versuche zu lieben
Literatur und Politik
Biografie
Sechs Koffer
100 Zeilen Hass
Inside the Head of Bruno Schulz (Pushkin Collection)
Im Kopf von Bruno Schulz
Jack Happy
Kanalratten
Liebe heute
Bernsteintage
Die Tochter
Der gebrauchte Jude
Der echte Liebermann
Ein verrückter Vormittag
Menschen in falschen Zusammenhängen
Bernsteintage
Adas größter Wunsch
Moralische Geschichten
Der perfekte Roman
Esra
Kühltransport
Deutschbuch
Harlem Holocaust
Land der Väter und Verräter
Die Tempojahre
Wenn ich einmal reich und tot bin