Der Überläufer
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Siegfried Lenz, der am 17. März 1926 in Lyck, einer kleinen Stadt im masurischen Ostpreußen geboren wurde, zählt zu den bedeutendsten Autoren der deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur.Nachdem Lenz aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, ging er nach Hamburg und studierte Philosophie, Anglistik und deutsche Literaturgeschichte, ehe er 1950/51 als Redakteur für die "Welt" arbeitete. Von 1951 bis zu seinem Tod am 7. Oktober 2014 lebte er als freier Schriftsteller in Hamburg. Bereits mit seinem ersten Roman gelang es ihm, die Kritik und die Leser für sich einzunehmen, und bis heute zeichnet sich Lenz' Werk dadurch aus, dass es menschliche Schicksale und aktuelle gesellschaftliche Fragen auf eine Weise verknüpft, die literarisch ambitioniert die Bedürfnisse breiter Leserschichten nicht vernachlässigt.Weite Teile des Lenzschen Werkes sind geprägt durch die Auseinandersetzung mit gesellschaftskritischen Problemen (etwa die Romane "Der Mann im Strom", 1957, oder "Brot und Spiele", 1959, einer der wenigen geglückten Sportromane der deutschen Literatur) und mit dem Dritten Reich bzw. seiner Verarbeitung. Zu Lenz' größtem Erfolg wurde dabei der 1968 erschienene Roman "Deutschstunde", der auch internationalen bahnbrechend wurde. Wie der junge Siggi Jepsen darin die Geschichte seines Vaters, eines norddeutschen Polizisten, der es im Nationalsozialismus für seine Pflicht hält, das Malverbot seines Freundes Nansen zu überwachen, erzählt, ist eine bis heute bestechende Demaskierung eines pervertierten Pflichtbegriffs und wurde von vielen als befreiende künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Thema verstanden. Der "Deutschstunde" folgten viele große Romane ("Heimatmuseum", 1978, "Der Verlust", 1981, "Exerzierplatz", 1985 oder "Die Auflehnung", 1994), die Lenz unverrückbar an die Seite der ‚großen' deutschen Gegenwartsautoren wie Heinrich Böll, Günter Grass oder Martin Walser stellten.Sein Werk umfasst alle literarische Gattungen: Lenz arbeitete für das Theater ("Zeit der Schuldlosen", 1961), schrieb Hörspiele ("Haußuchung", 1967) und Essays ("Über den Schmerz", 1997), und für viele Leser ist er nicht zuletzt ein Meister der "kleinen Form". Seine oft humoristisch grundierten Erzählbände wie "So zärtlich war Suleyken" (1955), "Lehmanns Erzählungen" (1964) und "Der Geist der Mirabelle" (1975) belegen dies trefflich.Siegfried Lenz wurde für sein Œuvre mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet, darunter der Gerhart-Hauptmann-Preis, der Bayerische Staatspreis für Literatur, der Thomas-Mann-Preis, der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main, der Lew-Kopelew Preis für Frieden und Menschenrechte 2009 und zuletzt der Nonino-Preis 2010 für sein Werk. Am 18. Oktober 2011 wurde ihm zudem die Ehrenbürgerwürde seiner Geburtsstadt Lyck verliehen. Seine Auszeichnungen galten dem literarisch unvergleichlichen Werk, und sie rühmten immer auch das unerschrockene Engagement des Autors.Siegfried Lenz verstarb am 07. Oktober 2014.
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Was für eine komische Geschichte. Der leicht humorige Erzählstil, die eher einfältigen Figuren, der konstruierte unrealistische Plot… Nein! Es gibt bessere Werke von Lenz. Man merkt, dass dieses Buch posthum, also nicht aus voller Überzeugung des Autors erschienen ist
Der Überläufer ist ein wirklich beeindruckendes Buch, welches mich von seinen ausgereiften vielfältigen Stilmittel sowie der Verarbeitung der Themen rund um Krieg und Pflichtbewusstsein absolut überraschte. Normalerweise bin ich immer skeptisch, wenn posthum Werke von bekannten Autoren veröffentlicht werden. Ich vermute da immer, dass die Verlage den Rest der noch bekannten Zitrone einfach noch ausdrücken möchten, nun, da sich der verstorbene Ex-Angestellte nicht mehr wehren kann. Der Schriftsteller wird sich ja schon etwas dabei gedacht haben, warum sein Manuskript zu Lebzeiten seine Schublade nicht verlassen hat, denke ich. Aber hier war es ganz anders. Bei diesem Roman aus dem Frühwerk des Autors konnte ich eigentlich keinen Grund erkennen, warum Lenz es seinen Lesern vorenthalten wollte. Das Buch hat schon diese wunderbare Sprache von Siegfried Lenz, diese dichte Atmosphäre, wenn er Menschen, Natur und Begebenheiten seiner masurischen Heimat beschreibt. Diesem Setting ist er ja oft treu geblieben. Ich erinnere mich noch gern an meine erste Gymnasiumslektüre im Jahr 1978: So zärtlich war Suleyken. Doch anders als dort spielt Der Überläufer zu Kriegszeiten in der Heimat von Lenz. Nach Beginn der Rahmenhandlung, in der der 35 jährige Protagonist Walter Proska sich mit einem alten Nachbarn unterhält, erfolgt der Rückblick auf den Sommer 1944, in der Proska auf der Rückfahrt vom Heimaturlaub plötzlich sich nicht wieder an der Front, sondern in einem kleinen Biotop im Sumpf nahe der ukrainischen Grenze wiederfindet. Dort halten ein flapsiger Korporal und allerhand skurrile Wehrmachtssoldaten die Stellung und bewachen einen Bahndamm. Mich faszinieren Geschichten aus dem Krieg, die nicht eine epochale Schlacht beschreiben, sondern den Irrsinn dieser menschlichen Tragödie anhand einer kleinen Gruppe von Beteiligten darstellen. Durch das ganze Buch ziehen sich die verschiedenen Stilmittel eines Romans von der schnellen Dialogfolge eines fast schon absurden Theaters a la Warten auf Godot über die bildhaften Naturbeschriebungen (wobei die Natur fast schon menschlich beschrieben wird. Da schaut der Mond verstohlen oder die Bäume wispern). Doch am meisten haben mich die inneren Monologe Proskas beeindruckt. In einer ganz herausragenden Szene liegt Proska in Stellung und beobachtet einen Partisan oder eher ein Zivilist, der langsam auf ihn zukommt. Proska hadert in diesem erschütternden Monolog, gibt dem Anderen die Schuld daran, dass er gleich die Waffe abdrücken muss. Gibt ihm immer wieder die Chance umzudrehen. Er bittet, fleht fast schon innerlich, dass er von der Entscheidung über das Leben des anderen befreit wird und drückt dann doch ab. Viele Stellen sind auch sehr witzig geschrieben, was vielleicht an dem Dialekt liegt, den Lenz seinen Figuren in den Mund legt. Gerade das Schlesische von Schenkel ist toll. Aber auch der nie um einen Spruch verlegene Korporal löst die Stimmung (Halte dein Maul, sonst erkältet sich dein Darm). Einziger Kritikpunkt wäre für mich, dass die Entscheidung für das Überlaufen nicht so richtig klar herüber kommt. Wenn ich davon aber mal absehe, habe ich aber gerade einen ganz außergewöhnlichen Roman gelesen.
Der Überläufer ist ein wirklich beeindruckendes Buch, welches mich von seinen ausgereiften vielfältigen Stilmittel sowie der Verarbeitung der Themen rund um Krieg und Pflichtbewusstsein absolut überraschte. Normalerweise bin ich immer skeptisch, wenn posthum Werke von bekannten Autoren veröffentlicht werden. Ich vermute da immer, dass die Verlage den Rest der noch bekannten Zitrone einfach noch ausdrücken möchten, nun, da sich der verstorbene Ex-Angestellte nicht mehr wehren kann. Der Schriftsteller wird sich ja schon etwas dabei gedacht haben, warum sein Manuskript zu Lebzeiten seine Schublade nicht verlassen hat, denke ich. Aber hier war es ganz anders. Bei diesem Roman aus dem Frühwerk des Autors konnte ich eigentlich keinen Grund erkennen, warum Lenz es seinen Lesern vorenthalten wollte. Das Buch hat schon diese wunderbare Sprache von Siegfried Lenz, diese dichte Atmosphäre, wenn er Menschen, Natur und Begebenheiten seiner masurischen Heimat beschreibt. Diesem Setting ist er ja oft treu geblieben. Ich erinnere mich noch gern an meine erste Gymnasiumslektüre im Jahr 1978: So zärtlich war Suleyken. Doch anders als dort spielt Der Überläufer zu Kriegszeiten in der Heimat von Lenz. Nach Beginn der Rahmenhandlung, in der der 35 jährige Protagonist Walter Proska sich mit einem alten Nachbarn unterhält, erfolgt der Rückblick auf den Sommer 1944, in der Proska auf der Rückfahrt vom Heimaturlaub plötzlich sich nicht wieder an der Front, sondern in einem kleinen Biotop im Sumpf nahe der ukrainischen Grenze wiederfindet. Dort halten ein flapsiger Korporal und allerhand skurrile Wehrmachtssoldaten die Stellung und bewachen einen Bahndamm. Mich faszinieren Geschichten aus dem Krieg, die nicht eine epochale Schlacht beschreiben, sondern den Irrsinn dieser menschlichen Tragödie anhand einer kleinen Gruppe von Beteiligten darstellen. Durch das ganze Buch ziehen sich die verschiedenen Stilmittel eines Romans von der schnellen Dialogfolge eines fast schon absurden Theaters a la Warten auf Godot über die bildhaften Naturbeschriebungen (wobei die Natur fast schon menschlich beschrieben wird. Da schaut der Mond verstohlen oder die Bäume wispern). Doch am meisten haben mich die inneren Monologe Proskas beeindruckt. In einer ganz herausragenden Szene liegt Proska in Stellung und beobachtet einen Partisan oder eher ein Zivilist, der langsam auf ihn zukommt. Proska hadert in diesem erschütternden Monolog, gibt dem Anderen die Schuld daran, dass er gleich die Waffe abdrücken muss. Gibt ihm immer wieder die Chance umzudrehen. Er bittet, fleht fast schon innerlich, dass er von der Entscheidung über das Leben des anderen befreit wird und drückt dann doch ab. Viele Stellen sind auch sehr witzig geschrieben, was vielleicht an dem Dialekt liegt, den Lenz seinen Figuren in den Mund legt. Gerade das Schlesische von Schenkel ist toll. Aber auch der nie um einen Spruch verlegene Korporal löst die Stimmung (Halte dein Maul, sonst erkältet sich dein Darm). Einziger Kritikpunkt wäre für mich, dass die Entscheidung für das Überlaufen nicht so richtig klar herüber kommt. Wenn ich davon aber mal absehe, habe ich aber gerade einen ganz außergewöhnlichen Roman gelesen.
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Siegfried Lenz, der am 17. März 1926 in Lyck, einer kleinen Stadt im masurischen Ostpreußen geboren wurde, zählt zu den bedeutendsten Autoren der deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur.Nachdem Lenz aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, ging er nach Hamburg und studierte Philosophie, Anglistik und deutsche Literaturgeschichte, ehe er 1950/51 als Redakteur für die "Welt" arbeitete. Von 1951 bis zu seinem Tod am 7. Oktober 2014 lebte er als freier Schriftsteller in Hamburg. Bereits mit seinem ersten Roman gelang es ihm, die Kritik und die Leser für sich einzunehmen, und bis heute zeichnet sich Lenz' Werk dadurch aus, dass es menschliche Schicksale und aktuelle gesellschaftliche Fragen auf eine Weise verknüpft, die literarisch ambitioniert die Bedürfnisse breiter Leserschichten nicht vernachlässigt.Weite Teile des Lenzschen Werkes sind geprägt durch die Auseinandersetzung mit gesellschaftskritischen Problemen (etwa die Romane "Der Mann im Strom", 1957, oder "Brot und Spiele", 1959, einer der wenigen geglückten Sportromane der deutschen Literatur) und mit dem Dritten Reich bzw. seiner Verarbeitung. Zu Lenz' größtem Erfolg wurde dabei der 1968 erschienene Roman "Deutschstunde", der auch internationalen bahnbrechend wurde. Wie der junge Siggi Jepsen darin die Geschichte seines Vaters, eines norddeutschen Polizisten, der es im Nationalsozialismus für seine Pflicht hält, das Malverbot seines Freundes Nansen zu überwachen, erzählt, ist eine bis heute bestechende Demaskierung eines pervertierten Pflichtbegriffs und wurde von vielen als befreiende künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Thema verstanden. Der "Deutschstunde" folgten viele große Romane ("Heimatmuseum", 1978, "Der Verlust", 1981, "Exerzierplatz", 1985 oder "Die Auflehnung", 1994), die Lenz unverrückbar an die Seite der ‚großen' deutschen Gegenwartsautoren wie Heinrich Böll, Günter Grass oder Martin Walser stellten.Sein Werk umfasst alle literarische Gattungen: Lenz arbeitete für das Theater ("Zeit der Schuldlosen", 1961), schrieb Hörspiele ("Haußuchung", 1967) und Essays ("Über den Schmerz", 1997), und für viele Leser ist er nicht zuletzt ein Meister der "kleinen Form". Seine oft humoristisch grundierten Erzählbände wie "So zärtlich war Suleyken" (1955), "Lehmanns Erzählungen" (1964) und "Der Geist der Mirabelle" (1975) belegen dies trefflich.Siegfried Lenz wurde für sein Œuvre mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet, darunter der Gerhart-Hauptmann-Preis, der Bayerische Staatspreis für Literatur, der Thomas-Mann-Preis, der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main, der Lew-Kopelew Preis für Frieden und Menschenrechte 2009 und zuletzt der Nonino-Preis 2010 für sein Werk. Am 18. Oktober 2011 wurde ihm zudem die Ehrenbürgerwürde seiner Geburtsstadt Lyck verliehen. Seine Auszeichnungen galten dem literarisch unvergleichlichen Werk, und sie rühmten immer auch das unerschrockene Engagement des Autors.Siegfried Lenz verstarb am 07. Oktober 2014.
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Was für eine komische Geschichte. Der leicht humorige Erzählstil, die eher einfältigen Figuren, der konstruierte unrealistische Plot… Nein! Es gibt bessere Werke von Lenz. Man merkt, dass dieses Buch posthum, also nicht aus voller Überzeugung des Autors erschienen ist
Der Überläufer ist ein wirklich beeindruckendes Buch, welches mich von seinen ausgereiften vielfältigen Stilmittel sowie der Verarbeitung der Themen rund um Krieg und Pflichtbewusstsein absolut überraschte. Normalerweise bin ich immer skeptisch, wenn posthum Werke von bekannten Autoren veröffentlicht werden. Ich vermute da immer, dass die Verlage den Rest der noch bekannten Zitrone einfach noch ausdrücken möchten, nun, da sich der verstorbene Ex-Angestellte nicht mehr wehren kann. Der Schriftsteller wird sich ja schon etwas dabei gedacht haben, warum sein Manuskript zu Lebzeiten seine Schublade nicht verlassen hat, denke ich. Aber hier war es ganz anders. Bei diesem Roman aus dem Frühwerk des Autors konnte ich eigentlich keinen Grund erkennen, warum Lenz es seinen Lesern vorenthalten wollte. Das Buch hat schon diese wunderbare Sprache von Siegfried Lenz, diese dichte Atmosphäre, wenn er Menschen, Natur und Begebenheiten seiner masurischen Heimat beschreibt. Diesem Setting ist er ja oft treu geblieben. Ich erinnere mich noch gern an meine erste Gymnasiumslektüre im Jahr 1978: So zärtlich war Suleyken. Doch anders als dort spielt Der Überläufer zu Kriegszeiten in der Heimat von Lenz. Nach Beginn der Rahmenhandlung, in der der 35 jährige Protagonist Walter Proska sich mit einem alten Nachbarn unterhält, erfolgt der Rückblick auf den Sommer 1944, in der Proska auf der Rückfahrt vom Heimaturlaub plötzlich sich nicht wieder an der Front, sondern in einem kleinen Biotop im Sumpf nahe der ukrainischen Grenze wiederfindet. Dort halten ein flapsiger Korporal und allerhand skurrile Wehrmachtssoldaten die Stellung und bewachen einen Bahndamm. Mich faszinieren Geschichten aus dem Krieg, die nicht eine epochale Schlacht beschreiben, sondern den Irrsinn dieser menschlichen Tragödie anhand einer kleinen Gruppe von Beteiligten darstellen. Durch das ganze Buch ziehen sich die verschiedenen Stilmittel eines Romans von der schnellen Dialogfolge eines fast schon absurden Theaters a la Warten auf Godot über die bildhaften Naturbeschriebungen (wobei die Natur fast schon menschlich beschrieben wird. Da schaut der Mond verstohlen oder die Bäume wispern). Doch am meisten haben mich die inneren Monologe Proskas beeindruckt. In einer ganz herausragenden Szene liegt Proska in Stellung und beobachtet einen Partisan oder eher ein Zivilist, der langsam auf ihn zukommt. Proska hadert in diesem erschütternden Monolog, gibt dem Anderen die Schuld daran, dass er gleich die Waffe abdrücken muss. Gibt ihm immer wieder die Chance umzudrehen. Er bittet, fleht fast schon innerlich, dass er von der Entscheidung über das Leben des anderen befreit wird und drückt dann doch ab. Viele Stellen sind auch sehr witzig geschrieben, was vielleicht an dem Dialekt liegt, den Lenz seinen Figuren in den Mund legt. Gerade das Schlesische von Schenkel ist toll. Aber auch der nie um einen Spruch verlegene Korporal löst die Stimmung (Halte dein Maul, sonst erkältet sich dein Darm). Einziger Kritikpunkt wäre für mich, dass die Entscheidung für das Überlaufen nicht so richtig klar herüber kommt. Wenn ich davon aber mal absehe, habe ich aber gerade einen ganz außergewöhnlichen Roman gelesen.
Der Überläufer ist ein wirklich beeindruckendes Buch, welches mich von seinen ausgereiften vielfältigen Stilmittel sowie der Verarbeitung der Themen rund um Krieg und Pflichtbewusstsein absolut überraschte. Normalerweise bin ich immer skeptisch, wenn posthum Werke von bekannten Autoren veröffentlicht werden. Ich vermute da immer, dass die Verlage den Rest der noch bekannten Zitrone einfach noch ausdrücken möchten, nun, da sich der verstorbene Ex-Angestellte nicht mehr wehren kann. Der Schriftsteller wird sich ja schon etwas dabei gedacht haben, warum sein Manuskript zu Lebzeiten seine Schublade nicht verlassen hat, denke ich. Aber hier war es ganz anders. Bei diesem Roman aus dem Frühwerk des Autors konnte ich eigentlich keinen Grund erkennen, warum Lenz es seinen Lesern vorenthalten wollte. Das Buch hat schon diese wunderbare Sprache von Siegfried Lenz, diese dichte Atmosphäre, wenn er Menschen, Natur und Begebenheiten seiner masurischen Heimat beschreibt. Diesem Setting ist er ja oft treu geblieben. Ich erinnere mich noch gern an meine erste Gymnasiumslektüre im Jahr 1978: So zärtlich war Suleyken. Doch anders als dort spielt Der Überläufer zu Kriegszeiten in der Heimat von Lenz. Nach Beginn der Rahmenhandlung, in der der 35 jährige Protagonist Walter Proska sich mit einem alten Nachbarn unterhält, erfolgt der Rückblick auf den Sommer 1944, in der Proska auf der Rückfahrt vom Heimaturlaub plötzlich sich nicht wieder an der Front, sondern in einem kleinen Biotop im Sumpf nahe der ukrainischen Grenze wiederfindet. Dort halten ein flapsiger Korporal und allerhand skurrile Wehrmachtssoldaten die Stellung und bewachen einen Bahndamm. Mich faszinieren Geschichten aus dem Krieg, die nicht eine epochale Schlacht beschreiben, sondern den Irrsinn dieser menschlichen Tragödie anhand einer kleinen Gruppe von Beteiligten darstellen. Durch das ganze Buch ziehen sich die verschiedenen Stilmittel eines Romans von der schnellen Dialogfolge eines fast schon absurden Theaters a la Warten auf Godot über die bildhaften Naturbeschriebungen (wobei die Natur fast schon menschlich beschrieben wird. Da schaut der Mond verstohlen oder die Bäume wispern). Doch am meisten haben mich die inneren Monologe Proskas beeindruckt. In einer ganz herausragenden Szene liegt Proska in Stellung und beobachtet einen Partisan oder eher ein Zivilist, der langsam auf ihn zukommt. Proska hadert in diesem erschütternden Monolog, gibt dem Anderen die Schuld daran, dass er gleich die Waffe abdrücken muss. Gibt ihm immer wieder die Chance umzudrehen. Er bittet, fleht fast schon innerlich, dass er von der Entscheidung über das Leben des anderen befreit wird und drückt dann doch ab. Viele Stellen sind auch sehr witzig geschrieben, was vielleicht an dem Dialekt liegt, den Lenz seinen Figuren in den Mund legt. Gerade das Schlesische von Schenkel ist toll. Aber auch der nie um einen Spruch verlegene Korporal löst die Stimmung (Halte dein Maul, sonst erkältet sich dein Darm). Einziger Kritikpunkt wäre für mich, dass die Entscheidung für das Überlaufen nicht so richtig klar herüber kommt. Wenn ich davon aber mal absehe, habe ich aber gerade einen ganz außergewöhnlichen Roman gelesen.