1000 Serpentinen Angst

1000 Serpentinen Angst

Taschenbuch
3.643
Black Lives MatterVerlustAnspruchsvolle LiteraturPeople Of Colour Community

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Beschreibung

»Ich habe mehr Privilegien, als es je eine Person in meiner Familie hatte. Und trotzdem bin ich am Arsch. Ich werde von mehr Leuten gehasst, als meine Großmutter es sich vorstellen kann. Am Tag der Bundestagswahl versuche ich ihr mit dieser Behauptung 20 Minuten lang auszureden, eine rechte Partei zu wählen.«

Eine junge Frau besucht ein Theaterstück über die Wende und ist die einzige schwarze Zuschauerin im Publikum. Mit ihrem Freund sitzt sie an einem Badesee in Brandenburg und sieht vier Neonazis kommen. In New York erlebt sie den Wahlsieg Trumps in einem fremden Hotelzimmer. Wütend und leidenschaftlich schaut sie auf unsere sich rasant verändernde Zeit und erzählt dabei auch die Geschichte ihrer Familie: von ihrer Mutter, die Punkerin in der DDR war und nie die Freiheit hatte, von der sie geträumt hat. Von ihrer Großmutter, deren linientreues Leben ihr Wohlstand und Sicherheit brachte. Und von ihrem Zwillingsbruder, der mit siebzehn ums Leben kam. Herzergreifend, vielstimmig und mit Humor schreibt Olivia Wenzel über Herkunft und Verlust, über Lebensfreude und Einsamkeit und über die Rollen, die von der Gesellschaft einem zugewiesen werden.

Haupt-Genre
Romane
Sub-Genre
Zeitgenössische Romane
Format
Taschenbuch
Seitenzahl
352
Preis
13.40 €

Autorenbeschreibung

Olivia Wenzel, 1985 in Weimar geboren, Studium der Kulturwissenschaften und ästhetischen Praxis an der Uni Hildesheim, lebt in Berlin. Sie schreibt Theatertexte und Prosa, machte zuletzt Musik als Otis Foulie. Wenzels Stücke wurden u.a. an den Münchner Kammerspielen, am Hamburger Thalia Theater, am Deutschen Theater Berlin und am Ballhaus Naunynstrasse aufgeführt.  Neben dem Schreiben arbeitet sie in Workshops mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In der freien Theaterszene kollaboriert sie als Performerin mit Kollektiven wie vorschlag:hammer. »1000 Serpentinen Angst« ist ihr erster Roman.Literaturpreise:Literaturpreis der Stadt Fulda 2020Mörike-Förderpreis der Stadt Fellbach 2021Hugo-Ball-Förderpreis 2023

Beiträge

19
Alle
5

Außergewöhnliche Leseerfahrung

Das Buch erzählt in einem Frage-Antwort-Stil vom Leben der namenlosen Ich-Erzählerin, die Mitte der 1980er Jahre als Tochter einer Punkerin und eines angolischen Gastarbeiters in einer Kleinstadt in der DDR geboren wird. Die Mutter hadert mit dem DDR-Regime, die Großeltern sind latent rassistisch, und ihr Vater geht kurz nach der Geburt nach Angola zurück. Mir persönlich hat der Schreibstil sehr zugesagt und ich kam auch mit dem wilden Hin-und Hergehüpfe zwischen allen Zeitebenen und allen Gedanken der Erzählerin gut klar. Ein ungewöhnliches Buch, absolute Leseempfehlung.

5

Ich tu mir ein bisschen schwer hier einen Anfang zu finden. „1000 serpentinen angst“ ist wie nichts, das ich bis dato gelesen habe. Auf 352 Seiten nimmt die namenlose Erzählerin den Leser mit auf eine holperige Reise in ihr Hirn. Nur so kann ich annähernd beschreiben, wie diese Lektüre für mich war. Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt, wobei der erste, wie auch der dritte Teil aus Dialog besteht. In Großbuchstaben werden der Erzählerin Fragen gestellt, die sie beantwortet, später werden die Rollen getauscht und die Erzählerin stellt die Fragen. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass dieser Teil anfangs befremdlich war zu lesen, einfach weil man als Leser einfach ins kalte Wasser geworfen wird. Hier stellt sich niemand vor, man ist einfach mittendrin und auch nachher wird nicht aufgeklärt wer hier die Fragen stellt und wieso. Vor dem Hintergrund, dass Frau Wenzel auch Theaterautorin ist, verständlicher, beim Lesen aber zu Anfang befremdlich. Ich hab einigermaßen langsam verstanden, dass man vielleicht selber nicht so dringend alles zerdenken sollte, als ich die Gegebenheiten einfach als „ist“ und „gegeben“ angenommen habe, hab ich mich auch einfacher im Schreibstil festgelesen. „1000 serpentinen angst“ erzählt die Geschichte einer Frau die es im Leben nicht immer leicht hatte: Tochter einer Altpunkerin und eines Angolaners in Ostdeutschland geboren, von der latent rassistischen Großmutter großgezogen, queer.. Darüber hinaus hat sie ihren Bruder an Suizid verloren, wenig bis keinen familiären Rückhalt und leidet an einer Angsterkrankung. Ach ja – schwanger ist sie auch noch. Trotzdem und das ist das bewundernswerte an der Erzählerin – sie weigert sich, sich in ihrem Elend zu suhlen, sich auf das Klischee reduziert in der Opferrolle auszuruhen, spricht zwar Erfahrungen mit Rassismus an, will sich aber nicht auf das Thema reduzieren lassen und spricht sehr reflektiert über ihre Probleme. Die Sprache die sie benutzt, ist auf der einen Seite sehr angenehm, ich mag diese schnodderige, lapidare Art, die mich trotz des manchmal schweren Themas doch auch zum schmunzeln bringt. Auf der anderen Seite ist sie manchmal sehr krass, nackt und direkt, so sehr dass es manchmal fast unangenehm ist weiterzulesen. Insgesamt eines der interessanteren Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe, ein Buch das ich in seiner Gänze nicht komplett habe greifen können, das einem aber, wenn man sich einmal auf den unkonventionellen Erzählstil eingelassen hat, jede Menge wichtige Denkanstöße mit auf den Weg gibt und das es schafft, das man sich selbst in vielerlei Hinsicht beginnt zu hinterfragen. Auf eine sehr gute Art und Weise. Leseempfehlung!

4

Gutes Buch, kluge Gedanken. Allerdings gefiel mir der Schreibstil nicht so gut. Teils sehr anstrengend. Fand das Buch trotzdem gut. Auf jeden Fall lesenswert.

4

Dieses Buch fühlte sich an, als ob man direkt in den Kopf der Autorin geworfen wird. Alle umherspringenden Gedanken prasseln auf einen ein. Es war mitunter schwierig, sich immer zurecht zu finden, manchmal aber auch ganz leicht. Ob es auch autobiographische Züge hat, vermag ich nicht zu sagen. Deswegen versuche ich, bei der Lesung am 12. November einzuschalten.

4

Ganz anders als alles, was ich bisher gelesen habe

Olivia Wenzel hat einen außergewöhnlichen Erzählstil. Wir als Leser*innen haben Teil an inneren Dialogen im Frage-Antwort-Stil. Mir persönlich hat das richtig gut gefallen, ich mag es an den Gedanken der Protagonistin teil zu haben und in ihre Gefühle einzutauchen. Mir hat auch die Komplexität der Themen gefallen, die die Autorin aufgreift. So spielen Angstzustände, traumatische Erlebnisse, familiäre Verhältnisse, rassistische Erfahrungen und sexuelle Orientierung eine wichtige Rolle sowie der innere Konflikt zwischen dem Schwarz-Sein und dem (Ost-)Deutsch-Sein der Protagonistin. Dadurch entsteht eine Orientierungslosigkeit nicht nur bei ihr sondern auch bei mir als Leserin und trotzdem treffen die Themen mit aller Härte und Heftigkeit. TW: Gewalt, Suizid

1

An sich interessante Story, aber komisch erzählt

Also irgendwie hab ich das Buch nicht verstanden. Der Klappentext hat sich so vielversprechend angehört, die Themen, die das Buch behandelt, interessieren mich alle sehr. Aber irgendwie konnte ich mit der Erzählart nichts anfangen. Mir hat der rote Faden gefehlt und ich musste mich leider etwas durch das Buch durchquälen.

3

Seit Olivia Wenzel mit “1000 Serpentinen Angst” für den Deutschen Buchpreis 2020 nominiert war, stand das Buch auf meiner Wunschliste. Ein experimentelles Werk über eine in Deutschland aufgewachsene Person of Colour, inmitten von Rassismus und Privileg, zwischen Liebe und Trauer, überfordert und verängstigt von der Welt. Darüber möchte ich mehr erfahren. Meine Erwartungen wurden bezüglich des Inhalts auch erfüllt. Wir erfahren vom Aufwachsen in der DDR und später im Osten des wiedervereinigten Deutschlands als Tochter einer deutschen Mutter und eines Vaters aus Angola, beide überwiegend abwesend, sodass die Großmutter sich viel um das Kind und ihren Zwillingsbruder kümmert. Die Protagonistin sinniert verschiedenen Erinnerungen nach. Anhand von alten Fotos, vergangenen Gesprächen und Bruchstücken eigener Erfahrungen wird über deren Bedeutung nachgedacht, um ein Stück weit die eigene Identität verstehen und einordnen zu können und sich mit dem gesellschaftlichen Rassismus auseinanderzusetzen. Gleichzeitig leidet die Hauptfigur in der Gegenwart unter schweren Angststörungen und begibt sich in psychiatrische Behandlung. Der Selbstmord ihres Bruders, aber auch die Trennung von ihrer Partnerin Kim versucht sie in Selbstgesprächen aufzuarbeiten. Diese Aufarbeitung findet vor allem in Form von Zwiegesprächen statt, die die Protagonistin mit sich selbst führt (was ich mir dann erst ein gutes Stück im Buch erklären konnte), und die immer am Bahnhof vor einem Snackautomaten stattfinden. Das allein war mir, auch in Verbindung mit recht kryptischen Formulieren, zu arthousemäßig angelegt. Im Mittelteil wird diese Frage-Antwort-Form durch konventionelle Prosa abgelöst, bis im letzten Drittel wieder der Dialog übernimmt. Es gibt nur einen sehr losen Plot, der oft durch Andeutungen erraten werden muss. Ansonsten wirft die Autorin vor allem mit Schnipseln und Fetzen um sich, bei denen ich zwar den ein oder anderen länger ansehen und wertschätzen konnte, die nun am Ende jedoch zusammenhangslos um mich herumliegen. Mir hat am Ende das große Ganze gefehlt. Einen Trichter, in den dieser Wirrwarr mündet. So war es für mich nur Ideenkonfetti, teilweise provokant, teilweise nachdenklich, manchmal selbstironisch, aber unterm Strich zu aufgebauscht und over the top.

5

Die Geschichte hat mich sehr bewegt und mit ihrem ungewöhnlichen Erzählstil direkt mitgerissen. Sehr zu empfehlen!

5

Das 2020 veröffentlichte Buch erzählt in einer erfrischenden Form, die ans moderne Theater denken lässt: Fast der gesamte Roman ist ein Dialog. Der eine Dialogpartner stellt meistens Fragen, in Großbuchstaben. Ist dies etwa ein Verhör? Es wird weder anfangs noch später erklärt. Der Dialog scheint aber im Kopf der Protagonistin stattzufinden. Die Person der Angesprochenen wechselt dabei: Die Großbuchstaben fragen manchmal: WO BIN ICH? und manchmal: WO BIST DU? Je nachdem beschreiben die Antworten dann ein "Du bist..." oder ein "Ich bin..." Es ist also ein Dialog mit sich selbst, der hier entfaltet wird. Dabei sind die Wo?-Fragen meistens die Einleitungen für geniale, schnelle und sich trotzdem natürlich anfühlende Szenesprünge: Erinnerungen aus verschiedensten Phasen des Lebens der Protagonisten können so aufeinander abfolgen oder ineinandergreifen. Und sie erlauben ein Erzählpräsens, das ausnahmsweise mal passt: Man steigt in die Szenen ein, braucht keine Erläuterung. Man ist nicht direkt "in der Szene" (wie es in anderen Romane versucht wird, zu erzeugen, wenn man im Präsens erzählt), sondern man selbst ist bei diesem Gespräch der Protagonistin mit sich selbst dabei und dabei viel direkter, als es eine "normale" Erzählung bewirkt hätte. Die Protagonistin ist schwarz und in der DDR aufgewachsen. Aufenthalte in New York und in Vietnam, mindestens eine Liebesbeziehung, ein schwieriges Familienverhältnis, ein Suizid und eine Schwangerschaft sind die Koordinaten dieser Erzählungen. Die Dialogform mit den Großbuchstabenfragen erlaubt hierbei auch Auslassungen, Nuancierungen, Hinterfragen der eigenen Position, der eigenen Erinnerung. Das Motiv eines Kaugummiautomaten am Bahnhof der provinziellen Heimatstadt wird wiederholt und variiert. Die Koordinaten der Erzählung erzeugen ein komplexes Koordinatensystem, das man wohl Realität oder Identität nennen könnte. Dass das Damoklesschwert Rassismus in verschiedenen Formen über der Erzählung hängt, ändert aber nichts daran, wie wichtig es ist, in die verschiedenen "points of view" (so heißt der erste Teil) einzutauchen, sich diese zu verbildlichen ("picture this" heißt der zweite) und mit den "fluchtpunkten" (der dritte Teil), aber auch der Ambivalenz dieses Wortes zu beschäftigen.

4

Dieses Buch habe ich ein wenig gegen meinen Willen gelesen. Es ist einfach von der Mehrheit meines Leseclubs zum September-Buch bestimmt worden. Ich hätte gerne etwas anderes genommen. Warum … weiß nicht. Vielleicht zu viele Serpentinen-Bücher in diesem Jahr, in denen es um die eigene Kindheit, die Eltern, die Großeltern, Tod, Tralalalala geht. Zu viel Bedeutungsschwurbelei. Zu viel Hype. Zu viel zu viel. Von der ersten Seite an habe ich mich in 1000 Serpentinen Angst furchtbar heimisch und heimelig gefühlt. Nicht weil ich schwarz bin, das bin ich nicht; nicht weil ich aus dem Osten komme, das komme ich nicht; nicht weil ich homo (oder bi) bin … na, das vielleicht ein wenig schon. Was mich sofort mitgerissen hat: Die Protagonistin unterhält sich exakt so mit sich selbst (mit ihrem Verstand? Hirn? Vernunft?), wie ich das auch tue. Sie tritt in einen Dialog, stellt Fragen, bekommt aber eher Fragen gestellt. WIE GEFÄLLT MIR DIESES BUCH? Mh … gut. Eigentlich ja etwas wenig Handlung für das, was ich sonst gerne lese. ABER SIE HAT EINEN SÜSSIGKEITEN- UND KAUGUMMIAUTOMATEN-KINK! Ja, mega. Ich bin verliebt! UND IHR UMGANG MIT KACKVÖGELN ALLER ART? Sahne! Ich bin arg neidisch. Genau so würde ich auch gerne in den richtigen, den wichtigen Momenten meine Klappe aufreißen. WARUM TUST DU'S NICHT? … WARUM NICHT? Ich übe noch. Leider muss ich zugeben, dass mein Kopf mir nicht so penetrant so kluge Fragen stellt. Viel zu selten, eigentlich. Und dabei zeigt mir das Buch im Grunde, dass man vor sich selbst am allerwenigsten Angst haben muss. Aber es gibt halt die dunklen Ecken und Flecken, die in einem lauern, von denen man nur weiß, dass sie da sind, aber nicht viel mehr. Die zu finden, und sich dann die richtigen Fragen stellen ist, was das Buch mir mitgegeben hat. Und warum ich es in relativ kurzer Zeit inhaliert habe, auch wenn ich den Mittelteil, ohne die Fragen und die Antworten etwas zäh fand. Nicht so flüssig. Nicht so drängend. Auch wenn es mich bei der Schilderung der Mutter geschaudert hat. Wie kann da nur so viel Distanz sein, und es wird klaglos hingenommen? Kann man der Mutter ihren f*cking Egoismus mal gehörig um die Ohren hauen? Wo ist denn hier die dicke Lippe, die gegen Nazis und andere Arschlöcher so gut funktioniert? Wäre die hier nicht ebenso angebracht? Vielleicht auch, weil es mich ein wenig, wenn auch ganz anders, an das Hin und Her mit meiner Mutter erinnert, weil ich dann ebenso duckmäuserisch bin. Aber das gehe ich jetzt selbst mit mir diskutieren. Großes Talent. Tolles Debüt. Bitte mehr.

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