Verräterkind
Jetzt kaufen
Durch das Verwenden dieser Links unterstützt du READO. Wir erhalten eine Vermittlungsprovision, ohne dass dir zusätzliche Kosten entstehen.
Beschreibung
Autorenbeschreibung
Sorj Chalandon, geboren 1952 in Tunis, gilt als einer der bedeutendsten Journalisten und Schriftsteller Frankreichs. Viele Jahre lang schrieb er für die Zeitung ›Libération‹, seit 2009 ist er Journalist bei der Wochenzeitung ›Le Canard enchaîné‹. Für seine Reportagen über Nordirland und den Prozess gegen Klaus Barbie wurde er mit dem Albert-Londres-Preis ausgezeichnet. Auch sein schriftstellerisches Schaffen wurde mit zahlreichen Literaturpreisen gewürdigt, unter anderen dem Prix Médicis und dem großen Romanpreis der Académie française.
Beiträge
Emotional und aufwühlend Du meine Güte – was für einen Kracher hat Sorj Chalandon denn hier gezündet? Nichts Anderes als das (mein) ultimative(s) Jahreshighlight hat er mit „Verräterkind“ (aus dem Französischen übersetzt von Birgit Große, erschienen bei dtv) veröffentlicht. Dabei stößt man (ich) bei der Lektüre der 304 Seiten öfter an seine emotionale Grenze, als einem lieb ist. Zu aufwühlend erzählt Sorj Chalandon z. B. von seinem Besuch im ehemaligen Kinderheim von Izieu, aus dem am 6. April 1944 44 jüdische Waisenkinder verschleppt und anschließend deportiert wurden – veranlasst von dem Lyoner Gestapo-Chef Klaus Barbie, dessen Prozess im Mai 1987 einen Handlungsstrang des autofiktionalen Romans darstellt. Den anderen Prozess führt Sorj Chalandon mit bzw. gegen seinen Vater und dessen Lebenslügen. Schon als Kind wurde Sorj mit der Aussage seines Opas konfrontiert, er wäre ein „Verräterkind“. Im Lauf der Jahre erzählt der Vater dem Sohn immer neue ihn als strahlenden Helden darstellenden Geschichten. Doch dann bricht das Lügengerüst gnadenlos zusammen und es kommt zu einer tragischen Konfrontation… Sorj Chalandon ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Journalist. Als „Augenzeuge“ war er tatsächlich beim Prozess gegen Klaus Barbie dabei und wurde für seine Reportage 1988 auch mit dem Albert-Londres-Preis ausgezeichnet. In beeindruckenden Bildern und Sätzen macht Sorj Chalandon den ganzen Schmerz, die Trauer, die Wut der am Prozess beteiligten Personen für die Leserinnen und Leser sichtbar und stellt sich zwischen den Prozesstagen immer wieder den Fragen, die das Leben seines Vaters als Hochstapler und notorischen Lügner bei Sorj hervorrufen. Die zeitgleichen Prozesse haben so nie stattgefunden, aber es liest sich alles wie aus einem Guss – brillant. Durch die enorme Emotionalität und Tragik der Geschichte lässt sich der Roman nur bedingt am Stück „genießen“; ich brauchte z. B. immer wieder Pausen, um das Gelesene verarbeiten zu können. Trotzdem spreche ich hiermit eine absolute Leseempfehlung aus und vergebe 10 von 5* für dieses eindrucksvolle Dokument eines tragischen Kampfes zwischen Vater und Sohn, den ich keinem wünsche. ©kingofmusic
»»Was denn, mein Gott, er ist doch noch ein Kind!« [Tante] - »Genau! Ein Verräterkind, das sollte er wissen.« [Großvater] 1962 war das, da war ich zehn.« (S.29) Der französische Schriftsteller und Journalist Sorj Chalandon (*1952) hat für sein Schaffen zahlreichen Preisen erhalten und u. a. für seine Reportagen über den Prozess gegen den Klaus Barbie mit dem Albert-Londres-Preis (dem renommierteste Journalistenpreis Frankreichs) ausgezeichnet. In seinem autobiografischen Buch »Verräterkind« (»Enfant de salaud«, aus dem Französischen von Brigitte Große) schreibt der Autor in zwei Handlungssträngen über seine Erlebnisse als Journalist bei genau diesem Prozess gegen K. Barbie, und parallel über die Anwesenheit seines Vaters bei dem Prozess in Lyon, über toxische Familienverhältnisse und die Lügen und Wahrheiten seines Vaters, der im 2. Weltkrieg mehr als einmal desertiert ist. … Es ist viel Zeit vergangen seit er als kleiner Junge von seinem Großvater als »Verräterkind« bezeichnet und von seinem Vater manipuliert worden ist. 1987 während des Prozess gegen den Nazi-Verbrecher K.Barbie erhält Sorj Chalandon die Akten über seinen Vater und sucht in diesen Protokollen, Dokumenten und Beweisen nach der Wahrheit über diesen ihm so nahen und doch so fremden Vater. Warum sucht der Autor so vergeblich nach der Wahrheit seines Vaters? »Du warst im Knast, du Idiot! […] Das hättest du mir erzählen sollen. Ich muss wissen, wer du bist, um zu verstehen, woher ich komme. Ich will, dass du mit mir redest, dass du mir zuhörst, verstehst du, das verlange ich von dir! Ich bin nicht mehr in dem Alter, in dem man alles glaubt, sondern in dem, wo man versteht und akzeptiert. Diese Wahrheit bist du mir schuldig.« (S.63) Es ist ein aufwühlendes, emotionales Buch bei dem ich mehr als einmal schwer aufgeatmet habe. Der Prozess gegen einen Nazi-Verbrecher und die erschütternden Zeugenaussagen werden sehr gut in die autobiografische Erzählung gebettet. Ich habe sehr mit dem Autor mitgefühlt, der sich mit dem Lügenkonstrukt seines Vaters fast (?) schmerzhaft auseinandersetzt. Eine beeindruckende schriftstellerische Leistung, mit großartigen Formulierungen dank der großen Übersetzungsleistung! » »Warum haben Sie gelogen?«, fragt er. »Weil ich dachte, dass ich mir so besser Geltung verschaffen kann.« »Geltung verschaffen« habe ich mit einem fetten Rotstift un-terstrichen. Als du diese Worte zum ersten Mal in den Mund nahmst, warst du zweiundzwanzig, und heute, dreiundvierzig Jahre später, ist dieser Wunsch noch immer dein Elend und unser Schrecken.« (S. 126) Kein einfaches Buch, aber ein sehr wichtiges, das viele verschiedene Themen beleuchtet und vor allem eines zeigt: Das Wahrheit schwer greifbar ist. _______________________
Wenn ich den letzten Satz richtig verstehe, beziehungsweise die Danksagung am Schluss, dann liegt das Fiktionale in Sorj Chalandons autofiktionalem Roman vor allem in der dramaturgischen Montage zweier ihn prägender Ereignisse, die er in einen zeitlichen Zusammenhang bringt, obwohl dieser in der Realität, also der hier von mir gemutmaßten Realität, nicht existierte. Für mich hat das „Autofiktionale“ dadurch wirklich einen literarischen Sinn jenseits eines sonst genretypisch gern verschwommen-biografischen Hintergrunds. Aber von vorn. In VERRÄTERKIND erhält Ich-Erzähler Chalandon die sich unter Verschluss befindenden Protokolle zum Prozess gegen seinen Vater, der nach Ende des Zweiten Weltkriegs aufgrund einer möglichen Kollaboration während der deutschen Besatzungszeit geführt wurde. Chalandons Vater verteidigt sich in den Befragungen mit denselben Mitteln, mit denen er Jahre später auch seinem Sohn begegnete: mit Mythen und Legenden, gestrickt um die eigene Person, oft nur schwer zu beweisende Heldengeschichten. Die Dekonstruktion dieser widerspruchsreichen Erzählung, pendelnd zwischen Kollaboration, Verrat und Résistance, findet im Jahr 1987 statt, während Vater und Sohn gemeinsam den Prozess gegen den deutschen NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie im Gerichtssaal in Lyon verfolgen; Chalandon in offizieller Funktion als Gerichtsreporter, sein Vater als Kriegsveteran und augenscheinlicher Bewunderer Barbies. Während im Prozess Barbies Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt werden - Folter von Mitgliedern der Résistance, Razzien und Deportationen von Jüdinnen und Juden in Lyon -, erfährt Chalandon nach und nach die Wahrheit über seinen Vater und dessen eigene Schuld und Mitschuld. So ist VERRÄTERKIND nur in einem Teil die biografische Schilderung als die sie zunächst erscheint. Chalandon, als Journalist tatsächlich beim Prozess gegen Klaus Barbie anwesend, bringt in der Reproduktion von Zeugenaussagen und historischen Einordnungen auf eine beklemmende, bedrückende Weise die Besatzungszeit näher wie auch die systematische Verfolgung und Ermordung von Juden. Im Zentrum stehen bei Chalandon die als „Kinder von Izieu“ bekannt gewordenen 44 jüdischen Kinder, versteckt in einem Kinderheim, die nach ihrer Entdeckung deportiert und in Auschwitz ermordet wurden. Für Beate und Serge Klarsfeld war Gerechtigkeit für diese Kinder eine Motivation, Klaus Barbie nach dessen Flucht in Bolivien aufzuspüren. Die Ungeheuerlichkeit der Ereignisse in Lyon kulminiert letztlich in der Zeugenaussage von Léa Feldblum, einzige Überlebende der Deportation und Betreuerin der Kinder von Izieu. Was all das in Chalandons Vater auslöst, bleibt ein zu verhandelndes Mysterium dieses Romans. Doch hierin gelingt Chalandons literarisches Vorhaben, das in dieser Kombination aus Historie und Familienhistorie durchaus hätte scheitern können. Lügen und Verstrickungen des Vaters bleiben durch die autofiktionale Montage der Erzählung dabei nicht ohne Ergebnis. Dadurch, dass Chalandon die Akte über seinen Vater in Wirklichkeit erst sechs Jahre nach dessen Tod einsehen durfte, ist die Auseinandersetzung in VERRÄTERKIND eine eigentlich verspätete, nun fiktionale, in Form eines Was-wäre-wenn-Szenarios. Und eine Konfrontation, die dem Sohn zu Lebzeiten des Vaters verwehrt blieb. (Sorj Chalandon, Verräterkind. Übersetzt von Brigitte Grosse, dtv 2022)

Mehr von Sorj Chalandon
AlleBeschreibung
Autorenbeschreibung
Sorj Chalandon, geboren 1952 in Tunis, gilt als einer der bedeutendsten Journalisten und Schriftsteller Frankreichs. Viele Jahre lang schrieb er für die Zeitung ›Libération‹, seit 2009 ist er Journalist bei der Wochenzeitung ›Le Canard enchaîné‹. Für seine Reportagen über Nordirland und den Prozess gegen Klaus Barbie wurde er mit dem Albert-Londres-Preis ausgezeichnet. Auch sein schriftstellerisches Schaffen wurde mit zahlreichen Literaturpreisen gewürdigt, unter anderen dem Prix Médicis und dem großen Romanpreis der Académie française.
Beiträge
Emotional und aufwühlend Du meine Güte – was für einen Kracher hat Sorj Chalandon denn hier gezündet? Nichts Anderes als das (mein) ultimative(s) Jahreshighlight hat er mit „Verräterkind“ (aus dem Französischen übersetzt von Birgit Große, erschienen bei dtv) veröffentlicht. Dabei stößt man (ich) bei der Lektüre der 304 Seiten öfter an seine emotionale Grenze, als einem lieb ist. Zu aufwühlend erzählt Sorj Chalandon z. B. von seinem Besuch im ehemaligen Kinderheim von Izieu, aus dem am 6. April 1944 44 jüdische Waisenkinder verschleppt und anschließend deportiert wurden – veranlasst von dem Lyoner Gestapo-Chef Klaus Barbie, dessen Prozess im Mai 1987 einen Handlungsstrang des autofiktionalen Romans darstellt. Den anderen Prozess führt Sorj Chalandon mit bzw. gegen seinen Vater und dessen Lebenslügen. Schon als Kind wurde Sorj mit der Aussage seines Opas konfrontiert, er wäre ein „Verräterkind“. Im Lauf der Jahre erzählt der Vater dem Sohn immer neue ihn als strahlenden Helden darstellenden Geschichten. Doch dann bricht das Lügengerüst gnadenlos zusammen und es kommt zu einer tragischen Konfrontation… Sorj Chalandon ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Journalist. Als „Augenzeuge“ war er tatsächlich beim Prozess gegen Klaus Barbie dabei und wurde für seine Reportage 1988 auch mit dem Albert-Londres-Preis ausgezeichnet. In beeindruckenden Bildern und Sätzen macht Sorj Chalandon den ganzen Schmerz, die Trauer, die Wut der am Prozess beteiligten Personen für die Leserinnen und Leser sichtbar und stellt sich zwischen den Prozesstagen immer wieder den Fragen, die das Leben seines Vaters als Hochstapler und notorischen Lügner bei Sorj hervorrufen. Die zeitgleichen Prozesse haben so nie stattgefunden, aber es liest sich alles wie aus einem Guss – brillant. Durch die enorme Emotionalität und Tragik der Geschichte lässt sich der Roman nur bedingt am Stück „genießen“; ich brauchte z. B. immer wieder Pausen, um das Gelesene verarbeiten zu können. Trotzdem spreche ich hiermit eine absolute Leseempfehlung aus und vergebe 10 von 5* für dieses eindrucksvolle Dokument eines tragischen Kampfes zwischen Vater und Sohn, den ich keinem wünsche. ©kingofmusic
»»Was denn, mein Gott, er ist doch noch ein Kind!« [Tante] - »Genau! Ein Verräterkind, das sollte er wissen.« [Großvater] 1962 war das, da war ich zehn.« (S.29) Der französische Schriftsteller und Journalist Sorj Chalandon (*1952) hat für sein Schaffen zahlreichen Preisen erhalten und u. a. für seine Reportagen über den Prozess gegen den Klaus Barbie mit dem Albert-Londres-Preis (dem renommierteste Journalistenpreis Frankreichs) ausgezeichnet. In seinem autobiografischen Buch »Verräterkind« (»Enfant de salaud«, aus dem Französischen von Brigitte Große) schreibt der Autor in zwei Handlungssträngen über seine Erlebnisse als Journalist bei genau diesem Prozess gegen K. Barbie, und parallel über die Anwesenheit seines Vaters bei dem Prozess in Lyon, über toxische Familienverhältnisse und die Lügen und Wahrheiten seines Vaters, der im 2. Weltkrieg mehr als einmal desertiert ist. … Es ist viel Zeit vergangen seit er als kleiner Junge von seinem Großvater als »Verräterkind« bezeichnet und von seinem Vater manipuliert worden ist. 1987 während des Prozess gegen den Nazi-Verbrecher K.Barbie erhält Sorj Chalandon die Akten über seinen Vater und sucht in diesen Protokollen, Dokumenten und Beweisen nach der Wahrheit über diesen ihm so nahen und doch so fremden Vater. Warum sucht der Autor so vergeblich nach der Wahrheit seines Vaters? »Du warst im Knast, du Idiot! […] Das hättest du mir erzählen sollen. Ich muss wissen, wer du bist, um zu verstehen, woher ich komme. Ich will, dass du mit mir redest, dass du mir zuhörst, verstehst du, das verlange ich von dir! Ich bin nicht mehr in dem Alter, in dem man alles glaubt, sondern in dem, wo man versteht und akzeptiert. Diese Wahrheit bist du mir schuldig.« (S.63) Es ist ein aufwühlendes, emotionales Buch bei dem ich mehr als einmal schwer aufgeatmet habe. Der Prozess gegen einen Nazi-Verbrecher und die erschütternden Zeugenaussagen werden sehr gut in die autobiografische Erzählung gebettet. Ich habe sehr mit dem Autor mitgefühlt, der sich mit dem Lügenkonstrukt seines Vaters fast (?) schmerzhaft auseinandersetzt. Eine beeindruckende schriftstellerische Leistung, mit großartigen Formulierungen dank der großen Übersetzungsleistung! » »Warum haben Sie gelogen?«, fragt er. »Weil ich dachte, dass ich mir so besser Geltung verschaffen kann.« »Geltung verschaffen« habe ich mit einem fetten Rotstift un-terstrichen. Als du diese Worte zum ersten Mal in den Mund nahmst, warst du zweiundzwanzig, und heute, dreiundvierzig Jahre später, ist dieser Wunsch noch immer dein Elend und unser Schrecken.« (S. 126) Kein einfaches Buch, aber ein sehr wichtiges, das viele verschiedene Themen beleuchtet und vor allem eines zeigt: Das Wahrheit schwer greifbar ist. _______________________
Wenn ich den letzten Satz richtig verstehe, beziehungsweise die Danksagung am Schluss, dann liegt das Fiktionale in Sorj Chalandons autofiktionalem Roman vor allem in der dramaturgischen Montage zweier ihn prägender Ereignisse, die er in einen zeitlichen Zusammenhang bringt, obwohl dieser in der Realität, also der hier von mir gemutmaßten Realität, nicht existierte. Für mich hat das „Autofiktionale“ dadurch wirklich einen literarischen Sinn jenseits eines sonst genretypisch gern verschwommen-biografischen Hintergrunds. Aber von vorn. In VERRÄTERKIND erhält Ich-Erzähler Chalandon die sich unter Verschluss befindenden Protokolle zum Prozess gegen seinen Vater, der nach Ende des Zweiten Weltkriegs aufgrund einer möglichen Kollaboration während der deutschen Besatzungszeit geführt wurde. Chalandons Vater verteidigt sich in den Befragungen mit denselben Mitteln, mit denen er Jahre später auch seinem Sohn begegnete: mit Mythen und Legenden, gestrickt um die eigene Person, oft nur schwer zu beweisende Heldengeschichten. Die Dekonstruktion dieser widerspruchsreichen Erzählung, pendelnd zwischen Kollaboration, Verrat und Résistance, findet im Jahr 1987 statt, während Vater und Sohn gemeinsam den Prozess gegen den deutschen NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie im Gerichtssaal in Lyon verfolgen; Chalandon in offizieller Funktion als Gerichtsreporter, sein Vater als Kriegsveteran und augenscheinlicher Bewunderer Barbies. Während im Prozess Barbies Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt werden - Folter von Mitgliedern der Résistance, Razzien und Deportationen von Jüdinnen und Juden in Lyon -, erfährt Chalandon nach und nach die Wahrheit über seinen Vater und dessen eigene Schuld und Mitschuld. So ist VERRÄTERKIND nur in einem Teil die biografische Schilderung als die sie zunächst erscheint. Chalandon, als Journalist tatsächlich beim Prozess gegen Klaus Barbie anwesend, bringt in der Reproduktion von Zeugenaussagen und historischen Einordnungen auf eine beklemmende, bedrückende Weise die Besatzungszeit näher wie auch die systematische Verfolgung und Ermordung von Juden. Im Zentrum stehen bei Chalandon die als „Kinder von Izieu“ bekannt gewordenen 44 jüdischen Kinder, versteckt in einem Kinderheim, die nach ihrer Entdeckung deportiert und in Auschwitz ermordet wurden. Für Beate und Serge Klarsfeld war Gerechtigkeit für diese Kinder eine Motivation, Klaus Barbie nach dessen Flucht in Bolivien aufzuspüren. Die Ungeheuerlichkeit der Ereignisse in Lyon kulminiert letztlich in der Zeugenaussage von Léa Feldblum, einzige Überlebende der Deportation und Betreuerin der Kinder von Izieu. Was all das in Chalandons Vater auslöst, bleibt ein zu verhandelndes Mysterium dieses Romans. Doch hierin gelingt Chalandons literarisches Vorhaben, das in dieser Kombination aus Historie und Familienhistorie durchaus hätte scheitern können. Lügen und Verstrickungen des Vaters bleiben durch die autofiktionale Montage der Erzählung dabei nicht ohne Ergebnis. Dadurch, dass Chalandon die Akte über seinen Vater in Wirklichkeit erst sechs Jahre nach dessen Tod einsehen durfte, ist die Auseinandersetzung in VERRÄTERKIND eine eigentlich verspätete, nun fiktionale, in Form eines Was-wäre-wenn-Szenarios. Und eine Konfrontation, die dem Sohn zu Lebzeiten des Vaters verwehrt blieb. (Sorj Chalandon, Verräterkind. Übersetzt von Brigitte Grosse, dtv 2022)
