Rezitativ
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Beschreibung
Autorenbeschreibung
Toni Morrison wurde 1931 in Lorain, Ohio, geboren. Sie studierte an der renommierten Cornell University Anglistik und hatte an der Princeton University eine Professur für afroamerikanische Literatur inne. Zu ihren bedeutendsten Werken zählen «Sehr blaue Augen», «Solomons Lied», «Beloved», «Jazz» und ihr essayistisches Schaffen. Sie war Mitglied des National Council on the Arts und der American Academy of Arts and Letters. Ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen, u. a. mit dem National Book Critics' Circle Award und dem American-Academy-and-Institute-of-Arts-and-Letters Award für Erzählliteratur. 1993 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur, und 2012 zeichnete Barack Obama sie mit der Presidential Medal of Freedom aus. Toni Morrison starb am 5. August 2019.
Beiträge
Die Frage ob Schwarz oder Weiß ?! Wir Leser als Versuchskaninchen 🤍🖤🐇
Toni Morrisons außergewöhnliche Erzählung „Rezitativ“ war explizit als Experiment gedacht. Alle rassifizierenden Codes sollten in dieser Erzählung entfernt werden, die für eine Schwarze und eine weiße Figur und die jeweils mit ihrer Race verbundenen Identität, von grundlegender Bedeutung sind. Die beiden Figuren, um die sich „Rezitativ“ dreht, sind Roberta und Twyla. Beide sind von Armut gebeutelte, achtjährige Mädchen, welche in staatlicher Obhut in einem Kinderheim, vier gemeinsame Monate verbringen. Es beginnt mit einer Schilderung Twylas: „Meine Mutter tanzte die ganze Nacht, und die von Roberta war krank.“ Später werden sie zusammen auf ein Zimmer gesteckt, einem „fremden Ort […] zusammen mit einem Mädchen von ganz anderer Hautfarbe“. Egal wie akribisch man liest, es bleibt offen, welches der Mädchen schwarz und welches weiß ist. Wir erfahren viel über ihr Leben, ihre Kleidung, ihre Beziehungen, ihre Artikulationen, später von ihren Kindern - aber das wesentliche Detail wird uns nicht mitgeteilt. Man kann diese Geschichte wie eine Mysterygeschichte oder ein Rätsel wahrnehmen, nur dass wir am Ende nicht des Rätsels Lösung erhalten. Toni Morrison nimmt ihren Erzählungsaufbau, das Experiment, sehr genau und am Ende bleiben wir Leser als Versuchskaninchen zurück.
Diese Erzählung ist gerade mal 44 Seiten lang, aber - oh boy - hat sie es in sich. Twyla und Roberta verbringen mit acht Jahren vier Monate gemeinsam in einem Kinderheim. Weil die Mutter der einen krank ist und die andere gerne die Nächte durchtanzt. Eins der Mädchen ist schwarz und das andere weiß. Welches Mädchen welches ist, verrät Toni Morrison gezielt nicht, sondern schickt einen vielmehr auf eine Reise, die einen sich selbst und die eigenen Vorurteile hinterfragen lässt. Und einen vor allem vor die sehr unangenehme Frage stellt: Warum ist es so wichtig, die Antwort zu wissen? Ich weiß jetzt schon, dass dieses Buchlein in mir weiterarbeiten wird und ich es noch oft in die Hand nehmen werde.
Ein starkes Buch vor allem durch das sehr gute Nachwort.
Zwischen Wahrheit und Vorurteil: Ein literarisches Experiment
Toni Morrisons einzige Kurzgeschichte ist ebenso raffiniert wie herausfordernd. In Rezitativ wird bewusst offengelassen, welche der beiden Protagonistinnen – Twyla oder Roberta – Schwarz oder weiß ist. Diese bewusste Erzählentscheidung ist kein Kunstgriff, sondern ein zentrales Element der Komposition: Morrison fordert ihre Leser dazu auf, die eigenen Vorannahmen, Lesegewohnheiten und tief verankerten Stereotype zu hinterfragen. Die Suche nach vermeintlichen Hinweisen auf ethnische Zugehörigkeit wird so zur Auseinandersetzung mit internalisierten Denkmustern. Die Geschichte verhandelt auf engem Raum große Themen: Rassismus, Klassenzugehörigkeit, soziale Ungleichheit, Erinnerung und moralische Verantwortung. Dabei lebt der Text nicht von äußeren Ereignissen, sondern von Leerstellen, Widersprüchen und ambivalenten Erinnerungen. Was „wahr“ ist, bleibt oft offen – etwa im Fall der Figur Maggie, einer stummen Frau aus der Kindheit der beiden Protagonistinnen. Unterschiedliche Rückblicke auf sie werden zum Prüfstein für Wahrheit, Schuld und Verdrängung. Morrisons Sprache ist auffallend reduziert – ein bewusster Verzicht auf Ausschmückung, der den Blick auf das Wesentliche lenkt: auf das, was unausgesprochen bleibt. Gerade diese formale Zurückhaltung steht im starken Kontrast zur inhaltlichen Tiefe. Rezitativ ist kein klassisches Erzählen, sondern vielmehr ein literarisches Experiment, das Identitätskategorien dekonstruiert und gesellschaftliche Zuschreibungen infrage stellt. In seiner Präzision, seiner Strenge und seiner Offenheit für Mehrdeutigkeit wirkt der Text verstörend aktuell – besonders in Zeiten, in denen Identitätspolitik und Erinnerungskultur verstärkt im Fokus stehen.
Interessanter Selbstversuch! Welche Eigenschaft sortiert mein Hirn welcher Hautfarbe zu. Schwarz oder weiß? - gibt es überhaupt charakteristische Merkmale in Benehmen, Charakter, Sprache, Sozialverhalten...? Sehr kluge Erzählung - in manchen Teilen für mich nicht zu erfassen. Deswegen war ich dankbar für die ausführliche Besprechung, die sich anschloss.

Unglaublich spannendes Experiment in Form einer Kurzgeschichte.
Ein Mädchen schwarz, ein Mädchen weiß, findet man als Leser:in heraus welches von den beiden? Für mich waren sie beim Lesen in erster Linie Menschen, ich hatte nicht das Bedürfnis dies herauszufinden. Mit einem grossartigen Nachwort von Zadie Smith.
Jeder sollte dieses Buch lesen.
Diese Erzählung hat unfassbar viel in mir ausgelöst: Bewunderung, Schock, Scham aber auch Motivation und Hoffnung. Toni Morrison schrieb ein Experiment. Eine Geschichte von zwei Mädchen, die eine Zeit lang gemeinsam in einem Heim aufwachsen. Eine von beiden ist Schwarz, die andere ist weiß. Doch welches Mädchen ist Schwarz und welches ist weiß. Mithilfe von „Stereotypen“, oder auch „rezitativer“ Sprache führt Morrison ein Gedankenexperiment durch, das ich so beim Lesen noch nicht erlebt habe. Ja, ich habe mich während des Lesens gefragt, welches Mädchen ein PoC-Person ist und das hat viel Scham in mir ausgelöst. Doch besonders das Nachwort von Zadie Smith hat mir gezeigt, dass genau diese Gefühlslage mit diesem Experiment ausgelöst werden sollte. Es bedeutet, dass wir noch immer danach suchen, welche Eigenschaften oder Familienhintergründe für eine PoC-Person sprechen und warum dies so ist und warum wir dennoch nicht anfangen können, alle gleich zu behandeln, sondern es eine Gleichberechtigung geben muss, sodass alle Menschen die selben Chancen und Lebensbedingungen haben. Ich bin keine Expertin, aber ich versuche mich weiter mit den Thema Segregation und Intersectionality auseinanderzusetzen. Hierbei lerne ich so unfassbar viel. Wenn ihr mehr wissen wollt, solltet ihr euch unbedingt mal das Instagram-Profil von Natasha A. Kelly anschauen. In meinem 2. Semester durfte ich an einer Diskussionsrunde mit ihr teilnehmen und es hat mein Denken und meine Haltung deutlich geprägt. Danke an dieser Stelle dafür! Also lest und lernt so viel ihr könnt über Women, Race und Class ( Angela Y. Davis) und die Intersektionalität dieser realen Phänomene. Disclaimer: Ich hoffe, dass ich alles hier korrekt ausgedrückt habe, aber wenn ihr Tipps/Anregungen habt, bin ich super offen dazuzulernen. Danke!
Ich weiß, ich werde noch weiteres von Toni Morrison lesen!
Cave: evtl Spoiler Klug, eloquent, menschlich bringt sie in dieser Kurzgeschichte ganz wesentliches zum Ausdruck - Rassismus und die daraus folgenden Strukturen sind Menschen gemacht. Sie überführt den Leser durch ihre Protagonistinnen, wir müssen nicht wissen welche Hautfarbe jemand hat um die Strukturen rassistischen Denkens und Handelns zu erkennen, das wiederum bedeutet es liegt an uns, wir müssen so nicht leben und denken, es ist veränderbar. Über die Hälfte des Buches enthält Zadie Smith' Nachwort. Für mein empfinden zuviel, ich will die Freiheit haben, selbst zu denken und zu verstehen. Ich bewundere Toni Morrison, bedeutsame und inhaltstarke auf so wenige Seiten zu transportieren.

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Autorenbeschreibung
Toni Morrison wurde 1931 in Lorain, Ohio, geboren. Sie studierte an der renommierten Cornell University Anglistik und hatte an der Princeton University eine Professur für afroamerikanische Literatur inne. Zu ihren bedeutendsten Werken zählen «Sehr blaue Augen», «Solomons Lied», «Beloved», «Jazz» und ihr essayistisches Schaffen. Sie war Mitglied des National Council on the Arts und der American Academy of Arts and Letters. Ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen, u. a. mit dem National Book Critics' Circle Award und dem American-Academy-and-Institute-of-Arts-and-Letters Award für Erzählliteratur. 1993 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur, und 2012 zeichnete Barack Obama sie mit der Presidential Medal of Freedom aus. Toni Morrison starb am 5. August 2019.
Beiträge
Die Frage ob Schwarz oder Weiß ?! Wir Leser als Versuchskaninchen 🤍🖤🐇
Toni Morrisons außergewöhnliche Erzählung „Rezitativ“ war explizit als Experiment gedacht. Alle rassifizierenden Codes sollten in dieser Erzählung entfernt werden, die für eine Schwarze und eine weiße Figur und die jeweils mit ihrer Race verbundenen Identität, von grundlegender Bedeutung sind. Die beiden Figuren, um die sich „Rezitativ“ dreht, sind Roberta und Twyla. Beide sind von Armut gebeutelte, achtjährige Mädchen, welche in staatlicher Obhut in einem Kinderheim, vier gemeinsame Monate verbringen. Es beginnt mit einer Schilderung Twylas: „Meine Mutter tanzte die ganze Nacht, und die von Roberta war krank.“ Später werden sie zusammen auf ein Zimmer gesteckt, einem „fremden Ort […] zusammen mit einem Mädchen von ganz anderer Hautfarbe“. Egal wie akribisch man liest, es bleibt offen, welches der Mädchen schwarz und welches weiß ist. Wir erfahren viel über ihr Leben, ihre Kleidung, ihre Beziehungen, ihre Artikulationen, später von ihren Kindern - aber das wesentliche Detail wird uns nicht mitgeteilt. Man kann diese Geschichte wie eine Mysterygeschichte oder ein Rätsel wahrnehmen, nur dass wir am Ende nicht des Rätsels Lösung erhalten. Toni Morrison nimmt ihren Erzählungsaufbau, das Experiment, sehr genau und am Ende bleiben wir Leser als Versuchskaninchen zurück.
Diese Erzählung ist gerade mal 44 Seiten lang, aber - oh boy - hat sie es in sich. Twyla und Roberta verbringen mit acht Jahren vier Monate gemeinsam in einem Kinderheim. Weil die Mutter der einen krank ist und die andere gerne die Nächte durchtanzt. Eins der Mädchen ist schwarz und das andere weiß. Welches Mädchen welches ist, verrät Toni Morrison gezielt nicht, sondern schickt einen vielmehr auf eine Reise, die einen sich selbst und die eigenen Vorurteile hinterfragen lässt. Und einen vor allem vor die sehr unangenehme Frage stellt: Warum ist es so wichtig, die Antwort zu wissen? Ich weiß jetzt schon, dass dieses Buchlein in mir weiterarbeiten wird und ich es noch oft in die Hand nehmen werde.
Ein starkes Buch vor allem durch das sehr gute Nachwort.
Zwischen Wahrheit und Vorurteil: Ein literarisches Experiment
Toni Morrisons einzige Kurzgeschichte ist ebenso raffiniert wie herausfordernd. In Rezitativ wird bewusst offengelassen, welche der beiden Protagonistinnen – Twyla oder Roberta – Schwarz oder weiß ist. Diese bewusste Erzählentscheidung ist kein Kunstgriff, sondern ein zentrales Element der Komposition: Morrison fordert ihre Leser dazu auf, die eigenen Vorannahmen, Lesegewohnheiten und tief verankerten Stereotype zu hinterfragen. Die Suche nach vermeintlichen Hinweisen auf ethnische Zugehörigkeit wird so zur Auseinandersetzung mit internalisierten Denkmustern. Die Geschichte verhandelt auf engem Raum große Themen: Rassismus, Klassenzugehörigkeit, soziale Ungleichheit, Erinnerung und moralische Verantwortung. Dabei lebt der Text nicht von äußeren Ereignissen, sondern von Leerstellen, Widersprüchen und ambivalenten Erinnerungen. Was „wahr“ ist, bleibt oft offen – etwa im Fall der Figur Maggie, einer stummen Frau aus der Kindheit der beiden Protagonistinnen. Unterschiedliche Rückblicke auf sie werden zum Prüfstein für Wahrheit, Schuld und Verdrängung. Morrisons Sprache ist auffallend reduziert – ein bewusster Verzicht auf Ausschmückung, der den Blick auf das Wesentliche lenkt: auf das, was unausgesprochen bleibt. Gerade diese formale Zurückhaltung steht im starken Kontrast zur inhaltlichen Tiefe. Rezitativ ist kein klassisches Erzählen, sondern vielmehr ein literarisches Experiment, das Identitätskategorien dekonstruiert und gesellschaftliche Zuschreibungen infrage stellt. In seiner Präzision, seiner Strenge und seiner Offenheit für Mehrdeutigkeit wirkt der Text verstörend aktuell – besonders in Zeiten, in denen Identitätspolitik und Erinnerungskultur verstärkt im Fokus stehen.
Interessanter Selbstversuch! Welche Eigenschaft sortiert mein Hirn welcher Hautfarbe zu. Schwarz oder weiß? - gibt es überhaupt charakteristische Merkmale in Benehmen, Charakter, Sprache, Sozialverhalten...? Sehr kluge Erzählung - in manchen Teilen für mich nicht zu erfassen. Deswegen war ich dankbar für die ausführliche Besprechung, die sich anschloss.

Unglaublich spannendes Experiment in Form einer Kurzgeschichte.
Ein Mädchen schwarz, ein Mädchen weiß, findet man als Leser:in heraus welches von den beiden? Für mich waren sie beim Lesen in erster Linie Menschen, ich hatte nicht das Bedürfnis dies herauszufinden. Mit einem grossartigen Nachwort von Zadie Smith.
Jeder sollte dieses Buch lesen.
Diese Erzählung hat unfassbar viel in mir ausgelöst: Bewunderung, Schock, Scham aber auch Motivation und Hoffnung. Toni Morrison schrieb ein Experiment. Eine Geschichte von zwei Mädchen, die eine Zeit lang gemeinsam in einem Heim aufwachsen. Eine von beiden ist Schwarz, die andere ist weiß. Doch welches Mädchen ist Schwarz und welches ist weiß. Mithilfe von „Stereotypen“, oder auch „rezitativer“ Sprache führt Morrison ein Gedankenexperiment durch, das ich so beim Lesen noch nicht erlebt habe. Ja, ich habe mich während des Lesens gefragt, welches Mädchen ein PoC-Person ist und das hat viel Scham in mir ausgelöst. Doch besonders das Nachwort von Zadie Smith hat mir gezeigt, dass genau diese Gefühlslage mit diesem Experiment ausgelöst werden sollte. Es bedeutet, dass wir noch immer danach suchen, welche Eigenschaften oder Familienhintergründe für eine PoC-Person sprechen und warum dies so ist und warum wir dennoch nicht anfangen können, alle gleich zu behandeln, sondern es eine Gleichberechtigung geben muss, sodass alle Menschen die selben Chancen und Lebensbedingungen haben. Ich bin keine Expertin, aber ich versuche mich weiter mit den Thema Segregation und Intersectionality auseinanderzusetzen. Hierbei lerne ich so unfassbar viel. Wenn ihr mehr wissen wollt, solltet ihr euch unbedingt mal das Instagram-Profil von Natasha A. Kelly anschauen. In meinem 2. Semester durfte ich an einer Diskussionsrunde mit ihr teilnehmen und es hat mein Denken und meine Haltung deutlich geprägt. Danke an dieser Stelle dafür! Also lest und lernt so viel ihr könnt über Women, Race und Class ( Angela Y. Davis) und die Intersektionalität dieser realen Phänomene. Disclaimer: Ich hoffe, dass ich alles hier korrekt ausgedrückt habe, aber wenn ihr Tipps/Anregungen habt, bin ich super offen dazuzulernen. Danke!
Ich weiß, ich werde noch weiteres von Toni Morrison lesen!
Cave: evtl Spoiler Klug, eloquent, menschlich bringt sie in dieser Kurzgeschichte ganz wesentliches zum Ausdruck - Rassismus und die daraus folgenden Strukturen sind Menschen gemacht. Sie überführt den Leser durch ihre Protagonistinnen, wir müssen nicht wissen welche Hautfarbe jemand hat um die Strukturen rassistischen Denkens und Handelns zu erkennen, das wiederum bedeutet es liegt an uns, wir müssen so nicht leben und denken, es ist veränderbar. Über die Hälfte des Buches enthält Zadie Smith' Nachwort. Für mein empfinden zuviel, ich will die Freiheit haben, selbst zu denken und zu verstehen. Ich bewundere Toni Morrison, bedeutsame und inhaltstarke auf so wenige Seiten zu transportieren.
