Hier sind Löwen
Jetzt kaufen
Durch das Verwenden dieser Links unterstützt du READO. Wir erhalten eine Vermittlungsprovision, ohne dass dir zusätzliche Kosten entstehen.
Beschreibung
Autorenbeschreibung
Katerina Poladjan wurde in Moskau geboren, wuchs in Rom und Wien auf und lebt in Deutschland. Sie schreibt Theatertexte und Essays, auf ihr Prosadebüt »In einer Nacht, woanders« folgte »Vielleicht Marseille« und gemeinsam mit Henning Fritsch schrieb sie den literarischen Reisebericht »Hinter Sibirien«. Sie war für den Alfred-Döblin-Preis nominiert wie auch für den European Prize of Literature und nahm 2015 bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt teil. Für »Hier sind Löwen« erhielt sie Stipendien des Deutschen Literaturfonds, des Berliner Senats und von der Kulturakademie Tarabya in Istanbul. 2021 wurde sie mit dem Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund ausgezeichnet. Mit »Zukunftsmusik« stand Katerina Poladjan auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse 2022 und wurde mit dem Rheingau Literatur Preis 2022 ausgezeichnet.Literaturpreise:- Trophée Littéraire des Nouvelles d'Arménie 2023 (für die französischsprachige Ausgabe von »Hier sind Löwen«)- Rheingau Literatur Preis 2022- Chamisso-Preis Dresden 2022- Nelly-Sachs-Preis 2021- Alfred-Döblin-Stipendium 2019- Stipendium Deutscher Literaturfonds 2016/2017- Residenzstipendium Kulturakademie Tarabya Istanbul 2016- Stipendium der Stiftung Preussische Seehandlung 2016- Shortlist für den European Union Prize for Literature 2016- Nominierung für den Alfred-Döblin-Preis 2015- Literaturpreis »Der kleine Hai« der Buchhandlung Wist, Potsdam 2015- Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2015- Senatsstipendium der Stadt Berlin 2015- Alfred-Döblin-Stipendium 2014- Grenzgänger Stipendium der Robert Bosch Stiftung 2014- Stipendium der Neuen Gesellschaft für Literatur 2003
Beiträge
Zurücklassen
Ich wollte den Roman von Katerina Poladjan, der 2019 für den Deutschen Buchpreis nominiert war, schon lange lesen und bin sehr froh, dass ich einen literarischen Einblick in die Geschichte Armeniens erhalten konnte. Auf zwei Zeitebenen begleiten wir in der Gegenwart Helen, die als Buchrestauratorin nach Armenien reist und dort nicht nur auf eine alte Familienbibel, sondern auch ihre eigene Familiengeschichte stößt. Die Herkunft der von Helen restaurierten Bibel lässt uns wiederum in die Flucht der Geschwister Hrant und Anahid vor den Türken eintauchen. Obwohl die Gestaltung zweier Zeitebenen und die grundlegenden Handlungselemente nichts Außergewöhnliches oder Innovatives darstellen, konnte mich Poladjan durch ihre ganz eigene und wiedererkennbare Sprache beeindrucken. Insbesondere die Dialoge zwischen Helen und ihren Bekanntschaften in Armenien waren von einer solchen Trockenheit, dass man Helen schon recht sonderbar finden muss. Sie scheint eine tiefe Traurigkeit zu verinnerlichen, die in den unkonventionellen Gesprächen immer wieder zum Ausdruck kommt. Trotzdem hat es Poladjan geschafft, dass Helen nicht per se unsympathisch wirkt, auch wenn sie durch ihre spezielle Art eher auf Distanz bleibt. Sehr emotional und berührend war auf der anderen Seite die Geschichte der beiden Geschwister. Bei genauem Lesen kommen wir der Verbindung zwischen Helen, Anahid und Hrant auf die Spur - Doch der Faden ist sehr dünn und nicht mehr als eine Andeutung, was ich persönlich aber sehr gelungen fand. Sowieso schafft es Poladjan kleine Geheimnisse in ihren Texten zu verstecken, was für mich ebenfalls zu ihrem individuellen Stil gehört. Im letzten Drittel hatte die Geschichte für mich ein paar Längen, das Ende hat mich jedoch mit voller Wucht getroffen und wird mich so schnell auch nicht mehr loslassen.
Hic sunt leones – wo die Welt zu Ende ist. Romane über Menschen, die in irgendeiner Form Teil des Literaturbetriebs sind, gibt es viele. In der Unterhaltungsliteratur sind es meist Autorinnen oder Buchhändlerinnen, die zu Wort kommen, und oft werden sie verstrickt in charmante Liebesgeschichten, die sich ebenso leicht ansiedeln ließen in Cafés, Strickläden oder Familienhotels, gerne in den Highlands, am Ufer der Themse oder irgendwo am Inselweg. Dagegen lässt sich nichts einwenden, aber „Hier sind Löwen“ ist keines dieser Bücher. Helen Mazavian ist Buchrestauratorin der alten Schule. Sie geht mit heiligem Ernst an die Aufgabe, Bücher vor Schimmel, Mottenfraß und Verfall zu retten. Ihr Beruf ist in diesem Roman kein bloßer Aufhänger, kein Platzhalter, sondern Herzblut und Leidenschaft. Und so ist es auch nicht ihr armenisches Erbe, das sie in die armenische Hauptstadt Jerewan bringt, sondern der Wunsch, im Rahmen eines Kulturaustauschs die armenische Buchbindekunst zu erlernen. Sie kann die Bücher nicht lesen, die ihr anvertraut werden, und doch fühlt sie, die in Deutschland aufwuchs und in Istanbul ihren Beruf erlernte, als Halbarmenierin zum ersten Mal einen Hauch wahrer Zugehörigkeit. „Dikranian. Abovyan. Petrosian. Mazavian. Mein Nachname war plötzlich in phonetischer Gesellschaft.“ Es gab nie zuvor eine Zeit in ihrem Leben, in der sie alleine durch diesen Familiennamen einem Ort angehörte, wo ihre familiäre Herkunft eine mehr als nebensächliche Rolle spielt. Erst jetzt wird ihr bewusst, dass es bisher eine Leerstelle in ihrem Leben gab. Dennoch schleichen sich schnell Misstöne in das vorsichtige Heimatgefühl: zuhause in Deutschland ist Helen zu sehr armenisch, hier zu wenig. Dieses zerrissene Land mit seiner konfliktreichen Vergangenheit ist Teil ihres Erbes, hier floss Blut von ihrem Blut. Aber wie viel will und kann sie annehmen von den Krisen, die sie selber nicht miterlebt hat, wo sie doch fern dieses Bannkreises in Deutschland aufwuchs – von Aufstieg und Fall der muslimischen und russischen Herrschaft, von Arbeitsbataillonen, Todesmärschen und systematischem Genozid? Helen ist davon nur zwei Generationen entfernt und doch in einer ganz anderen Welt aufgewachsen. »Hrant will nicht aufwachen. Mach, dass er aufwacht.« Diese Sätze, die in die Familienbibel geschrieben wurden, die Helen restauriert, sind die Quintessenz eines Dramas, einer wahren Tragödie. Die Frage, was aus der Person geworden ist, die sie geschrieben hat, lässt Helen nicht mehr los. Und das ist der zweite Handlungsstrang des Buches, der einen Bogen in die Vergangenheit schlägt: die Geschichte von Anahid und ihrem kleinen Bruder Hrant, die die Massaker im Jahr 1915 überleben – im Gegensatz zu ihren Eltern. Sie verkörpern genau das, wovon Helen nur ein leises Missbehagen geerbt hat, hier werden die Gräuel und die grausamen Verletzungen jeglicher Menschenrechte konkret und real. Die Kinder ziehen los, mit dem einzigen Ziel: Überleben. Egal wie. Anahid wächst über sich hinaus und versucht, der Flucht für Hrant etwas Märchenhaftes zu geben, die beiden Geschwister zu Helden ihres eigenen Schicksals zu machen. Das ist herzzerreißend, aber nicht reißerisch. Auf traurige Weise unwiderstehlich. Man atmet auf, wenn das Buch zwischendurch zurückkehrt zu Helen, die dieses Stück Vergangenheit in den Händen hält, das fragliche Kapitel der Geschichte jedoch im wahrsten Sinne des Wortes zuklappen kann.Wenigstens für eine gewisse Zeit, denn weder der Leser noch Helen können sich davon lösen. Allerdings verblassen Helens Teile der Handlung meines Erachtens im Vergleich etwas. Sie bleibt in der späten Erkundung des Landes ihrer Ahnen eher halbherzig, fast widerwillig. Obwohl ihre Mutter ihr aufgetragen hat, Nachforschungen über ein altes Familienfoto anzustellen und die abgebildeten Verwandten zu suchen, löst erst dieses kleine „Hrant will nicht aufwachen“ Helen aus ihre Passivität. Es gibt auch eine Art Liebesgeschichte, die ebenso unscharf gezeichnet ist, aber erfreulicherweise nie in Kitsch verfällt: Helen hat einen Lebensgefährten zuhause und einen Geliebten in Jerewan, für den die Konflikte beileibe kein Teil der Vergangenheit sind und der sie damit auch für den Leser in die Gegenwart trägt. Wenn einem vor Lektüre des Buches die Komplexität der armenischen Geschichte und der aktuellen Situation nicht bewusst war, hat man danach immerhin eine recht deutliche Vorstellung davon, wie viel es darüber zu lernen gibt. Der Genozid an den Armeniern ist das Alpha und das Omega dieser Geschichte. Die Sprache ist klar, verzichtet auf Pathos, Rührseligkeit oder forciertes Drama – das hat die Geschichte nicht nötig, denn die Realität, auf der sie beruht, spricht ohnehin laut und deutlich aus den Worten. Fazit Für mich als Hobby-Buchbinderin war diese Geschichte einer Buchrestauratorin, die in Jerewan mit der armenischen Geschichte konfrontiert wird, quasi Pflichtprogramm. Doch aus den Seiten spricht mehr als profunde Kenntnis über Bindetechniken und Reparaturmethoden: Ein Handlungsstrang beschäftigt sich mit Helen, die sich als Halbarmenierin der Geschichte ihrer Familie bisher eher verweigert hat. In einer Familienbibel, die sie restauriert, findet sie den handschriftlichen Satz „Hrant will nicht aufwachen“ – und damit beginnt der zweite Handlungsstrang, in dem es um die junge Anahid und ihren kleinen Bruder Hrant geht, die die Massaker von 1915 um Haaresbreite überleben und die Familienbibel auf ihre Flucht mitnehmen. Vergangenheit und Gegenwart greifen ineinander, meist trotz der zahlreichen Konflikte in ruhiger, gelassener Sprache. Dass auch die Autorin armenische Wurzeln hat, spielt sicher eine Rolle dabei, wie wahrhaftig sich das liest. Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog: https://wordpress.mikkaliest.de/rezension-katerina-poladjan-hier-sind-loewen/
Mir hat der Schreibstil des Buches echt gut gefallen, doch leider kam ich so gar nicht in die Geschichte rein. Irgendwie fehlte mir das eine richtige Storyline. Schade.
Wer einen Roman sucht, der in leisen, ruhigen Tönen seine Geschichte erzählt, der ist bei "Hier sind Löwen" von Katerina Poladjan genau richtig aufgehoben. Auf knapp 300 Seiten bekam ich einen Einblick in die armenische Geschichte und die Verfolgung der Armenier durch die Türken. Auch die zwei Zeitebenen und deren Zusammenführung haben mir gut gefallen. Nicht umsonst nominiert für den Deutschen Buchpreis.
Toller Schreibstil, eine Geschichte, die mich in den Bann gezogen hat. Keine zusammenhängenden Ereignisse, mehr Vibes als Inhalt. Aber das hat für mich den Zauber ausgemacht und mich dazu bewegt, immer weiter zu lesen. Tolles Buch!
Ein Roman über eine deutsche Buchrestauratorin mit armenischen Wurzeln, die in das Heimatland ihrer Mutter reist, um dort eine alte Familienbibel zu restaurieren, von der armenische Buchbindekunst zu lernen und dabei der Geschichte des Buchs und der Familie, der es gehörte auf der Spur ist. Das hört sich spannend an und gehört durchaus in mein Beuteschema. Doch es sollte nicht so sein, denn für meinen Geschmack leidet das Buch unter den Lücken, die es aufgrund der Faszination der Autorin für fragmentarisches Schreiben hat. Zudem will das Buch jede Menge Emotionen wecken und der Leserschaft weniger ein Wissen über das Land und die Geschichte vermitteln, sondern vielmehr ein Gefühl transportieren. Dafür kann ich empfänglich sein, aber nicht auf die Art und Weise, wie es Frau Katerina Poladjan tut. Ich schalte das Deckenlicht an. Auf mehreren Tischen liegen Papierstapel und Pergamentrollen ausgebreitet. Ich rieche Erde, Ei und Pilz, Holzstaub und altes Tier. Mein Atem streift den Einband, mein Atem ist zu warm, zu warm auch meine Haut. Ich arbeite ohne Handschuhe, halte inne. (...) Mit diesen Sätzen beginnt der Roman und man merkt gleich: hier geht es um ganzheitliche Erfahrungen. Sehen, fühlen, riechen, denken, spüren. Auch noch im Präsens, der aber im folgenden Kapitel ins Perfekt wechselt. So weit so gut, ich lese auch mal Romane, deren Ziel es ist, mich vollständig über das Gefühl abzuholen. Ein paar Seiten weiter, dann ein Dialog, der sich in dieser Form durch das ganze Buch zieht: "Was macht der Kaukasus?" "Der Kaukasus ist dunkel." "Wie war deine Reise?" "In Moskau musste ich lange warten." "Wie ist die Wohnung?" "Interessant." "Sonst?" "Noch ich." "Ich küsse dich, du Kröte." Ja, sie sagt "noch ich". Was soll das? Inhaltlich bringt mich der Dialog nicht weiter. Also will dieses Geplänkel auch ein Gefühl transportieren. Wie einsilbig Armenier sind? Ich habe keine Ahnung. Später im Buch heißt es pauschal, dass alle Armenier traurig sind. Alle. Wenig später dann folgender Dialog: „Wer ist das auf dem Foto. Dein Mann?“ „Das ist Danil.“ „Dein Bauch ist weich, hast du ein Kind?“ „Nein, ich habe nur einen weichen Bauch. Und du hast auch einen weichen Bauch.“ „Ich habe eine Tochter [...] keine Sorge, ich lebe mit der Mutter nicht mehr zusammen.“ „Ich hab keine Sorge.“ „Das ist mir unheimlich.“ „Wirklich?“ „Hast du keine Zigaretten?“ „Ich hab Tomaten […]“ Keine Ahnung, was das soll. Vielleicht rauchen Armenier Tomaten. Vielleicht ist es ein Spiel der Autorin, dass sie Collagen aus verschiedenen Dialogen zusammenklebt. Ich weiß nur, dass sie ganz bedeutungsschwanger wirken will, aber dieses prätentiöse Geplänkel ging mir so sehr auf die Nerven, dass ich das Buch nach 100 Seiten abbrach. Wenn jemand gerne französische Art Nouveau Filme schaut, am besten schwarz-weiß, mit langen Kameraeinstellungen und besorgten Blicken des Helden in die Weite, dann gefällt ihm auch sicher dieses Buch. Wenn jemand mehr über Armenien und den Völkermord erfahren will, der sollte m.M.n. eher die entsprechenden Wikipedia-Artikel lesen. Für sehr gefühlsbetonte Leser/innen sicher ein Genuss. Aber leider kein Buch für mich.
3,5 Sterne
Beschreibung
Autorenbeschreibung
Katerina Poladjan wurde in Moskau geboren, wuchs in Rom und Wien auf und lebt in Deutschland. Sie schreibt Theatertexte und Essays, auf ihr Prosadebüt »In einer Nacht, woanders« folgte »Vielleicht Marseille« und gemeinsam mit Henning Fritsch schrieb sie den literarischen Reisebericht »Hinter Sibirien«. Sie war für den Alfred-Döblin-Preis nominiert wie auch für den European Prize of Literature und nahm 2015 bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt teil. Für »Hier sind Löwen« erhielt sie Stipendien des Deutschen Literaturfonds, des Berliner Senats und von der Kulturakademie Tarabya in Istanbul. 2021 wurde sie mit dem Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund ausgezeichnet. Mit »Zukunftsmusik« stand Katerina Poladjan auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse 2022 und wurde mit dem Rheingau Literatur Preis 2022 ausgezeichnet.Literaturpreise:- Trophée Littéraire des Nouvelles d'Arménie 2023 (für die französischsprachige Ausgabe von »Hier sind Löwen«)- Rheingau Literatur Preis 2022- Chamisso-Preis Dresden 2022- Nelly-Sachs-Preis 2021- Alfred-Döblin-Stipendium 2019- Stipendium Deutscher Literaturfonds 2016/2017- Residenzstipendium Kulturakademie Tarabya Istanbul 2016- Stipendium der Stiftung Preussische Seehandlung 2016- Shortlist für den European Union Prize for Literature 2016- Nominierung für den Alfred-Döblin-Preis 2015- Literaturpreis »Der kleine Hai« der Buchhandlung Wist, Potsdam 2015- Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2015- Senatsstipendium der Stadt Berlin 2015- Alfred-Döblin-Stipendium 2014- Grenzgänger Stipendium der Robert Bosch Stiftung 2014- Stipendium der Neuen Gesellschaft für Literatur 2003
Beiträge
Zurücklassen
Ich wollte den Roman von Katerina Poladjan, der 2019 für den Deutschen Buchpreis nominiert war, schon lange lesen und bin sehr froh, dass ich einen literarischen Einblick in die Geschichte Armeniens erhalten konnte. Auf zwei Zeitebenen begleiten wir in der Gegenwart Helen, die als Buchrestauratorin nach Armenien reist und dort nicht nur auf eine alte Familienbibel, sondern auch ihre eigene Familiengeschichte stößt. Die Herkunft der von Helen restaurierten Bibel lässt uns wiederum in die Flucht der Geschwister Hrant und Anahid vor den Türken eintauchen. Obwohl die Gestaltung zweier Zeitebenen und die grundlegenden Handlungselemente nichts Außergewöhnliches oder Innovatives darstellen, konnte mich Poladjan durch ihre ganz eigene und wiedererkennbare Sprache beeindrucken. Insbesondere die Dialoge zwischen Helen und ihren Bekanntschaften in Armenien waren von einer solchen Trockenheit, dass man Helen schon recht sonderbar finden muss. Sie scheint eine tiefe Traurigkeit zu verinnerlichen, die in den unkonventionellen Gesprächen immer wieder zum Ausdruck kommt. Trotzdem hat es Poladjan geschafft, dass Helen nicht per se unsympathisch wirkt, auch wenn sie durch ihre spezielle Art eher auf Distanz bleibt. Sehr emotional und berührend war auf der anderen Seite die Geschichte der beiden Geschwister. Bei genauem Lesen kommen wir der Verbindung zwischen Helen, Anahid und Hrant auf die Spur - Doch der Faden ist sehr dünn und nicht mehr als eine Andeutung, was ich persönlich aber sehr gelungen fand. Sowieso schafft es Poladjan kleine Geheimnisse in ihren Texten zu verstecken, was für mich ebenfalls zu ihrem individuellen Stil gehört. Im letzten Drittel hatte die Geschichte für mich ein paar Längen, das Ende hat mich jedoch mit voller Wucht getroffen und wird mich so schnell auch nicht mehr loslassen.
Hic sunt leones – wo die Welt zu Ende ist. Romane über Menschen, die in irgendeiner Form Teil des Literaturbetriebs sind, gibt es viele. In der Unterhaltungsliteratur sind es meist Autorinnen oder Buchhändlerinnen, die zu Wort kommen, und oft werden sie verstrickt in charmante Liebesgeschichten, die sich ebenso leicht ansiedeln ließen in Cafés, Strickläden oder Familienhotels, gerne in den Highlands, am Ufer der Themse oder irgendwo am Inselweg. Dagegen lässt sich nichts einwenden, aber „Hier sind Löwen“ ist keines dieser Bücher. Helen Mazavian ist Buchrestauratorin der alten Schule. Sie geht mit heiligem Ernst an die Aufgabe, Bücher vor Schimmel, Mottenfraß und Verfall zu retten. Ihr Beruf ist in diesem Roman kein bloßer Aufhänger, kein Platzhalter, sondern Herzblut und Leidenschaft. Und so ist es auch nicht ihr armenisches Erbe, das sie in die armenische Hauptstadt Jerewan bringt, sondern der Wunsch, im Rahmen eines Kulturaustauschs die armenische Buchbindekunst zu erlernen. Sie kann die Bücher nicht lesen, die ihr anvertraut werden, und doch fühlt sie, die in Deutschland aufwuchs und in Istanbul ihren Beruf erlernte, als Halbarmenierin zum ersten Mal einen Hauch wahrer Zugehörigkeit. „Dikranian. Abovyan. Petrosian. Mazavian. Mein Nachname war plötzlich in phonetischer Gesellschaft.“ Es gab nie zuvor eine Zeit in ihrem Leben, in der sie alleine durch diesen Familiennamen einem Ort angehörte, wo ihre familiäre Herkunft eine mehr als nebensächliche Rolle spielt. Erst jetzt wird ihr bewusst, dass es bisher eine Leerstelle in ihrem Leben gab. Dennoch schleichen sich schnell Misstöne in das vorsichtige Heimatgefühl: zuhause in Deutschland ist Helen zu sehr armenisch, hier zu wenig. Dieses zerrissene Land mit seiner konfliktreichen Vergangenheit ist Teil ihres Erbes, hier floss Blut von ihrem Blut. Aber wie viel will und kann sie annehmen von den Krisen, die sie selber nicht miterlebt hat, wo sie doch fern dieses Bannkreises in Deutschland aufwuchs – von Aufstieg und Fall der muslimischen und russischen Herrschaft, von Arbeitsbataillonen, Todesmärschen und systematischem Genozid? Helen ist davon nur zwei Generationen entfernt und doch in einer ganz anderen Welt aufgewachsen. »Hrant will nicht aufwachen. Mach, dass er aufwacht.« Diese Sätze, die in die Familienbibel geschrieben wurden, die Helen restauriert, sind die Quintessenz eines Dramas, einer wahren Tragödie. Die Frage, was aus der Person geworden ist, die sie geschrieben hat, lässt Helen nicht mehr los. Und das ist der zweite Handlungsstrang des Buches, der einen Bogen in die Vergangenheit schlägt: die Geschichte von Anahid und ihrem kleinen Bruder Hrant, die die Massaker im Jahr 1915 überleben – im Gegensatz zu ihren Eltern. Sie verkörpern genau das, wovon Helen nur ein leises Missbehagen geerbt hat, hier werden die Gräuel und die grausamen Verletzungen jeglicher Menschenrechte konkret und real. Die Kinder ziehen los, mit dem einzigen Ziel: Überleben. Egal wie. Anahid wächst über sich hinaus und versucht, der Flucht für Hrant etwas Märchenhaftes zu geben, die beiden Geschwister zu Helden ihres eigenen Schicksals zu machen. Das ist herzzerreißend, aber nicht reißerisch. Auf traurige Weise unwiderstehlich. Man atmet auf, wenn das Buch zwischendurch zurückkehrt zu Helen, die dieses Stück Vergangenheit in den Händen hält, das fragliche Kapitel der Geschichte jedoch im wahrsten Sinne des Wortes zuklappen kann.Wenigstens für eine gewisse Zeit, denn weder der Leser noch Helen können sich davon lösen. Allerdings verblassen Helens Teile der Handlung meines Erachtens im Vergleich etwas. Sie bleibt in der späten Erkundung des Landes ihrer Ahnen eher halbherzig, fast widerwillig. Obwohl ihre Mutter ihr aufgetragen hat, Nachforschungen über ein altes Familienfoto anzustellen und die abgebildeten Verwandten zu suchen, löst erst dieses kleine „Hrant will nicht aufwachen“ Helen aus ihre Passivität. Es gibt auch eine Art Liebesgeschichte, die ebenso unscharf gezeichnet ist, aber erfreulicherweise nie in Kitsch verfällt: Helen hat einen Lebensgefährten zuhause und einen Geliebten in Jerewan, für den die Konflikte beileibe kein Teil der Vergangenheit sind und der sie damit auch für den Leser in die Gegenwart trägt. Wenn einem vor Lektüre des Buches die Komplexität der armenischen Geschichte und der aktuellen Situation nicht bewusst war, hat man danach immerhin eine recht deutliche Vorstellung davon, wie viel es darüber zu lernen gibt. Der Genozid an den Armeniern ist das Alpha und das Omega dieser Geschichte. Die Sprache ist klar, verzichtet auf Pathos, Rührseligkeit oder forciertes Drama – das hat die Geschichte nicht nötig, denn die Realität, auf der sie beruht, spricht ohnehin laut und deutlich aus den Worten. Fazit Für mich als Hobby-Buchbinderin war diese Geschichte einer Buchrestauratorin, die in Jerewan mit der armenischen Geschichte konfrontiert wird, quasi Pflichtprogramm. Doch aus den Seiten spricht mehr als profunde Kenntnis über Bindetechniken und Reparaturmethoden: Ein Handlungsstrang beschäftigt sich mit Helen, die sich als Halbarmenierin der Geschichte ihrer Familie bisher eher verweigert hat. In einer Familienbibel, die sie restauriert, findet sie den handschriftlichen Satz „Hrant will nicht aufwachen“ – und damit beginnt der zweite Handlungsstrang, in dem es um die junge Anahid und ihren kleinen Bruder Hrant geht, die die Massaker von 1915 um Haaresbreite überleben und die Familienbibel auf ihre Flucht mitnehmen. Vergangenheit und Gegenwart greifen ineinander, meist trotz der zahlreichen Konflikte in ruhiger, gelassener Sprache. Dass auch die Autorin armenische Wurzeln hat, spielt sicher eine Rolle dabei, wie wahrhaftig sich das liest. Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog: https://wordpress.mikkaliest.de/rezension-katerina-poladjan-hier-sind-loewen/
Mir hat der Schreibstil des Buches echt gut gefallen, doch leider kam ich so gar nicht in die Geschichte rein. Irgendwie fehlte mir das eine richtige Storyline. Schade.
Wer einen Roman sucht, der in leisen, ruhigen Tönen seine Geschichte erzählt, der ist bei "Hier sind Löwen" von Katerina Poladjan genau richtig aufgehoben. Auf knapp 300 Seiten bekam ich einen Einblick in die armenische Geschichte und die Verfolgung der Armenier durch die Türken. Auch die zwei Zeitebenen und deren Zusammenführung haben mir gut gefallen. Nicht umsonst nominiert für den Deutschen Buchpreis.
Toller Schreibstil, eine Geschichte, die mich in den Bann gezogen hat. Keine zusammenhängenden Ereignisse, mehr Vibes als Inhalt. Aber das hat für mich den Zauber ausgemacht und mich dazu bewegt, immer weiter zu lesen. Tolles Buch!
Ein Roman über eine deutsche Buchrestauratorin mit armenischen Wurzeln, die in das Heimatland ihrer Mutter reist, um dort eine alte Familienbibel zu restaurieren, von der armenische Buchbindekunst zu lernen und dabei der Geschichte des Buchs und der Familie, der es gehörte auf der Spur ist. Das hört sich spannend an und gehört durchaus in mein Beuteschema. Doch es sollte nicht so sein, denn für meinen Geschmack leidet das Buch unter den Lücken, die es aufgrund der Faszination der Autorin für fragmentarisches Schreiben hat. Zudem will das Buch jede Menge Emotionen wecken und der Leserschaft weniger ein Wissen über das Land und die Geschichte vermitteln, sondern vielmehr ein Gefühl transportieren. Dafür kann ich empfänglich sein, aber nicht auf die Art und Weise, wie es Frau Katerina Poladjan tut. Ich schalte das Deckenlicht an. Auf mehreren Tischen liegen Papierstapel und Pergamentrollen ausgebreitet. Ich rieche Erde, Ei und Pilz, Holzstaub und altes Tier. Mein Atem streift den Einband, mein Atem ist zu warm, zu warm auch meine Haut. Ich arbeite ohne Handschuhe, halte inne. (...) Mit diesen Sätzen beginnt der Roman und man merkt gleich: hier geht es um ganzheitliche Erfahrungen. Sehen, fühlen, riechen, denken, spüren. Auch noch im Präsens, der aber im folgenden Kapitel ins Perfekt wechselt. So weit so gut, ich lese auch mal Romane, deren Ziel es ist, mich vollständig über das Gefühl abzuholen. Ein paar Seiten weiter, dann ein Dialog, der sich in dieser Form durch das ganze Buch zieht: "Was macht der Kaukasus?" "Der Kaukasus ist dunkel." "Wie war deine Reise?" "In Moskau musste ich lange warten." "Wie ist die Wohnung?" "Interessant." "Sonst?" "Noch ich." "Ich küsse dich, du Kröte." Ja, sie sagt "noch ich". Was soll das? Inhaltlich bringt mich der Dialog nicht weiter. Also will dieses Geplänkel auch ein Gefühl transportieren. Wie einsilbig Armenier sind? Ich habe keine Ahnung. Später im Buch heißt es pauschal, dass alle Armenier traurig sind. Alle. Wenig später dann folgender Dialog: „Wer ist das auf dem Foto. Dein Mann?“ „Das ist Danil.“ „Dein Bauch ist weich, hast du ein Kind?“ „Nein, ich habe nur einen weichen Bauch. Und du hast auch einen weichen Bauch.“ „Ich habe eine Tochter [...] keine Sorge, ich lebe mit der Mutter nicht mehr zusammen.“ „Ich hab keine Sorge.“ „Das ist mir unheimlich.“ „Wirklich?“ „Hast du keine Zigaretten?“ „Ich hab Tomaten […]“ Keine Ahnung, was das soll. Vielleicht rauchen Armenier Tomaten. Vielleicht ist es ein Spiel der Autorin, dass sie Collagen aus verschiedenen Dialogen zusammenklebt. Ich weiß nur, dass sie ganz bedeutungsschwanger wirken will, aber dieses prätentiöse Geplänkel ging mir so sehr auf die Nerven, dass ich das Buch nach 100 Seiten abbrach. Wenn jemand gerne französische Art Nouveau Filme schaut, am besten schwarz-weiß, mit langen Kameraeinstellungen und besorgten Blicken des Helden in die Weite, dann gefällt ihm auch sicher dieses Buch. Wenn jemand mehr über Armenien und den Völkermord erfahren will, der sollte m.M.n. eher die entsprechenden Wikipedia-Artikel lesen. Für sehr gefühlsbetonte Leser/innen sicher ein Genuss. Aber leider kein Buch für mich.
3,5 Sterne