11. März 2025
Bewertung:2

In "Mein Abschied von Deutschland" erläutert Politycki seine Beweggründe, aus Deutschland auszuwandern. Sein Hauptargument ist hier die mangelnde Fähigkeit der Bevölkerung, eine Debatte zu führen. Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich das Buch nach 39 (von 131) Seiten abbrechen soll. Ich habe mich schließlich doch dazu entschieden, weil ich kein Interesse dann hatte, die (so empfinde ich es) von Frust und Zorn getränkten Zeilen zu lesen. Politycki fokussierte sich in dem Abschnitt, den ich gelesen habe, auf das Gendern. Er redet im Zusammenhang damit von einer Elite, die der Bevölkerung das Gendern aufzuzwingen will. Wo ist diese Elite? Ich, eine 22-jährige Studentin, sehe meine Generation und ältere Menschen, die es uns gleichtun. Das Ziel dieses Sprachwandels (der übrigens in den seltensten Fällen natürlich ist, Stichwort standard language und dialect/accent; die Künstlichkeit des Genderns ist ein weiteres Merkmal, das der Autor kritisiert) ist es nicht, Menschen auf die Nerven zu gehen, sondern auf diejenigen Rücksicht zu nehmen, die sich vom generischen Maskulin diskriminert fühlen. Das generische Maskulin würde nicht so benutzt werden, wenn unsere Welt nicht derart vom Patriarchat geformt wäre - also ist es auch nicht gerade "natürlich". Dass Politycki derart allergisch aufs Gendern reagiert, kann ich mir nur so erklären, dass er mit der sehr extrem und radikalen Seite damit zu tun hatte - wobei ich mich manchmal frage, ob das nicht eher mit Humor zu nehmen ist. Denn kein:e klare:r Gender-Vertreter:in würde "Mensch:in" statt "Mensch" schreiben oder sagen - um nur ein Beispiel zu nennen. Im Gegensatz dazu fand ich seine Argumente für ein vernünftiges Debattieren überzeugend. Beide Seiten müssen aufeinanderzukommen - durch Zuhören. Nur so kann ein intellektueller Kompromiss geschaffen werden. Vielleicht hat er recht und das Gendern wird zwar jetzt noch nicht überzeugen, dafür aber in ein paar Jahrzehnten, wenn sich beide Seiten aufeinanderzubewegt haben und so eine vernünftige Lösung gefunden haben. Ich kann durchaus verstehen, wenn Menschen misstrauisch werden, allein wenn sie verschiedene Schreibweisen lesen: "Bürger:innen", "Bürger_innen", "Bürger*innen", "Bürgerinnen und Bürger" ... Natürlich ist hier ein vernünftiger Konsens gefragt. Alles in allem war es für mich interessant zu erfahren, wie ein Gender-Gegner die Debatte wahrnimmt. Nur durch das Austauschen unserer Sichtweisen können wir lernen, wie wir am besten gegenseitig vermitteln und letzten Endes eine Lösung finden.

Mein Abschied von Deutschland
Mein Abschied von Deutschlandvon Matthias PolityckiHoffmann und Campe