Werkstätte der Erinnerung

Anhand von drei mittelalterlichen süditalienischen Handschriften zeichnet der Autor ein Bild von dem benediktinischen Mutterkloster Montecassino um die erste Jahrtausendwende. Die drei Texte - ein Regelcodex, ein Gesetzbuch und ein historiographisches Kompendium - sind miteinander durch ein Netz von kürzeren Textpassagen verbunden, die sich mehrfach wiederfinden. Daraus ergibt sich ein loser Kanon von Texten, die in der Folgezeit immer wieder verwendet wurden. Sie erklärten und legitimierten den Ursprung der weltlichen und kirchlichen Institutionen des Raumes und wurden vom Kloster bewußt genutzt, um seine Vormachtstellung zu behaupten. Die Untersuchung beschäftigt sich mit dem Netz der Querbezüge zwischen drei süditalienischen Sammelhandschriften des Mittelalters: dem unter Abt Johannes I. von Montecassino (914-34) angelegten Regelcodex (Cas. 175), der in Cava de Tirreni aufbewahrten Handschrift der langobardischen Leges (Cav. 4), die knapp nach 1000 abgeschlossen wurde, und einer historiographischen Handschrift (Vat. lat. 5001), dem einzigen Textzeugen für Erchempert und das Chronicon Salernitanum; sie wurde um 1300 in Salerno nach einer Vorlage des 10. Jahrhunderts kopiert. Die drei Handschriften und die in ihnen enthaltenen Texte werden jeweils ausführlich analysiert und dann in den Kontext der Entstehungszeit gestellt, so daß daraus so etwas wie eine Geschichte in Handschriften Montecassinos und seines politischen Umfeldes entsteht. Im Anhang sind einige 'Schlüsseltexte abgedruckt, darunter das bisher weitgehend unbekannt gebliebene einzige weltliche Besitzverzeichnis aus dem frühmittelalterlichen Italien, ein Glossar und historiographische Texte. Der Autor: Walter Pohl ist Leiter der Forschungsstelle für Geschichte des Mittelalters der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.