Der ehemalige Sohn
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Beschreibung
Autorenbeschreibung
Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, ist ein belarussischer Schriftsteller, der auf Russisch schreibt. Nach einer abgebrochenen klassischen Musikausbildung studierte er Literatur in St. Petersburg und arbeitete als Journalist, Drehbuchautor, Gag-Schreiber für eine Satireshow und als Fernsehmoderator. Sein Roman ›Die Jagd‹ war ein ›Spiegel‹-Bestseller. Sasha Filipenko ist leidenschaftlicher Fußballfan und wohnte bis 2020 in St. Petersburg. Er musste mit seiner Familie Russland verlassen und lebt in der Schweiz.
Beiträge
Eine traurigschöne Geschichte, die wirklich schön geschrieben ist.
Am Anfang zieht es sich bisschen und ist langweilig, aber ab der Mitte sehr spannend und es lässt sich auch "einfacher" lesen
Filipenko schildert in seinem Roman die aufwühlende Geschichte eines Landes, das unter einem diktatorischen Regime leidet. So diktatorisch, dass sogar dieses Buch unter dem Ladentisch verkauft wird (erschien bereits 2014). … zu heutiger Zeit gelesen kann man sagen, dass die Situation nicht an Aktualität verloren hat. Die Geschichte handelt von Franzisk, einem 16jährigen Belarussen, der während einer Massenpanik „unter die Räder“ der verängstigten Menschenmasse gerät und ins Koma fällt. Keiner glaubt an seine Genesung, nur seine Großmutter. Sie sitzt tagein, tagaus an seinem Bett. Nach unglaublichen zehn Jahren erwacht Zisk aus dem Koma und er muss nach und nach feststellen, dass sich nichts geändert hat. Der autoritäre Mann sitzt immer noch an der Regierungsspitze, Proteste gegen das Regime werden kurzerhand brutal niedergeschlagen, Personen der Opposition sogar ermordet. Filipenko hält die Konversationen im Buch kurz und knackig. Man kann gut an den Gedanken und Gefühlen der handelnden Personen teilhaben. Zynisch arbeitet er die politische Absurdität von Belarus (im 21. Jhdt.) in das Buch ein. Man hat beim Lesen das Gefühl, man steckt in einer immer wiederkehrenden Zeitschleife, ist eingefroren. Wie auch in seinem Roman „Rote Kreuze“ schafft Filipenko den Spagat perfekt Weltgeschichte in einer Geschichte zu beleuchten. Es führt uns bei weiterer Betrachtung auch vor Augen, wie untätig die westlicheren Regierungen sind und wie sie Mord, Verfolgung, Wahlmanipulation und die Unterdrückung von Menschenrechten dulden! Dieses Buch liefert wichtige Zeitgeschichte, auch wenn die Situation für die Belarussen trostlos und sicher unerträglich ist. Leseempfehlung! „Meine inständige Hoffnung ist, dass dieses Buch in meinem Land eines Tages nicht mehr aktuell sein wird.“ (Sasha Filipenko)
Minsk, 1999_ _ Franzisk, kurz ‘Zisk’, ist Schüler am Staatlichen Lyzeum der Künste, doch statt Cello zu üben, geht er lieber auf den Bolzplatz oder hängt mit seinen Freunden rum. Daher steht er zur Verzweiflung seiner Großmutter, bei der er lebt, immer haarscharf davor, wegen seines Mangels an Einsatz oder Fleiß rauszufliegen. Sogar Bestechung hat ihre Grenzen._ _ “Und wenn mir etwas zustößt? Wenn das meine letzte Gelegenheit ist?” _ _ Damit erschleicht Zisk sich manchmal ihre Erlaubnis, rauszugehen. Und da draußen ist das Land scheinbar im Umsturz: die Menschen protestieren, die Bevölkerung erhebt sich gegen die Diktatur von Aljaksandr Lukaschenka… Spannende Zeiten, beunruhigende Zeiten. Und dann stößt Franzisk wirklich etwas zu, und er fällt ins Koma._ _ So wie das ganze Land._ Es ist nur die Hartnäckigkeit seiner Großmutter, die Franzisk am Leben erhält, indem sie sich strikt weigert, ein Ausschalten der Maschinen auch nur in Erwägung zu ziehen. Auch wenn er es in seinem tiefen Schlaf nicht wahrnimmt, ist sie der fragile silberne Faden, an dem er hängt – der letzte Mensch, der noch daran glaubt, dass er irgendwann wieder die Augen aufschlagen wird._ _ Und umgekehrt ist er ihre ganze Welt, ihr einziger Lebenssinn. Für ihn atmet sie, für ihn sorgt sie wenigstens notdürftig für sich selbst. Ohne Franzisk will sie nicht sein, kann sie nicht sein. Sie kämpft mit den Ärzten, mit den Schwestern, sie probiert eine Methode nach der anderen aus, mit der irgendwo irgendjemand aus dem Koma erweckt wurde. In ihrer Verzweiflung greift sie nach jedem Strohhalm._ _ Doch Zisk schläft._ _ Das Krankenzimmer ist eine Blase in der Zeit, in der Großmutter und Enkel gefangen sind, während draußen die Zeit vergeht – und die Umstände sich dennoch nie ändern. Zisks Koma spiegelt das Koma eines ganzen Landes, die Machtlosigkeit eines Volkes._ _ Ein geschickter Schachzug: die Großmutter erzählt ihm von der Welt da draußen, damit er es leichter hat, wenn er endlich aufwacht, und auch andere Menschen vertrauen sich ihm bedenkenlos an. Denn er liegt ja im Koma, er kann nichts verraten, er wird sie nicht wegen Systemkritik anschwärzen. In diesen Erzählungen schwingt die Gesellschaftskritik an den Umständen in Belarus mit, die der Roman transportieren will. Es sind die Absurditäten, die die uns fremde Normalität greifbar machen: zum Beispiel, dass die Menschen den Rettungswagen rufen, um umzuziehen, weil das billiger ist als eine Fahrt im Möbelwagen – was sagt das über den Wert des menschlichen Lebens?_ _ Die Sprache fängt die Lebenswelten der Protagonisten mit oft recht kurzen Sätzen knapp und prägnant ein. Die Worte sind mal nüchtern, mal drängend, mal hektisch und fiebrig, das erwischt manche Leser:innen womöglich erstmal auf dem falschen Fuß. Da wird man reingeschmissen wie in kaltes Wasser. Aber dynamisch ist das immer, die Sprache wirkt nie wahllos oder vergeudet. Passt, liest sich wie aus einem Guss._ »Siehst du, all das müsste man hinausschreien…«_ _ Filipenko bringt die Umstände gnadenlos auf den Punkt. Die der einzelnen Charaktere, die der politischen Lage. Da, wo er den Blick der Leser:innen hinlenkt, ist alles glasklar, scharf umrissen, oft satirisch übersteigert und plakativ. Er prangert die Absurditäten eines Regimes an, das sein eigenes Volk in steter Zensur erstickt, wenn nötig, mit menschenverachtender Gewalt._ _ Das merkt man vor allem an den Nebencharakteren, die zum Teil wirken wie die Personifizierungen bestimmter Krisen und Missstände. Manchmal ist das haarscharf davor, zu überzeichnet zu sein, um die Leser:innen noch zu berühren, manchmal überschreitet der Autor diese Grenze. Doch diese Menschen werden als das fatale Ergebnis eines unmenschlichen Systems gezeichnet, da steckt sehr viel Wahrheit drin._ _ Im Kontrast dazu wirken die Großmutter und Franzisk (in den Szenen, in denen er wach ist) nur allzu glaubhaft und echt. Die Einsamkeit der Großmutter ist mit Händen zu greifen, und im Rückblick schmerzt Zisks jugendlicher Überschwang… Auch Zisks bester Freund Stass, der ihn immer noch besucht, obwohl er nicht mehr an ein Wunder glaubt, liest sich authentisch und glaubhaft._ _ »Ich gehe nicht auf die Straße, um eine Revolution anzuzetteln oder um mich zu prügeln oder Losungen zu skandieren. Aber ich will mich davon überzeugen, dass dieser ganze Surrealismus nicht wahr ist. (…) Ich will einfach sehen, dass außer mir auch andere Leute hinausgehen, die genauso nicht an diese Farce glauben, und spüren, dass ich nicht die einzige Geisel in diesem Narrenhaus bin.«_ _ An den jugendlichen Charakteren des Buches siehst du als Leser:in, wie die jungen Menschen in diesem Land entweder stumpf die Augen vor allem verschließen, verzweifeln, aufgeben oder das Land verlassen. Keiner der jungen Charaktere führt hier wirklich ein erfülltes, glückliches Leben, und keiner davon hat eine Zukunft, die über das reine Schuften und Katzbuckeln vor dem Regime hinausgeht. Und wenn die junge Generation keine Zukunftsaussichten hat, wer dann?_ »Wenn du dran glaubst, warum auch nicht?«_ _ Es gibt ein paar Entwicklungen, die sicher nicht realitätsgetreu ablaufen, die daher nicht hundertprozentig glaubwürdig sind. Aber auch das scheint mir Absicht zu sein, um die Gesellschaftskritik deutlicher zu unterstreichen. Hier muss ich leider so vage bleiben, um nicht vorweg zu nehmen, wie die Geschichte ausgeht._ _ Das Ende lässt vieles offen, schließt aber in gewissem Sinne dennoch den Kreis, der sich mit Franzisks Fall ins Koma eröffnet hat._ Fazit_ _ Im Jahr 1999 fällt in Minsk ein Jugendlicher nach einem katastrophalen Ereignis ins Koma. Der Oberarzt hält es für Verschwendung, nicht sofort die Maschinen abzustellen, niemand glaubt daran, dass Franzisk jemals wieder erwachen wird. Nur seine Großmutter weicht nicht von seiner Seite – und die Monate und Jahre gehen ins Land…_ _ Franzisks Koma spiegelt die Machtlosigkeit der Menschen in Belarus, die scheinbare Unveränderlichkeit des Systems und der unterdrückten Gesellschaft. Sa_a Filipenko erzählt die Geschichte als gelungene satirische Parabel. Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog: https://wordpress.mikkaliest.de/rezension-sasa-filipenko-der-ehemalige-sohn/
Ein Roman über die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation in Weißrussland, geschrieben von ein Debütanten im Jahr 2014 und im eigenen Land verboten, da äußerst regimekritisch. Ein Roman, so leicht und locker zu konsumieren, dass ich ihn an einem Tag durchgelesen habe. Ein Roman, wie ein Märchen, eine Parabel, vollgepackt mit Symbolik und eindimensionalen Figuren. Die Handlung wird eigentlich schon im Klappentext verraten: der 16jährige Franzisk gerät in Minsk in eine Massenpanik, fällt ins Koma und wacht erst nach 10 Jahren wieder auf. Rein medizinisch sind Krankheits- und vor allem Heilungsverlauf fragwürdig, aber das Koma steht ja quasi für eine im Tiefschlaf befindende Gesellschaft, in der sich keine Veränderungen ergeben, in einer Welt, in der der stetige Wandel in immer kürzeren Zyklen verläuft. Wenn schon Koma, dann bitte in Belarus, denn da kann man für ein paar Jahre auf Stand-By gehen, ohne das man etwas verpasst. Die Grundidee des Romans gefiel mir, aber die Umsetzung ist dann schon sehr im Schwarz-Weiß-Stil gemalt. Ambivalente Figuren gibt es gar nicht. Gut sind allenfalls Zisk und seine Großmutter, alle anderen Personen, ob Mutter, Stiefvater, Freundin, Kumpel oder Arzt sind schwach, lemminghaft oder schlichtweg niederträchtig. Ihre Gedanken bekommt man in Form von langen Monologen präsentiert. Der Schreibstil ist nicht gerade raffiniert. Am Ende bleibt bei mir das Gefühl, dass ich die 7 Stunden Lesezeit effektiver mit einem Sachbuch oder einer Doku über Belarus verbracht hätte. Insgesamt ein Leseerlebnis, dass ich noch als zufriedenstellend bezeichnen würde.
Franzisk, genannt Zisk, ist ein ehemaliger Sohn, denn nachdem er nach einem Unglück in ein langes Koma fällt, baut sich seine Mutter ein neues Leben auf. Einzig seine Großmutter und sein Freund aus der Schulzeit bleiben an seiner Seite. Sasha Filipenkos Roman ist ein interessanter politischer Roman, der schonungslos die Bedingungen eines Lebens unter einer Diktatur ausleuchtet, und dabei auch die verschiedenen Menschentypen, die dieses politische System hervorbringt, offenlegt. Auch wenn der Roman im Original bereits 2014 erschienen ist, ist er nach wie vor ein sehr aktueller Kommentar und eine scharfe Kritik der in Weißrussland herrschenden Bedingungen. Dass dies auch sieben Jahre nach der Erstveröffentlichung der Fall ist, zeigt, dass das Gleichnis, das der Roman zwischen Koma und Erstarrung im diktatorischen politischen System aufzeigt, äußerst zutreffend ist. Filipenko hat einen Text verfasst, der zu einem Großteil aus den Monologen verschiedener Personen besteht. Dies eröffnet dem Leser die Möglichkeit, sich nahezu unmittelbar mit den Figuren auseinanderzusetzen und so zu einer Charakterisierung des betreffenden Sprechers zu gelangen. Dadurch, dass Filipenko so suggeriert, seine Figuren kämen quasi ungefiltert zu Wort, erstehen diese sehr authentisch aus den Worten und es entsteht der Eindruck einer zumindest anfänglichen, oberflächlichen Wertfreiheit. Darüber hinaus sind die Monologe zumindest zu Beginn sehr abwechslungsreich und verfügen über eine hohe Lesbarkeit, was aber leider nichts an der Tatsache ändert, dass sich dieser Stil im Verlauf des Romans etwas abnutzt und auch ermüdet, denn man muss sich durchgängig auf unterschiedliche Menschen einlassen und ihnen zuhören - dadurch ist man als Leser die ganze Zeit auf einem gewissen Aufmerksamkeitsniveau. Dies ist allerdings sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass Filipenkos Monologe so ausgereift sind, dass häufig der Eindruck entsteht, man müsse jetzt gleich etwas dazu sagen – das wiederum ist ein großes Kompliment, denn wenn man das erreicht, ist ein hohes Maß an Authentizität erreicht. Dennoch hatte ich ab der Hälfte auch durchaus mal das Bedürfnis nach einer ordnenden und haltenden Erzählerstimme, die sich etwas zurücknimmt und nicht so stark involviert ist. Über dem ganzen Roman schwebt eine Atmosphäre der absoluten Hoffnungslosigkeit, Trostlosigkeit und Unfreiheit, gepaart mit einem Gefühl der Ohnmacht angesichts der Willkür, des Irrwitzes, der Absurdität der Situation. Es wird sehr deutlich, dass es für die Figuren des Romans keine rosige Zukunft, keinen Optimismus, keine Hinwendung zu einem besseren Leben gibt. Das Land und das Schicksal der Menschen, gefangen zwischen Angst, Willkür und Opportunismus, stagniert auf einem konstanten, unerträglichen Niveau. Auch wenn das Anliegen des Romans diese Aussage und die Enthüllung der unfassbaren Zustände in Weißrussland ist, so gewinnt das Politische im letzten Drittel des Textes zu sehr die Oberhand. Zeitweise scheint das Buch zu vergessen, dass es ein Roman ist, und nimmt eher die Form eines politischen Traktats an. Die Figuren werden immer stärker zum Vehikel politischer Kritik. Das finde ich insgesamt sehr schade, denn der potenzielle kraftvolle Nachhall des Textes büßt so einiges von seiner Stärke ein. Ich hätte mir hier ein subtileres, feineres Vorgehen gewünscht, eine raffiniertere Herangehensweise. Insgesamt hat mir Der ehemalige Sohn durchaus gefallen, aber es bleibt ein Roman verschenkter Möglichkeiten, der sein politisches Ansinnen zu stark und ausdrücklich in den Mittelpunkt stellt, um umfassend begeistern zu können.
Ein Land erwacht Sasha Filipenko war mir vor einiger Zeit mit seinem Roman „Rote Kreuze“ durchaus positiv aufgefallen. So freute ich mich, als ich die Gelegenheit bekam, auch seinen Debüt-Roman „Der ehemalige Sohn“ lesen zu dürfen. Nun – um mein (persönliches!) Fazit einmal vorweg zu nehmen: das Potenzial war damals schon vorhanden, allerdings noch nicht ganz „ausgereift“. Aber es gelingt wohl auch nur wenigen Debütanten, einen wirklichen „Hit“ als erstes Buch zu landen. Wenn doch, sind die Erwartungen anschließend umso höher und der Druck steigt. Dann lieber eine kontinuierliche Steigerung in der Qualität. Und trotzdem hat Sasha Filipenko schon mit seinem Debüt einen Literaturpreis erhalten; den „Russkaja Premija“. Es sei ihm von Herzen gegönnt. Well, let´s go: „Der ehemalige Sohn“ Franzisk ist ein „typischer“ Teenager im belarussischen Minsk, der lieber mit seinen Freunden Fußball spielt als Cello zu üben (hm, ich würde es eher umgedreht machen *g* - egal). Während einer Massenpanik in einer U-Bahn-Station (Gedanken an die Katastrophe der Loveparade werden während dieser sehr bildlich beschriebenen Szene automatisch „hochgespült“) wird Franzisk schwer verletzt und fällt in der Folge ins Koma. Alle geben ihn auf: die Ärzte, die eigene Mutter, zu der es sowieso ein recht schwieriges Verhältnis gibt, seine Freundin…Einzig seine geliebte Großmutter Elvira glaubt an das Erwachen von Franzisk – und sie soll Recht behalten. Die Zeit des 10-jährigen Komas von Franzisk wird in stakkatohaften, teils elend langen, jedoch auch teilweise äußerst interessanten Monologen recht ausführlich abgehandelt. Interessant wird es z. B. immer dann, wenn es in die „politische“ Richtung geht. Sätze wie „Es war ja auch nicht ein Mensch gestorben, sondern ein politischer Widersacher.“ (S. 135) lassen der geneigten Leserschaft (zumindest mir) einen Schauer über den Rücken jagen, wenn man sich die Ereignisse in Belarus in den vergangenen Jahren anguckt. Wahrhaft prophetisch (das Buch wurde 2014 erstveröffentlicht) …Hingegen fand ich einiges, was sich im Krankenzimmer abgespielt hat, äußerst fragwürdig; ich spare mir jetzt Details. Die erstaunlich schnell voranschreitende Genesung von Franzisk (Zisk) nach seinem Koma kann ich nicht so ganz für voll nehmen. Klar muss man (muss man?) auch hier den erzähltechnischen bzw. dramaturgischen Zeitturbo anschmeißen und ja, ein Roman darf sarkastisch, überspitzt etc. sein, aber – ach ich weiß auch nicht. Es hinterlässt irgendwie einen bitteren Geschmack. Aber nicht nur Zisk wacht auf, sondern auch das Land. Die Menschen gehen auf die Straßen, bieten der Regierung Paroli – und werden blutig niedergeschlagen. Same procedure im realen Leben… Versteht mich nicht falsch: das Buch hat seine guten Seiten, aber das letzte Quäntchen fehlt mir in dem Roman. Aber wie ich schon weiter oben schrieb… Ich verfolge die Entwicklung von Sasha Filipenko gerne weiter; für den Moment kann ich aber für seinen Debüt-Roman nur 3* vergeben. Der „test of time“ wird zeigen, ob die Bewertung zu einem späteren Zeitpunkt evtl. noch nach oben korrigiert werden kann. ©kingofmusic
Ein Roman über die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation in Weißrussland, geschrieben von ein Debütanten im Jahr 2014 und im eigenen Land verboten, da äußerst regimekritisch. Ein Roman, so leicht und locker zu konsumieren, dass ich ihn an einem Tag durchgelesen habe. Ein Roman, wie ein Märchen, eine Parabel, vollgepackt mit Symbolik und eindimensionalen Figuren. Die Handlung wird eigentlich schon im Klappentext verraten: der 16jährige Franzisk gerät in Minsk in eine Massenpanik, fällt ins Koma und wacht erst nach 10 Jahren wieder auf. Rein medizinisch sind Krankheits- und vor allem Heilungsverlauf fragwürdig, aber das Koma steht ja quasi für eine im Tiefschlaf befindende Gesellschaft, in der sich keine Veränderungen ergeben, in einer Welt, in der der stetige Wandel in immer kürzeren Zyklen verläuft. Wenn schon Koma, dann bitte in Belarus, denn da kann man für ein paar Jahre auf Stand-By gehen, ohne das man etwas verpasst. Die Grundidee des Romans gefiel mir, aber die Umsetzung ist dann schon sehr im Schwarz-Weiß-Stil gemalt. Ambivalente Figuren gibt es gar nicht. Gut sind allenfalls Zisk und seine Großmutter, alle anderen Personen, ob Mutter, Stiefvater, Freundin, Kumpel oder Arzt sind schwach, lemminghaft oder schlichtweg niederträchtig. Ihre Gedanken bekommt man in Form von langen Monologen präsentiert. Der Schreibstil ist nicht gerade raffiniert. Am Ende bleibt bei mir das Gefühl, dass ich die 7 Stunden Lesezeit effektiver mit einem Sachbuch oder einer Doku über Belarus verbracht hätte. Insgesamt ein Leseerlebnis, dass ich noch als zufriedenstellend bezeichnen würde.
Sehr schön. Mal was über Belarus gelernt, ein Land, dass ja kaum mal öffentlich stattfindet.
Beschreibung
Autorenbeschreibung
Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, ist ein belarussischer Schriftsteller, der auf Russisch schreibt. Nach einer abgebrochenen klassischen Musikausbildung studierte er Literatur in St. Petersburg und arbeitete als Journalist, Drehbuchautor, Gag-Schreiber für eine Satireshow und als Fernsehmoderator. Sein Roman ›Die Jagd‹ war ein ›Spiegel‹-Bestseller. Sasha Filipenko ist leidenschaftlicher Fußballfan und wohnte bis 2020 in St. Petersburg. Er musste mit seiner Familie Russland verlassen und lebt in der Schweiz.
Beiträge
Eine traurigschöne Geschichte, die wirklich schön geschrieben ist.
Am Anfang zieht es sich bisschen und ist langweilig, aber ab der Mitte sehr spannend und es lässt sich auch "einfacher" lesen
Filipenko schildert in seinem Roman die aufwühlende Geschichte eines Landes, das unter einem diktatorischen Regime leidet. So diktatorisch, dass sogar dieses Buch unter dem Ladentisch verkauft wird (erschien bereits 2014). … zu heutiger Zeit gelesen kann man sagen, dass die Situation nicht an Aktualität verloren hat. Die Geschichte handelt von Franzisk, einem 16jährigen Belarussen, der während einer Massenpanik „unter die Räder“ der verängstigten Menschenmasse gerät und ins Koma fällt. Keiner glaubt an seine Genesung, nur seine Großmutter. Sie sitzt tagein, tagaus an seinem Bett. Nach unglaublichen zehn Jahren erwacht Zisk aus dem Koma und er muss nach und nach feststellen, dass sich nichts geändert hat. Der autoritäre Mann sitzt immer noch an der Regierungsspitze, Proteste gegen das Regime werden kurzerhand brutal niedergeschlagen, Personen der Opposition sogar ermordet. Filipenko hält die Konversationen im Buch kurz und knackig. Man kann gut an den Gedanken und Gefühlen der handelnden Personen teilhaben. Zynisch arbeitet er die politische Absurdität von Belarus (im 21. Jhdt.) in das Buch ein. Man hat beim Lesen das Gefühl, man steckt in einer immer wiederkehrenden Zeitschleife, ist eingefroren. Wie auch in seinem Roman „Rote Kreuze“ schafft Filipenko den Spagat perfekt Weltgeschichte in einer Geschichte zu beleuchten. Es führt uns bei weiterer Betrachtung auch vor Augen, wie untätig die westlicheren Regierungen sind und wie sie Mord, Verfolgung, Wahlmanipulation und die Unterdrückung von Menschenrechten dulden! Dieses Buch liefert wichtige Zeitgeschichte, auch wenn die Situation für die Belarussen trostlos und sicher unerträglich ist. Leseempfehlung! „Meine inständige Hoffnung ist, dass dieses Buch in meinem Land eines Tages nicht mehr aktuell sein wird.“ (Sasha Filipenko)
Minsk, 1999_ _ Franzisk, kurz ‘Zisk’, ist Schüler am Staatlichen Lyzeum der Künste, doch statt Cello zu üben, geht er lieber auf den Bolzplatz oder hängt mit seinen Freunden rum. Daher steht er zur Verzweiflung seiner Großmutter, bei der er lebt, immer haarscharf davor, wegen seines Mangels an Einsatz oder Fleiß rauszufliegen. Sogar Bestechung hat ihre Grenzen._ _ “Und wenn mir etwas zustößt? Wenn das meine letzte Gelegenheit ist?” _ _ Damit erschleicht Zisk sich manchmal ihre Erlaubnis, rauszugehen. Und da draußen ist das Land scheinbar im Umsturz: die Menschen protestieren, die Bevölkerung erhebt sich gegen die Diktatur von Aljaksandr Lukaschenka… Spannende Zeiten, beunruhigende Zeiten. Und dann stößt Franzisk wirklich etwas zu, und er fällt ins Koma._ _ So wie das ganze Land._ Es ist nur die Hartnäckigkeit seiner Großmutter, die Franzisk am Leben erhält, indem sie sich strikt weigert, ein Ausschalten der Maschinen auch nur in Erwägung zu ziehen. Auch wenn er es in seinem tiefen Schlaf nicht wahrnimmt, ist sie der fragile silberne Faden, an dem er hängt – der letzte Mensch, der noch daran glaubt, dass er irgendwann wieder die Augen aufschlagen wird._ _ Und umgekehrt ist er ihre ganze Welt, ihr einziger Lebenssinn. Für ihn atmet sie, für ihn sorgt sie wenigstens notdürftig für sich selbst. Ohne Franzisk will sie nicht sein, kann sie nicht sein. Sie kämpft mit den Ärzten, mit den Schwestern, sie probiert eine Methode nach der anderen aus, mit der irgendwo irgendjemand aus dem Koma erweckt wurde. In ihrer Verzweiflung greift sie nach jedem Strohhalm._ _ Doch Zisk schläft._ _ Das Krankenzimmer ist eine Blase in der Zeit, in der Großmutter und Enkel gefangen sind, während draußen die Zeit vergeht – und die Umstände sich dennoch nie ändern. Zisks Koma spiegelt das Koma eines ganzen Landes, die Machtlosigkeit eines Volkes._ _ Ein geschickter Schachzug: die Großmutter erzählt ihm von der Welt da draußen, damit er es leichter hat, wenn er endlich aufwacht, und auch andere Menschen vertrauen sich ihm bedenkenlos an. Denn er liegt ja im Koma, er kann nichts verraten, er wird sie nicht wegen Systemkritik anschwärzen. In diesen Erzählungen schwingt die Gesellschaftskritik an den Umständen in Belarus mit, die der Roman transportieren will. Es sind die Absurditäten, die die uns fremde Normalität greifbar machen: zum Beispiel, dass die Menschen den Rettungswagen rufen, um umzuziehen, weil das billiger ist als eine Fahrt im Möbelwagen – was sagt das über den Wert des menschlichen Lebens?_ _ Die Sprache fängt die Lebenswelten der Protagonisten mit oft recht kurzen Sätzen knapp und prägnant ein. Die Worte sind mal nüchtern, mal drängend, mal hektisch und fiebrig, das erwischt manche Leser:innen womöglich erstmal auf dem falschen Fuß. Da wird man reingeschmissen wie in kaltes Wasser. Aber dynamisch ist das immer, die Sprache wirkt nie wahllos oder vergeudet. Passt, liest sich wie aus einem Guss._ »Siehst du, all das müsste man hinausschreien…«_ _ Filipenko bringt die Umstände gnadenlos auf den Punkt. Die der einzelnen Charaktere, die der politischen Lage. Da, wo er den Blick der Leser:innen hinlenkt, ist alles glasklar, scharf umrissen, oft satirisch übersteigert und plakativ. Er prangert die Absurditäten eines Regimes an, das sein eigenes Volk in steter Zensur erstickt, wenn nötig, mit menschenverachtender Gewalt._ _ Das merkt man vor allem an den Nebencharakteren, die zum Teil wirken wie die Personifizierungen bestimmter Krisen und Missstände. Manchmal ist das haarscharf davor, zu überzeichnet zu sein, um die Leser:innen noch zu berühren, manchmal überschreitet der Autor diese Grenze. Doch diese Menschen werden als das fatale Ergebnis eines unmenschlichen Systems gezeichnet, da steckt sehr viel Wahrheit drin._ _ Im Kontrast dazu wirken die Großmutter und Franzisk (in den Szenen, in denen er wach ist) nur allzu glaubhaft und echt. Die Einsamkeit der Großmutter ist mit Händen zu greifen, und im Rückblick schmerzt Zisks jugendlicher Überschwang… Auch Zisks bester Freund Stass, der ihn immer noch besucht, obwohl er nicht mehr an ein Wunder glaubt, liest sich authentisch und glaubhaft._ _ »Ich gehe nicht auf die Straße, um eine Revolution anzuzetteln oder um mich zu prügeln oder Losungen zu skandieren. Aber ich will mich davon überzeugen, dass dieser ganze Surrealismus nicht wahr ist. (…) Ich will einfach sehen, dass außer mir auch andere Leute hinausgehen, die genauso nicht an diese Farce glauben, und spüren, dass ich nicht die einzige Geisel in diesem Narrenhaus bin.«_ _ An den jugendlichen Charakteren des Buches siehst du als Leser:in, wie die jungen Menschen in diesem Land entweder stumpf die Augen vor allem verschließen, verzweifeln, aufgeben oder das Land verlassen. Keiner der jungen Charaktere führt hier wirklich ein erfülltes, glückliches Leben, und keiner davon hat eine Zukunft, die über das reine Schuften und Katzbuckeln vor dem Regime hinausgeht. Und wenn die junge Generation keine Zukunftsaussichten hat, wer dann?_ »Wenn du dran glaubst, warum auch nicht?«_ _ Es gibt ein paar Entwicklungen, die sicher nicht realitätsgetreu ablaufen, die daher nicht hundertprozentig glaubwürdig sind. Aber auch das scheint mir Absicht zu sein, um die Gesellschaftskritik deutlicher zu unterstreichen. Hier muss ich leider so vage bleiben, um nicht vorweg zu nehmen, wie die Geschichte ausgeht._ _ Das Ende lässt vieles offen, schließt aber in gewissem Sinne dennoch den Kreis, der sich mit Franzisks Fall ins Koma eröffnet hat._ Fazit_ _ Im Jahr 1999 fällt in Minsk ein Jugendlicher nach einem katastrophalen Ereignis ins Koma. Der Oberarzt hält es für Verschwendung, nicht sofort die Maschinen abzustellen, niemand glaubt daran, dass Franzisk jemals wieder erwachen wird. Nur seine Großmutter weicht nicht von seiner Seite – und die Monate und Jahre gehen ins Land…_ _ Franzisks Koma spiegelt die Machtlosigkeit der Menschen in Belarus, die scheinbare Unveränderlichkeit des Systems und der unterdrückten Gesellschaft. Sa_a Filipenko erzählt die Geschichte als gelungene satirische Parabel. Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog: https://wordpress.mikkaliest.de/rezension-sasa-filipenko-der-ehemalige-sohn/
Ein Roman über die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation in Weißrussland, geschrieben von ein Debütanten im Jahr 2014 und im eigenen Land verboten, da äußerst regimekritisch. Ein Roman, so leicht und locker zu konsumieren, dass ich ihn an einem Tag durchgelesen habe. Ein Roman, wie ein Märchen, eine Parabel, vollgepackt mit Symbolik und eindimensionalen Figuren. Die Handlung wird eigentlich schon im Klappentext verraten: der 16jährige Franzisk gerät in Minsk in eine Massenpanik, fällt ins Koma und wacht erst nach 10 Jahren wieder auf. Rein medizinisch sind Krankheits- und vor allem Heilungsverlauf fragwürdig, aber das Koma steht ja quasi für eine im Tiefschlaf befindende Gesellschaft, in der sich keine Veränderungen ergeben, in einer Welt, in der der stetige Wandel in immer kürzeren Zyklen verläuft. Wenn schon Koma, dann bitte in Belarus, denn da kann man für ein paar Jahre auf Stand-By gehen, ohne das man etwas verpasst. Die Grundidee des Romans gefiel mir, aber die Umsetzung ist dann schon sehr im Schwarz-Weiß-Stil gemalt. Ambivalente Figuren gibt es gar nicht. Gut sind allenfalls Zisk und seine Großmutter, alle anderen Personen, ob Mutter, Stiefvater, Freundin, Kumpel oder Arzt sind schwach, lemminghaft oder schlichtweg niederträchtig. Ihre Gedanken bekommt man in Form von langen Monologen präsentiert. Der Schreibstil ist nicht gerade raffiniert. Am Ende bleibt bei mir das Gefühl, dass ich die 7 Stunden Lesezeit effektiver mit einem Sachbuch oder einer Doku über Belarus verbracht hätte. Insgesamt ein Leseerlebnis, dass ich noch als zufriedenstellend bezeichnen würde.
Franzisk, genannt Zisk, ist ein ehemaliger Sohn, denn nachdem er nach einem Unglück in ein langes Koma fällt, baut sich seine Mutter ein neues Leben auf. Einzig seine Großmutter und sein Freund aus der Schulzeit bleiben an seiner Seite. Sasha Filipenkos Roman ist ein interessanter politischer Roman, der schonungslos die Bedingungen eines Lebens unter einer Diktatur ausleuchtet, und dabei auch die verschiedenen Menschentypen, die dieses politische System hervorbringt, offenlegt. Auch wenn der Roman im Original bereits 2014 erschienen ist, ist er nach wie vor ein sehr aktueller Kommentar und eine scharfe Kritik der in Weißrussland herrschenden Bedingungen. Dass dies auch sieben Jahre nach der Erstveröffentlichung der Fall ist, zeigt, dass das Gleichnis, das der Roman zwischen Koma und Erstarrung im diktatorischen politischen System aufzeigt, äußerst zutreffend ist. Filipenko hat einen Text verfasst, der zu einem Großteil aus den Monologen verschiedener Personen besteht. Dies eröffnet dem Leser die Möglichkeit, sich nahezu unmittelbar mit den Figuren auseinanderzusetzen und so zu einer Charakterisierung des betreffenden Sprechers zu gelangen. Dadurch, dass Filipenko so suggeriert, seine Figuren kämen quasi ungefiltert zu Wort, erstehen diese sehr authentisch aus den Worten und es entsteht der Eindruck einer zumindest anfänglichen, oberflächlichen Wertfreiheit. Darüber hinaus sind die Monologe zumindest zu Beginn sehr abwechslungsreich und verfügen über eine hohe Lesbarkeit, was aber leider nichts an der Tatsache ändert, dass sich dieser Stil im Verlauf des Romans etwas abnutzt und auch ermüdet, denn man muss sich durchgängig auf unterschiedliche Menschen einlassen und ihnen zuhören - dadurch ist man als Leser die ganze Zeit auf einem gewissen Aufmerksamkeitsniveau. Dies ist allerdings sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass Filipenkos Monologe so ausgereift sind, dass häufig der Eindruck entsteht, man müsse jetzt gleich etwas dazu sagen – das wiederum ist ein großes Kompliment, denn wenn man das erreicht, ist ein hohes Maß an Authentizität erreicht. Dennoch hatte ich ab der Hälfte auch durchaus mal das Bedürfnis nach einer ordnenden und haltenden Erzählerstimme, die sich etwas zurücknimmt und nicht so stark involviert ist. Über dem ganzen Roman schwebt eine Atmosphäre der absoluten Hoffnungslosigkeit, Trostlosigkeit und Unfreiheit, gepaart mit einem Gefühl der Ohnmacht angesichts der Willkür, des Irrwitzes, der Absurdität der Situation. Es wird sehr deutlich, dass es für die Figuren des Romans keine rosige Zukunft, keinen Optimismus, keine Hinwendung zu einem besseren Leben gibt. Das Land und das Schicksal der Menschen, gefangen zwischen Angst, Willkür und Opportunismus, stagniert auf einem konstanten, unerträglichen Niveau. Auch wenn das Anliegen des Romans diese Aussage und die Enthüllung der unfassbaren Zustände in Weißrussland ist, so gewinnt das Politische im letzten Drittel des Textes zu sehr die Oberhand. Zeitweise scheint das Buch zu vergessen, dass es ein Roman ist, und nimmt eher die Form eines politischen Traktats an. Die Figuren werden immer stärker zum Vehikel politischer Kritik. Das finde ich insgesamt sehr schade, denn der potenzielle kraftvolle Nachhall des Textes büßt so einiges von seiner Stärke ein. Ich hätte mir hier ein subtileres, feineres Vorgehen gewünscht, eine raffiniertere Herangehensweise. Insgesamt hat mir Der ehemalige Sohn durchaus gefallen, aber es bleibt ein Roman verschenkter Möglichkeiten, der sein politisches Ansinnen zu stark und ausdrücklich in den Mittelpunkt stellt, um umfassend begeistern zu können.
Ein Land erwacht Sasha Filipenko war mir vor einiger Zeit mit seinem Roman „Rote Kreuze“ durchaus positiv aufgefallen. So freute ich mich, als ich die Gelegenheit bekam, auch seinen Debüt-Roman „Der ehemalige Sohn“ lesen zu dürfen. Nun – um mein (persönliches!) Fazit einmal vorweg zu nehmen: das Potenzial war damals schon vorhanden, allerdings noch nicht ganz „ausgereift“. Aber es gelingt wohl auch nur wenigen Debütanten, einen wirklichen „Hit“ als erstes Buch zu landen. Wenn doch, sind die Erwartungen anschließend umso höher und der Druck steigt. Dann lieber eine kontinuierliche Steigerung in der Qualität. Und trotzdem hat Sasha Filipenko schon mit seinem Debüt einen Literaturpreis erhalten; den „Russkaja Premija“. Es sei ihm von Herzen gegönnt. Well, let´s go: „Der ehemalige Sohn“ Franzisk ist ein „typischer“ Teenager im belarussischen Minsk, der lieber mit seinen Freunden Fußball spielt als Cello zu üben (hm, ich würde es eher umgedreht machen *g* - egal). Während einer Massenpanik in einer U-Bahn-Station (Gedanken an die Katastrophe der Loveparade werden während dieser sehr bildlich beschriebenen Szene automatisch „hochgespült“) wird Franzisk schwer verletzt und fällt in der Folge ins Koma. Alle geben ihn auf: die Ärzte, die eigene Mutter, zu der es sowieso ein recht schwieriges Verhältnis gibt, seine Freundin…Einzig seine geliebte Großmutter Elvira glaubt an das Erwachen von Franzisk – und sie soll Recht behalten. Die Zeit des 10-jährigen Komas von Franzisk wird in stakkatohaften, teils elend langen, jedoch auch teilweise äußerst interessanten Monologen recht ausführlich abgehandelt. Interessant wird es z. B. immer dann, wenn es in die „politische“ Richtung geht. Sätze wie „Es war ja auch nicht ein Mensch gestorben, sondern ein politischer Widersacher.“ (S. 135) lassen der geneigten Leserschaft (zumindest mir) einen Schauer über den Rücken jagen, wenn man sich die Ereignisse in Belarus in den vergangenen Jahren anguckt. Wahrhaft prophetisch (das Buch wurde 2014 erstveröffentlicht) …Hingegen fand ich einiges, was sich im Krankenzimmer abgespielt hat, äußerst fragwürdig; ich spare mir jetzt Details. Die erstaunlich schnell voranschreitende Genesung von Franzisk (Zisk) nach seinem Koma kann ich nicht so ganz für voll nehmen. Klar muss man (muss man?) auch hier den erzähltechnischen bzw. dramaturgischen Zeitturbo anschmeißen und ja, ein Roman darf sarkastisch, überspitzt etc. sein, aber – ach ich weiß auch nicht. Es hinterlässt irgendwie einen bitteren Geschmack. Aber nicht nur Zisk wacht auf, sondern auch das Land. Die Menschen gehen auf die Straßen, bieten der Regierung Paroli – und werden blutig niedergeschlagen. Same procedure im realen Leben… Versteht mich nicht falsch: das Buch hat seine guten Seiten, aber das letzte Quäntchen fehlt mir in dem Roman. Aber wie ich schon weiter oben schrieb… Ich verfolge die Entwicklung von Sasha Filipenko gerne weiter; für den Moment kann ich aber für seinen Debüt-Roman nur 3* vergeben. Der „test of time“ wird zeigen, ob die Bewertung zu einem späteren Zeitpunkt evtl. noch nach oben korrigiert werden kann. ©kingofmusic
Ein Roman über die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation in Weißrussland, geschrieben von ein Debütanten im Jahr 2014 und im eigenen Land verboten, da äußerst regimekritisch. Ein Roman, so leicht und locker zu konsumieren, dass ich ihn an einem Tag durchgelesen habe. Ein Roman, wie ein Märchen, eine Parabel, vollgepackt mit Symbolik und eindimensionalen Figuren. Die Handlung wird eigentlich schon im Klappentext verraten: der 16jährige Franzisk gerät in Minsk in eine Massenpanik, fällt ins Koma und wacht erst nach 10 Jahren wieder auf. Rein medizinisch sind Krankheits- und vor allem Heilungsverlauf fragwürdig, aber das Koma steht ja quasi für eine im Tiefschlaf befindende Gesellschaft, in der sich keine Veränderungen ergeben, in einer Welt, in der der stetige Wandel in immer kürzeren Zyklen verläuft. Wenn schon Koma, dann bitte in Belarus, denn da kann man für ein paar Jahre auf Stand-By gehen, ohne das man etwas verpasst. Die Grundidee des Romans gefiel mir, aber die Umsetzung ist dann schon sehr im Schwarz-Weiß-Stil gemalt. Ambivalente Figuren gibt es gar nicht. Gut sind allenfalls Zisk und seine Großmutter, alle anderen Personen, ob Mutter, Stiefvater, Freundin, Kumpel oder Arzt sind schwach, lemminghaft oder schlichtweg niederträchtig. Ihre Gedanken bekommt man in Form von langen Monologen präsentiert. Der Schreibstil ist nicht gerade raffiniert. Am Ende bleibt bei mir das Gefühl, dass ich die 7 Stunden Lesezeit effektiver mit einem Sachbuch oder einer Doku über Belarus verbracht hätte. Insgesamt ein Leseerlebnis, dass ich noch als zufriedenstellend bezeichnen würde.
Sehr schön. Mal was über Belarus gelernt, ein Land, dass ja kaum mal öffentlich stattfindet.