Auferstehung
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Nachdem mich die Charakterstudien in "Anna Karenina" begeistert haben, hat mich dieser letzte Roman von Tolstoi enttäuscht. "Auferstehung" erscheint mir als plakatives Manifest, so als ob Tolstoi in späteren Jahren nochmal so richtig über alles und jeden her ziehen wollte. Im Großen und Ganzen kann ich Tolstois Systemkritik ja nachvollziehen, aber so missionarisch und aggressiv wie sie in diesem Roman vorgetragen wird, war ich spätestens im dritten Teil extrem ermüdet. Tolstois Kritik findet man heute tagtäglich in kitschigen Weltverbesserungssprüchen bei Facebook wieder. Allerdings sind sie bei Tolstoi sprachlich weitaus geschickter und eleganter verpackt, weshalb ich anfangs auch noch ein Auge zugedrückt habe. Das Ende war glücklicherweise nicht kitschig, allerdings muss ich ehrlich gestehen, dass ich da auch schon so entnervt war, dass ich Nechljudows inneren Monolog zur Bibel und diversen Glaubenssätzen eher überflogen als wirklich gelesen habe. Als Tolstoi dann im dritten Teil auf gefühlt jeder dritten Seite über körperliche Liebe zetert, habe ich vollends meine Geduld mit dem alten Herrn verloren. Jede Form die über platonische Liebe hinausgeht, wird von Tolstoi verurteilt, als Sünde und Zügellosigkeit, ja sogar Abartigkeit dargestellt. Bei dieser spießigen Prüderie kam ich mir vor wie in einem Vortrag irgendeiner strenggläubigen Sekte. Die Figuren blieben dementsprechend blass, besonders die weiblichen Charaktere beschränkten sich auf die gefallene Sünderin Maria Magdalena, aka Maslowa, die wieder zum wahren Glauben findet und der heiligen Jungfrau Maria, alias Maria Pawlowna. Das war mir wirklich zu beschränkt und anstrengend. Das nächste Mal lieber eine Erzählung aus jüngeren, weniger prüden Jahren Herr Tolstoi.
Spätwerke von großen Autoren sind meines Empfindens oft nur schwer zu genießen. Doktor Faustus, Glasperlenspiel und Frauen vor Flusslandschaft, um nur mal an drei deutsche Nobelpreisträger zu erinnern, sind vielschichtig, komplex, interpretationsfähig oder einfach nur blanker Unsinn. Tolstois Spätwerk kann ich diese Attribute nicht zuordnen, was ja vielleicht als Kompliment zu verstehen wäre. Doch der Ton des über 70jährigen, der sein Leben am Ende des 19. Jahrhunderts ganz der Besitzlosigkeit, der Landwirtschaft und seinem Glauben widmete, ist durchweg belehrend, die Sprache anklagend, die Intention primitiv. Über die Liturgie der Orthodoxen macht er sich lustig ohne konkret seine Gründe darzulegen. Tolstoi ist Gesellschaftskritiker, ob in seinen vielen Erzählungen, die ich in diesem Jahr erstmals las oder auch in Anna Karenina. In Auferstehung habe ich aber das Gefühl, dass Tolstoi seine neue Religion der Leserschaft vermitteln will. Seine Ideale schreibt er seinem alten Ego, dem Fürst Nechliudow auf dem Leib und so soll aus dem ehemaligen Gutsbesitzers ein geläuterter Heiliger werden, in dem sich von allen Besitz zugunsten der Bauern trennt und sich von der Sünde reinigt, die in jungen Jahren beging. Damals ging er eine Beziehung mit einer jungen Frau ein, die danach schwanger wurde, das Kind verlor, in die Prostitution abrutschte und dann einen Mord an einem Freier angehängt bekommt. Der Fürst will nun das Leid lindern und sich opfern, da er als Schöffe ausgerechnet in der Gerichtsverhandlung der Frau versagte und sie nun zur Zwangsarbeit nach Sibirien soll. Tolstoi ist ein so hervorragend Romancier, wenn ich an Anna Karenina zurück denke, wie er den vielen Personen ein Gesicht und einen Charakter gab. Doch hier in Auferstehung bleibt insbesondere der Fürst sehr blass. Ich konnte nie richtig nachvollziehen, was ihn zu seinem radikalen Lebenswandel bewog und das ist doch eigentlich ein ganz zentraler Punkt. So kommt die Selbstlosigkeit auf Nechliudow wie Manna heruntergeregnet. Da wundert es nicht, dass die Maslowa, so der Name der Verurteilten, das Verhalten ihres ehemaligen Liebhabers nicht authentisch findet und seine Liebesbezeugung abwehrt. Als Erzählung hätte ich mir die Geschichte vielleicht noch bis zum Schluss angetan. Der große Mittelteil des Buchs besteht aber aus einer Bürokraten-Odyssee des Fürsten in St. Petersburg, als er versucht, eine Haftbefreiung für die Maslowa zu erreichen. Für Tolstoi ist dies dann willkommene Gelegenheit, auf alles einzuschlagen, was die russische Gesellschaft in dieser Zeit ausmachte. Ich empfand dies langweilig und ermüdend. Ständig wiederholt sich Tolstoi in seiner Kritik, sprachlich natürlich recht ansprechend, was den zweiten Stern in meiner Beurteilung zur Folge hat. Der Roman ist aber kein Vergleich zu den sozialkritischen Erzählungen wie z.B. Wieviel Erde braucht der Mensch, Der Holzschlag oder Der Leinwandmesser. Da gelingt es Tolstoi in bildhafter Sprache die menschlichen Makel aufzuzeigen. In Auferstehung klingt es aber nur wie das Gezeter eines alten Mannes. Ich habe es nach der St. Petersburger Phase nicht weiter ausgehalten und das Buch bei rund 70 % abgebrochen. Es interessierte mich einfach nicht mehr, wie die Geschichte weiterging. Das Ende des Buchs war mir euch die Biografie Tolstois schon bekannt. Apropos Biografie: das Leben Tolstois mit seinen vielen Brüchen fand ich faszinierend. Allerdings sind diese teilweise so radikal, das ich seine Distanz gegenüber der eigenen Familie einfach nicht nachvollziehen kann. Seine Frau hat unter der Darstellung der käuflichen Liebe in dem Roman gelitten, doch ihr Mann veröffentlichte sein Buch nichtsdestotrotz. Seine gewandelte Lebenseinstellung war Tolstoi wichtiger als die eigene Familie. Eigentlich versuche ich stets, Vita und Werk eines Autors voneinander zu trennen, doch hier konnte ich mich nicht ganz frei machen. „Gut gemeint, ist noch nicht gut gemacht“ Diese Philosophie kann ich noch verstehen, aber das Postulats eines armen Mönchen zu verwenden, um gegen die Windräder der Gesellschaft zu kämpfen, ist mir schlichtweg zu simpel. Wenn ich etwas über Schuld und Sühne in Russland des 19. Jahrhunderts lesen möchte, greife ich wohl besser zu Dostojewski, wenn den Kampf gegen den Bürokratie literarisch verarbeitet werden soll, dann zu Kafka. Hat mich enttäuscht. Ich brauche jetzt erstmal eine längere Tolstoi-Pause.
Spätwerke von großen Autoren sind meines Empfindens oft nur schwer zu genießen. Doktor Faustus, Glasperlenspiel und Frauen vor Flusslandschaft, um nur mal an drei deutsche Nobelpreisträger zu erinnern, sind vielschichtig, komplex, interpretationsfähig oder einfach nur blanker Unsinn. Tolstois Spätwerk kann ich diese Attribute nicht zuordnen, was ja vielleicht als Kompliment zu verstehen wäre. Doch der Ton des über 70jährigen, der sein Leben am Ende des 19. Jahrhunderts ganz der Besitzlosigkeit, der Landwirtschaft und seinem Glauben widmete, ist durchweg belehrend, die Sprache anklagend, die Intention primitiv. Über die Liturgie der Orthodoxen macht er sich lustig ohne konkret seine Gründe darzulegen. Tolstoi ist Gesellschaftskritiker, ob in seinen vielen Erzählungen, die ich in diesem Jahr erstmals las oder auch in Anna Karenina. In Auferstehung habe ich aber das Gefühl, dass Tolstoi seine neue Religion der Leserschaft vermitteln will. Seine Ideale schreibt er seinem alten Ego, dem Fürst Nechliudow auf dem Leib und so soll aus dem ehemaligen Gutsbesitzers ein geläuterter Heiliger werden, in dem sich von allen Besitz zugunsten der Bauern trennt und sich von der Sünde reinigt, die in jungen Jahren beging. Damals ging er eine Beziehung mit einer jungen Frau ein, die danach schwanger wurde, das Kind verlor, in die Prostitution abrutschte und dann einen Mord an einem Freier angehängt bekommt. Der Fürst will nun das Leid lindern und sich opfern, da er als Schöffe ausgerechnet in der Gerichtsverhandlung der Frau versagte und sie nun zur Zwangsarbeit nach Sibirien soll. Tolstoi ist ein so hervorragend Romancier, wenn ich an Anna Karenina zurück denke, wie er den vielen Personen ein Gesicht und einen Charakter gab. Doch hier in Auferstehung bleibt insbesondere der Fürst sehr blass. Ich konnte nie richtig nachvollziehen, was ihn zu seinem radikalen Lebenswandel bewog und das ist doch eigentlich ein ganz zentraler Punkt. So kommt die Selbstlosigkeit auf Nechliudow wie Manna heruntergeregnet. Da wundert es nicht, dass die Maslowa, so der Name der Verurteilten, das Verhalten ihres ehemaligen Liebhabers nicht authentisch findet und seine Liebesbezeugung abwehrt. Als Erzählung hätte ich mir die Geschichte vielleicht noch bis zum Schluss angetan. Der große Mittelteil des Buchs besteht aber aus einer Bürokraten-Odyssee des Fürsten in St. Petersburg, als er versucht, eine Haftbefreiung für die Maslowa zu erreichen. Für Tolstoi ist dies dann willkommene Gelegenheit, auf alles einzuschlagen, was die russische Gesellschaft in dieser Zeit ausmachte. Ich empfand dies langweilig und ermüdend. Ständig wiederholt sich Tolstoi in seiner Kritik, sprachlich natürlich recht ansprechend, was den zweiten Stern in meiner Beurteilung zur Folge hat. Der Roman ist aber kein Vergleich zu den sozialkritischen Erzählungen wie z.B. Wieviel Erde braucht der Mensch, Der Holzschlag oder Der Leinwandmesser. Da gelingt es Tolstoi in bildhafter Sprache die menschlichen Makel aufzuzeigen. In Auferstehung klingt es aber nur wie das Gezeter eines alten Mannes. Ich habe es nach der St. Petersburger Phase nicht weiter ausgehalten und das Buch bei rund 70 % abgebrochen. Es interessierte mich einfach nicht mehr, wie die Geschichte weiterging. Das Ende des Buchs war mir euch die Biografie Tolstois schon bekannt. Apropos Biografie: das Leben Tolstois mit seinen vielen Brüchen fand ich faszinierend. Allerdings sind diese teilweise so radikal, das ich seine Distanz gegenüber der eigenen Familie einfach nicht nachvollziehen kann. Seine Frau hat unter der Darstellung der käuflichen Liebe in dem Roman gelitten, doch ihr Mann veröffentlichte sein Buch nichtsdestotrotz. Seine gewandelte Lebenseinstellung war Tolstoi wichtiger als die eigene Familie. Eigentlich versuche ich stets, Vita und Werk eines Autors voneinander zu trennen, doch hier konnte ich mich nicht ganz frei machen. „Gut gemeint, ist noch nicht gut gemacht“ Diese Philosophie kann ich noch verstehen, aber das Postulats eines armen Mönchen zu verwenden, um gegen die Windräder der Gesellschaft zu kämpfen, ist mir schlichtweg zu simpel. Wenn ich etwas über Schuld und Sühne in Russland des 19. Jahrhunderts lesen möchte, greife ich wohl besser zu Dostojewski, wenn den Kampf gegen den Bürokratie literarisch verarbeitet werden soll, dann zu Kafka. Hat mich enttäuscht. Ich brauche jetzt erstmal eine längere Tolstoi-Pause.
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Nachdem mich die Charakterstudien in "Anna Karenina" begeistert haben, hat mich dieser letzte Roman von Tolstoi enttäuscht. "Auferstehung" erscheint mir als plakatives Manifest, so als ob Tolstoi in späteren Jahren nochmal so richtig über alles und jeden her ziehen wollte. Im Großen und Ganzen kann ich Tolstois Systemkritik ja nachvollziehen, aber so missionarisch und aggressiv wie sie in diesem Roman vorgetragen wird, war ich spätestens im dritten Teil extrem ermüdet. Tolstois Kritik findet man heute tagtäglich in kitschigen Weltverbesserungssprüchen bei Facebook wieder. Allerdings sind sie bei Tolstoi sprachlich weitaus geschickter und eleganter verpackt, weshalb ich anfangs auch noch ein Auge zugedrückt habe. Das Ende war glücklicherweise nicht kitschig, allerdings muss ich ehrlich gestehen, dass ich da auch schon so entnervt war, dass ich Nechljudows inneren Monolog zur Bibel und diversen Glaubenssätzen eher überflogen als wirklich gelesen habe. Als Tolstoi dann im dritten Teil auf gefühlt jeder dritten Seite über körperliche Liebe zetert, habe ich vollends meine Geduld mit dem alten Herrn verloren. Jede Form die über platonische Liebe hinausgeht, wird von Tolstoi verurteilt, als Sünde und Zügellosigkeit, ja sogar Abartigkeit dargestellt. Bei dieser spießigen Prüderie kam ich mir vor wie in einem Vortrag irgendeiner strenggläubigen Sekte. Die Figuren blieben dementsprechend blass, besonders die weiblichen Charaktere beschränkten sich auf die gefallene Sünderin Maria Magdalena, aka Maslowa, die wieder zum wahren Glauben findet und der heiligen Jungfrau Maria, alias Maria Pawlowna. Das war mir wirklich zu beschränkt und anstrengend. Das nächste Mal lieber eine Erzählung aus jüngeren, weniger prüden Jahren Herr Tolstoi.
Spätwerke von großen Autoren sind meines Empfindens oft nur schwer zu genießen. Doktor Faustus, Glasperlenspiel und Frauen vor Flusslandschaft, um nur mal an drei deutsche Nobelpreisträger zu erinnern, sind vielschichtig, komplex, interpretationsfähig oder einfach nur blanker Unsinn. Tolstois Spätwerk kann ich diese Attribute nicht zuordnen, was ja vielleicht als Kompliment zu verstehen wäre. Doch der Ton des über 70jährigen, der sein Leben am Ende des 19. Jahrhunderts ganz der Besitzlosigkeit, der Landwirtschaft und seinem Glauben widmete, ist durchweg belehrend, die Sprache anklagend, die Intention primitiv. Über die Liturgie der Orthodoxen macht er sich lustig ohne konkret seine Gründe darzulegen. Tolstoi ist Gesellschaftskritiker, ob in seinen vielen Erzählungen, die ich in diesem Jahr erstmals las oder auch in Anna Karenina. In Auferstehung habe ich aber das Gefühl, dass Tolstoi seine neue Religion der Leserschaft vermitteln will. Seine Ideale schreibt er seinem alten Ego, dem Fürst Nechliudow auf dem Leib und so soll aus dem ehemaligen Gutsbesitzers ein geläuterter Heiliger werden, in dem sich von allen Besitz zugunsten der Bauern trennt und sich von der Sünde reinigt, die in jungen Jahren beging. Damals ging er eine Beziehung mit einer jungen Frau ein, die danach schwanger wurde, das Kind verlor, in die Prostitution abrutschte und dann einen Mord an einem Freier angehängt bekommt. Der Fürst will nun das Leid lindern und sich opfern, da er als Schöffe ausgerechnet in der Gerichtsverhandlung der Frau versagte und sie nun zur Zwangsarbeit nach Sibirien soll. Tolstoi ist ein so hervorragend Romancier, wenn ich an Anna Karenina zurück denke, wie er den vielen Personen ein Gesicht und einen Charakter gab. Doch hier in Auferstehung bleibt insbesondere der Fürst sehr blass. Ich konnte nie richtig nachvollziehen, was ihn zu seinem radikalen Lebenswandel bewog und das ist doch eigentlich ein ganz zentraler Punkt. So kommt die Selbstlosigkeit auf Nechliudow wie Manna heruntergeregnet. Da wundert es nicht, dass die Maslowa, so der Name der Verurteilten, das Verhalten ihres ehemaligen Liebhabers nicht authentisch findet und seine Liebesbezeugung abwehrt. Als Erzählung hätte ich mir die Geschichte vielleicht noch bis zum Schluss angetan. Der große Mittelteil des Buchs besteht aber aus einer Bürokraten-Odyssee des Fürsten in St. Petersburg, als er versucht, eine Haftbefreiung für die Maslowa zu erreichen. Für Tolstoi ist dies dann willkommene Gelegenheit, auf alles einzuschlagen, was die russische Gesellschaft in dieser Zeit ausmachte. Ich empfand dies langweilig und ermüdend. Ständig wiederholt sich Tolstoi in seiner Kritik, sprachlich natürlich recht ansprechend, was den zweiten Stern in meiner Beurteilung zur Folge hat. Der Roman ist aber kein Vergleich zu den sozialkritischen Erzählungen wie z.B. Wieviel Erde braucht der Mensch, Der Holzschlag oder Der Leinwandmesser. Da gelingt es Tolstoi in bildhafter Sprache die menschlichen Makel aufzuzeigen. In Auferstehung klingt es aber nur wie das Gezeter eines alten Mannes. Ich habe es nach der St. Petersburger Phase nicht weiter ausgehalten und das Buch bei rund 70 % abgebrochen. Es interessierte mich einfach nicht mehr, wie die Geschichte weiterging. Das Ende des Buchs war mir euch die Biografie Tolstois schon bekannt. Apropos Biografie: das Leben Tolstois mit seinen vielen Brüchen fand ich faszinierend. Allerdings sind diese teilweise so radikal, das ich seine Distanz gegenüber der eigenen Familie einfach nicht nachvollziehen kann. Seine Frau hat unter der Darstellung der käuflichen Liebe in dem Roman gelitten, doch ihr Mann veröffentlichte sein Buch nichtsdestotrotz. Seine gewandelte Lebenseinstellung war Tolstoi wichtiger als die eigene Familie. Eigentlich versuche ich stets, Vita und Werk eines Autors voneinander zu trennen, doch hier konnte ich mich nicht ganz frei machen. „Gut gemeint, ist noch nicht gut gemacht“ Diese Philosophie kann ich noch verstehen, aber das Postulats eines armen Mönchen zu verwenden, um gegen die Windräder der Gesellschaft zu kämpfen, ist mir schlichtweg zu simpel. Wenn ich etwas über Schuld und Sühne in Russland des 19. Jahrhunderts lesen möchte, greife ich wohl besser zu Dostojewski, wenn den Kampf gegen den Bürokratie literarisch verarbeitet werden soll, dann zu Kafka. Hat mich enttäuscht. Ich brauche jetzt erstmal eine längere Tolstoi-Pause.
Spätwerke von großen Autoren sind meines Empfindens oft nur schwer zu genießen. Doktor Faustus, Glasperlenspiel und Frauen vor Flusslandschaft, um nur mal an drei deutsche Nobelpreisträger zu erinnern, sind vielschichtig, komplex, interpretationsfähig oder einfach nur blanker Unsinn. Tolstois Spätwerk kann ich diese Attribute nicht zuordnen, was ja vielleicht als Kompliment zu verstehen wäre. Doch der Ton des über 70jährigen, der sein Leben am Ende des 19. Jahrhunderts ganz der Besitzlosigkeit, der Landwirtschaft und seinem Glauben widmete, ist durchweg belehrend, die Sprache anklagend, die Intention primitiv. Über die Liturgie der Orthodoxen macht er sich lustig ohne konkret seine Gründe darzulegen. Tolstoi ist Gesellschaftskritiker, ob in seinen vielen Erzählungen, die ich in diesem Jahr erstmals las oder auch in Anna Karenina. In Auferstehung habe ich aber das Gefühl, dass Tolstoi seine neue Religion der Leserschaft vermitteln will. Seine Ideale schreibt er seinem alten Ego, dem Fürst Nechliudow auf dem Leib und so soll aus dem ehemaligen Gutsbesitzers ein geläuterter Heiliger werden, in dem sich von allen Besitz zugunsten der Bauern trennt und sich von der Sünde reinigt, die in jungen Jahren beging. Damals ging er eine Beziehung mit einer jungen Frau ein, die danach schwanger wurde, das Kind verlor, in die Prostitution abrutschte und dann einen Mord an einem Freier angehängt bekommt. Der Fürst will nun das Leid lindern und sich opfern, da er als Schöffe ausgerechnet in der Gerichtsverhandlung der Frau versagte und sie nun zur Zwangsarbeit nach Sibirien soll. Tolstoi ist ein so hervorragend Romancier, wenn ich an Anna Karenina zurück denke, wie er den vielen Personen ein Gesicht und einen Charakter gab. Doch hier in Auferstehung bleibt insbesondere der Fürst sehr blass. Ich konnte nie richtig nachvollziehen, was ihn zu seinem radikalen Lebenswandel bewog und das ist doch eigentlich ein ganz zentraler Punkt. So kommt die Selbstlosigkeit auf Nechliudow wie Manna heruntergeregnet. Da wundert es nicht, dass die Maslowa, so der Name der Verurteilten, das Verhalten ihres ehemaligen Liebhabers nicht authentisch findet und seine Liebesbezeugung abwehrt. Als Erzählung hätte ich mir die Geschichte vielleicht noch bis zum Schluss angetan. Der große Mittelteil des Buchs besteht aber aus einer Bürokraten-Odyssee des Fürsten in St. Petersburg, als er versucht, eine Haftbefreiung für die Maslowa zu erreichen. Für Tolstoi ist dies dann willkommene Gelegenheit, auf alles einzuschlagen, was die russische Gesellschaft in dieser Zeit ausmachte. Ich empfand dies langweilig und ermüdend. Ständig wiederholt sich Tolstoi in seiner Kritik, sprachlich natürlich recht ansprechend, was den zweiten Stern in meiner Beurteilung zur Folge hat. Der Roman ist aber kein Vergleich zu den sozialkritischen Erzählungen wie z.B. Wieviel Erde braucht der Mensch, Der Holzschlag oder Der Leinwandmesser. Da gelingt es Tolstoi in bildhafter Sprache die menschlichen Makel aufzuzeigen. In Auferstehung klingt es aber nur wie das Gezeter eines alten Mannes. Ich habe es nach der St. Petersburger Phase nicht weiter ausgehalten und das Buch bei rund 70 % abgebrochen. Es interessierte mich einfach nicht mehr, wie die Geschichte weiterging. Das Ende des Buchs war mir euch die Biografie Tolstois schon bekannt. Apropos Biografie: das Leben Tolstois mit seinen vielen Brüchen fand ich faszinierend. Allerdings sind diese teilweise so radikal, das ich seine Distanz gegenüber der eigenen Familie einfach nicht nachvollziehen kann. Seine Frau hat unter der Darstellung der käuflichen Liebe in dem Roman gelitten, doch ihr Mann veröffentlichte sein Buch nichtsdestotrotz. Seine gewandelte Lebenseinstellung war Tolstoi wichtiger als die eigene Familie. Eigentlich versuche ich stets, Vita und Werk eines Autors voneinander zu trennen, doch hier konnte ich mich nicht ganz frei machen. „Gut gemeint, ist noch nicht gut gemacht“ Diese Philosophie kann ich noch verstehen, aber das Postulats eines armen Mönchen zu verwenden, um gegen die Windräder der Gesellschaft zu kämpfen, ist mir schlichtweg zu simpel. Wenn ich etwas über Schuld und Sühne in Russland des 19. Jahrhunderts lesen möchte, greife ich wohl besser zu Dostojewski, wenn den Kampf gegen den Bürokratie literarisch verarbeitet werden soll, dann zu Kafka. Hat mich enttäuscht. Ich brauche jetzt erstmal eine längere Tolstoi-Pause.