Japanische Road-Novel! 👏🤩
„Du willst also sterben, ja? Und deine Eltern sind daran schuld, hm? Willst die Schule abbrechen? Widerlich. Deine Einstellung zum Leben ist widerlich. Jeder von uns würde am liebsten sterben. Jeder beißt die Zähne zusammen, bis es wehtut, und schuftet von morgens bis abends, als ginge es ums nackte Überleben, obwohl er sich in Wirklichkeit beschissen fühlt. Und jetzt machts du hier so ein Theater, nur weil deine Mutter krank geworden ist. Du bist doch nicht aus Zucker? Oder etwa doch? Bist Du ein Weichei? Wenn es dir so beschissen geht, dann verschwinde halt. Wenn du sterben willst, dann stirb. Aber beeil dich. Scheißtochter.“ Die siebzehnjährige Kanko, wie auch der Rest ihrer Japanischen Familie, ihre zwei Brüder und die labile, alkoholkranke Mutter sind der väterlichen Beschimpfungen, die auch ins Körperliche übergehen, ausgesetzt. Er ist ein Choleriker wie er im Buche steht und Prügeleien sowie verbale Beschimpfungen sind an der Tagesordnung - Kankos Brüder haben sich schon aus der prekären Familiensituation geflüchtet und nur noch Kanko ist übrig geblieben, die sogar noch Verständnis für das Verhalten ihres Vaters aufbringt. Sie fühlt sich verantwortlich für ihre Eltern, sieht sie als betreuungsbedürftig an, was eine Umkehr der Eltern-Kind-Rolle mit sich bringt - wären da nur nicht ihre Depressionen, unter denen sie zunehmend leidet. „Alles verläuft sich. Verläuft und wiederholt sich. Eine durchschnittliche Hölle, butterweich und lauwarm. Für die vielen kleinen Übel, die man bei jedem Streit anrichtet, wird man auf ihren Grund gestoßen. Doch nicht die Schmerzen, die man erleidet, wenn man in den kochenden See aus Blut fällt, oder die Strapazen, die man durchsteht, wenn man am Ufer des Flusses zum Totenreich schwere Steine aufeinanderstapelt, machen diese Hölle so unerträglich, sondern die Tatsache, dass sie weitergeht.“ Während einer Autofahrt zur Beerdigung Kankos Großmutter väterlicherseits eskaliert die Situation vollends. Aufwühlende Ereignisse der Vergangenheit werden rekapituliert und es kommt zu gegenseitigen suizidalen Androhungen. Speziell in diesen Szenen erfährt man viel über die psychischen Gegenwartszustände der einzelnen Figuren. „Kankos Reise“ ist ein Buch über transgenerationale Traumata (der Vater wurde als Kind selbst geschlagen und litt sehr unter mangelnder Aufmerksamkeit), über dysfunktionale Familien, aber auch über die Tücken von Depressionen und die Japanische Schweigekultur. Keiner der Figuren gelingt es, ihre Bedürfnisse oder Emotionen angemessen zu artikulieren und somit fehlt jegliche Grundlage zur konstruktiven Lösung von Konflikten oder zum Führen von gesunden zwischenmenschlichen Beziehungen. Geradezu schockiert war ich von der Intensität der Aggressivität der gegenseitigen Schuldzuweisungen und Vorwürfe der Figuren, in denen der Druck, der auf der Familie lastet, ein Ventil zu finden scheint. Der Text hat meine Empathie für die gravierenden Auswirkungen von Traumata wachsen lassen, auch wenn ich mir vielleicht mal eine Abweichung von der weiblichen Opferrolle gewünscht hätte. Fazit: Ein weiteres Werk meiner geliebten Japanischen Literatur, das ich als lesenswert erachte!