
Beeindruckend, wie konsequent die Form des Buches mit Inhalt im Einklang steht, aber gleichzeitig auch im eklatanten Widerspruch zum bruchstückhaften Innewohnendem, dem postmodernen Charakter des Buches - ein ganz besonderes Buch!
Angelo Tijssens Roman „An Rändern“ erschien mir sowohl durch dessen weitreichende Präsenz im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2024 als auch durch die nachfolgende vielfältig wohlwollende und umfangreiche Besprechung als unausweichlich. Nach einem Jahr und ohne dem Fazit zu sehr vorgreifen zu wollen: Ich sehe und verstehe auch, wieso unausweichlich. Unvermittelt wird man als Leser*in in die Welt des namenlosen Protagonisten und Ich-Erzählers geworfen, der aufgrund eines familiären Ereignisses zurück in den Ort seiner Kindheit muss. Dieser Ort wird nicht näher spezifiziert, liegt jedoch am Rand zum Meer. Dort trifft er zwar bewusst gewollt, doch nicht ersichtlich mit welcher Intention, auf seine erste männliche, aber auch namenlose Liebe. Wie in einem Erinnerungsrausch erfährt man von ihren sozialen Querverbindungen, von ihrer Begierde und ihrer Beziehung bzw. Nichtbeziehung zueinander - aber auch von sozialräumlichen Veränderungen im Ort und grenzüberschreitenden (Gewalt)Erfahrungen, die beide in ihrer Vergangenheit machen mussten und die teilweise mit zynischer Egalität durch den Protagonisten geschildert werden. Schlussendlich verfolgt man mit der fragmentarischen Erzählung unweigerlich einen tragischen Dissoziationsprozess der Identität des Ich-Erzählers, der jeglichen Halt zu verlieren scheint. Wortwörtlich gibt die innenliegende Titelseite einen Rahmen mittels eines schwarzen Randes vor, in dem sich der Inhalt bis zum Ende des Romans erstreckt - obwohl er es nicht müsste, da die schwarzen Ränder der Titelseite nicht fortdauern. An den Rändern der übrigen Seiten befindet sich ein leerer Platz für eigene Interpretationen, während man sich etwas orientierungslos, weil seitenlos, von Kapitel zu Kapitel durchhangelt. Es ist wahrlich beeindruckend, wie konsequent die Form des Buches mit Inhalt im Einklang steht, aber gleichzeitig auch im eklatanten Widerspruch zum bruchstückhaften Innewohnendem, dem postmodernen Charakter des Buches. Ein fantastisch konzentriertes Kunstwerk. Vielen Dank auch an Stefanie Ochel für die Übersetzung aus dem Niederländischen.