Kurzer, intensiver Roman - vielleicht sogar eher Novelle - über Schuld und Reue. Vor allem über das bedrückende Elend der Reue, aber auch über ihre heilsame Kraft. Nicht wirklich angenehm zu lesen, aber durchaus ein gutes Buch!
"Sie hatten sich selbst gesehen und dieser Anblick war niederschmetternd."
Ein wahres Kunstwerk, dass Tarjej Vessas auf nur 220 Seiten zu Papier gebracht hat. Eine kleine verschworene Inselgemeinde und ein Fremder, der auf einem Schiff daher kam.... Die Abgründe des Menschen, eine gemeinsame Hysterie begleitet von Schuld. Von Verleumdung, Trauer, Vergebung, Ratlosigkeit und von so vielem, was ungesagt bleibt. Ein wunderschönes und erschütterndes Buch.
Kunstvoll gezeichnete Geschichte über das Böse „Wie kann denn ein Mensch überhaupt schuldig sein. Wir sind hier doch alle Menschen, einer wie der andere.“ (Franz Kafka) Ihr kennt das bestimmt: man liest ein Buch, findet es überragend – und steht dann vor der scheinbar unlösbaren Aufgabe, eine Rezension zu schreiben, die dem Werk auch nur annähernd gerecht wird. Nun, ähnlich geht bzw. ging es mir mit „Der Keim“ von Tarjei Vesaas (aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel und einem Nachwort von Michael Kumpfmüller), erschienen im großartigen Berliner Guggolz-Verlag, der sich der Herausgabe vergessener literarischer Perlen vornehmlich aus Nord- und Osteuropa widmet und dessen Arbeit ich gar nicht oft und hoch genug loben kann (nein, ich werde NICHT für die Werbung bezahlt ha ha ha). Back to the story: Die Leser betreten mit Beginn eine nicht näher benannte Insel, auf der (vermeintlich) Harmonie herrscht *g*. Warum vermeintlich? Nun, welche Gemeinschaft (egal ob klein, mittel oder groß, gebildet oder ungebildet, reich oder arm) wird nicht früher oder später von Neid, Missgunst etc. heimgesucht? Oder wie es bei Tarjei Vesaas heißt „[…] Was half das alles? Das Grauen drang ja dennoch ein.“ (S. 123) Denn mit Ankunft von Andreas Vest beginnt die Atmosphäre auf der Insel sich zu wandeln. Dabei will er doch einfach nur Ruhe finden – Ruhe vor den Stimmen in seinem Kopf, Ruhe vor bzw. von dem erlittenen Schicksalsschlag. Und doch wird er zum Mörder…Wie werden die Inselbewohner auf den Mord reagieren? Und ist die Gemeinschaft so gefestigt, wie es zunächst den Anschein hat? Tarjei Vesaas´ Roman (Erstveröffentlichung: 1940) bietet Antworten auf diese Fragen – wer sie also beantwortet haben will, sollte bzw. muss selber zum Buch greifen *g*. Ich will euch weitere Beispiele für die meiner Meinung nach herausragende Übersetzungsarbeit von Hinrich Schmidt-Henkel geben – vielleicht reicht das ja als „Appetitanreger“: „Es dämmerte in ihnen selbst. Sie begriffen es nicht. Die Dämmerung kam von einem unvertrauten Ort. Aus Abgründen, die sich aufgetan hatten.“ (S. 147) „Es arbeitete zu schwer in ihnen. Heute am Vormittag war die Tobsucht von Mann zu Mann übergesprungen. Hinterher jetzt, in der Geborgenheit der Scheune, wanderten Reuegefühl und Selbstbefragung ebenso vom einen zum anderen. Etwas, dass man weder sah noch hörte, das aber die Knochen im Leibe so schwach werden ließ, wie man es noch nie erlebt hatte.“ (S. 195) Was jedoch noch viel wichtiger bei der Lektüre von „Der Keim“ ist: die Leser:innen müssen die ungeschriebenen Worte zwischen den Zeilen „entdecken“ und einordnen. Man liest also statt 220 Seiten im Idealfall mindestens 300 – wenn ihr versteht, was ich meine. Na, kann jemand das Fazit erraten? Richtig, mindestens 15* und die entsprechende glasklare Leseempfehlung! ©kingofmusic