21. Mai 2025
Feministische Kurzgeschichte
Bewertung:4

Feministische Kurzgeschichte

Diese nur ca. 30 Seiten lange feministische Kurzgeschichte hat mich wirklich beeindruckt. Ich wusste, dass es um Isolation und psychischen Verfall geht, aber ich war überrascht, wie intensiv diese kurze Erzählung wirkt. Eine namenlose Frau wird von ihrem Arzt-Ehemann in ein abgelegenes Dachzimmer gesteckt, weil er glaubt, sie müsse sich von „hysterischen Neigungen" erholen. Sie darf weder arbeiten noch schreiben - alles, was ihr Freude oder geistige Beschäftigung bringen würde, ist ihr verboten. Heimlich beginnt sie, ihre Gedanken niederzuschreiben und je langer sie in diesem Raum sitzt, desto stärker fixiert sie sich auf die gelbe Tapete. Die Muster, die Farben - irgendwann sieht sie darin Frauen, die gefangen sind. Besonders spannend fand ich, wie die Autorin beschreibt, dass die Erzählerin in diesen Strukturen Gesichter und Figuren erkennt. (Ich konnte das gut nachempfinden, weil ich das selbst kenne: wie Muster oder Schatten plötzlich etwas zu „zeigen" scheinen, wenn man nur lange genug hinschaut, like: dieser Schrank schaut mich an, mit seinen Augen, die Knöpfe sind) Wichtig zu betonen ist, dass der Begriff „Hysterie", der hier als Diagnose auftaucht, heute als sexistisch und völlig überholt gilt - damals aber war er ein Mittel, um Frauen kleinzuhalten und ihnen Selbstbestimmung zu nehmen. Gilman, selbst eine Kritikerin der sogenannten „Rest Cure", hat mit dieser Geschichte schon 1892 eine scharfe Abrechnung mit diesen patriarchalen Strukturen geschrieben. Einerseits fand ich es gut, dass die Geschichte so kurz ist, weil sie sich schnell lesen lässt und viel Interpretationsspielraum bietet. Andererseits hätte ich mir bei so einem wichtigen Thema manchmal mehr Tiefe und Länge gewünscht. Der nüchtern direkte Stil verstärkt die beklemmende Stimmung und für mich war das Ganze weniger gruselig als vielmehr traurig, verstörend und sehr zum Nachdenken anregend. Meine Empfehlung: Ich mochte diese Geschichte sehr - nicht nur wegen der starken Bilder, sondern auch wegen der wichtigen Botschaft. Wer feministische Klassiker und psychologisch dichte Erzählungen mag, sollte hier unbedingt reinschauen.

Die gelbe Tapete
Die gelbe Tapetevon Charlotte Perkins GilmanBraumüller Verlag
13. Okt. 2024
Bewertung:3

Unheimlich, intensiv und definitiv nichts für Leute, die vorhaben, ihr Zimmer neu zu tapezieren!

Wenn du denkst, Tapeten könnten niemals gruselig sein, hast du Die gelbe Tapete noch nicht gelesen. Was als harmlose Erholung für unsere Protagonistin beginnt, wird schnell zum psychologischen Albtraum. Eingesperrt und von allen unterschätzt, verfängt sie sich immer mehr in den bizarren Mustern der Tapete. Das Buch ist ein psychotrip – und es trifft genau ins gelbe🙃, wenn es um Themen wie Isolation und Unterdrückung geht.

Die gelbe Tapete
Die gelbe Tapetevon Charlotte Perkins GilmanBraumüller Verlag
14. Nov. 2023
Bewertung:5

"Ich habe diese Geschichte nicht geschrieben, um Menschen verrückt zu machen, sondern um sie davor zu bewahren, verrückt zu werden." Eine junge Frau soll sich in einem Landhaus von ihrer Depression erholen, versinkt aber immer weiter darin. Auf diese Kurzgeschichte wurde ich aufmerksam durch die Lektüre des Sachbuches "Frauen Literatur" von Nicole Seifert. Und es handelt sich um keine Horrorgeschichten sondern um die Geschichte einer Frau, die sich in ihrem Wahnsinn verliert. Spannend aufgebaut, durchaus mit Horror Elementen und sehr nachdenklich stimmend. Geschrieben 1892, einer Zeit, in der Frauen wenig selbstbestimmt leben konnten. Mit einem tollen Nachwort der Autorin über ihren Ansporn, diese Geschichte so zu erzählen. Wirklich beeindruckend

Die gelbe Tapete
Die gelbe Tapetevon Charlotte Perkins GilmanBraumüller Verlag
16. Nov. 2022
Bewertung:4

Ein Buch, von dem man einst glaubte, es könnte einen verrückt machen, wurde geschrieben, um genau das zu verhindern. Es soll verhindern, sich verrückt machen zu lassen, sagt die Autorin selbst im Nachwort ihrer Geschichte 'Die gelbe Tapete'. Das Nachwort und die angehängte Biographie der Autorin ist überaus interessant und mindestens genauso spannend, wie die Geschichte selbst, die mit ihren knapp 50 Seiten doch unglaublich viel aussagt. Der Schreibstil ist schlicht und kurzweilig und beschreibt die Gedanken einer Frau, die wegen Depressionen in einem Dachzimmer ausruhen und gesunden soll, welches von einer gelben Tapete geziert ist, die unglaubliche Muster in sich birgt, welche sich des Nachts sogar verändern zu scheinen. Man verbietet der Dame das Schreiben und jegliche Anstrengung und sie tut es heimlich, weil sie ihre Gedanken über diese Tapete, die sie einerseits fürchtet und andererseits mit beinahe krankhaftem Interesse studiert, niederschreiben muss und möchte. Diese Geschichte ist kurz aber grandios und ich kann sie jedem empfehlen, der sich mit Geisteskrankheit und mit Fehlbehandlungen beschäftigen möchte oder der eben auch einfach mal etwas ganz anderes lesen will, aus ebenso noch einer völlig anderen Zeit. Für mich haben sich daher die 14,90 für dieses kleine Buch wirklich gelohnt.

Die gelbe Tapete
Die gelbe Tapetevon Charlotte Perkins GilmanBraumüller Verlag