"Darum haste ich ein letztes Mal in die Geschichte. Ich haste in die Geschichte hinein wie aus der Keusche hinaus, weil man mir versichert hat, meine Geschichten wären immer so lange, wie die Autorin Atem hat, und ich möchte sie erzählen, bevor mir die Luft ausgeht." (S. 43) Adlers Worte sind eindrucksvoll und brutal ehrlich. Doch hüte dich vor den schmalen Büchern, die mit ihren weniger als hundert Seiten eine leichte Lektüre vortäuschen. Sie sind es nicht! Denn um ihrem tiefen Sinn nachzuspüren, braucht es Zeit. Mit "Miserere" hinterlässt uns Helena Adler drei kurze Texte, in denen sie sich unmissverständlich mit ihrer Krebsdiagnose, dem Sterben und dem Nachhall ihres Lebens auseinandersetzt. Geplant waren sie als Teil eines größeren Werkes, doch dazu kam es nicht mehr. Helena Adler verstarb im Januar 2024 mit gerade mal vierzig Jahren. Mit ihrem Tod verloren wir eine Autorin, deren Potenzial und Schaffen noch lange nicht erschöpft waren. Zweimal war sie für den Österreichischen Buchpreis nominiert. Adlers Sprache ist durchdringend, bildreich und wirkt manchmal prähistorisch, als stamme sie aus einer uralten, fast mythischen Epoche. Die oft naturgewaltigen Bilder, die sie verwendet, wirken wie aus einer anderen Welt. In Stil und Form erinnern die Texte an Poesie und nicht zuletzt das Covermotiv spiegelt den Kampfgeist wider, mit dem Adler ihrem eigenen Tod gegenübertritt. Es ist eine Metapher für die Entschlossenheit, dem Tod etwas entgegenzusetzen – nicht nur in der Realität, sondern auch in der literarischen Auseinandersetzung. Ich bin sehr froh, dass mit "Die Infantin trägt den Scheitel links" ein weiteres Buch dieser außergewöhnlichen Autorin auf mich wartet. Und wie großartig ist bitte, dass das @literaturhaus_salzburg ab 2025 den "Helena Adler Preis für rebellische Literatur" vergibt?!
5. Feb. 2025
Misererevon Helena AdlerJung u. Jung