
Großartiger historischer Roman mit Krimi und Horrorelementen
Joanna Manders hat ein schweres Leben im Jahr 1921. Sie hat keinen bekannten Vater, ihre Mutter ist in einer Irrenanstalt und ihr Mann im ersten Weltkrieg gefallen. Sie arbeitet für die Tante Dottie von ihrem verstorbenen Mann Alex und auch diese ist nicht einfach. Sie wurde als Reisebegleiterin auserwählt und nun zurück in Wych Elm House ist ihre Rolle eher der einer Dienstmagd ähnlich. Immer mit Nachnamen verrufen und jederzeit kritisch beäugt, schleicht sie sich durch den Alltag und versucht alles richtig zu machen um genug Geld für den Aufenthalt ihrer Mutter zu verdienen. Man merkt, dass sie sich absolut nicht wohl fühlt nicht so leicht mit allem fertig wird bei ihrer angeschlagenen Seele und das sie nicht mehr viele Rückschläge erträgt. Viele Geheimnisse, Verdächtigungen und Gerüchte lassen Jo in einer Zeit forschen, die sie noch mehr ins Grübbeln bringt. Der Schreibstil passt sehr gut in die Zeit und ich bin auch von der Gestaltung des Buches begeistert. Ornamente am Kapitelanfang und der schöne Umschlag, lassen auf einen ebenso schönen Inhalt schließen. Die Handlung an sich plätschert leise vor sich hin, aber ich fand es trotzdem sehr interessant, da es das Zeitalter und ihren Umschwung sehr schön veranschaulicht. Die Familie ist absolut distanziert und kühl zu Jo und unterstreicht damit den unterschwelligen Grusel in dem Haus, indem ich mich definitiv nicht wohl fühlen würde. Es hat jetzt keine plötzlichen Jumpscares, aber wohlfühlen kann man sich bei dem Umgang und in den Zimmern auch nicht. Nur weil überall Wohlstand und Luxus herrscht, heißt es nicht, dass das Haus reich an Liebe und Wärme ist. Im Gegenteil, mit jedem Geheimnis und Offenbarung distanziert man sich mehr von dem Geschehen und mag gar keinem mehr trauen. Eine willkommene Abwechslung war da für mich die Lästereien der Dienstboten und Dorfbewohner und die Rückblenden zu ihrer Ehe mit Alex. Jo Manders erzählt uns in der Ich-Perspektive von ihren Erlebnissen mit Dottie in der Villa und ihrem Alltag, nebst den Besuchen bei ihrer Mutter. Ab und an drängen sich kleine Erinnerungen in den Vordergrund von der Kennenlerngeschichte von Alex und Jo, aber das bleibt eher selten. Trotzdem war die kleine Liebesgeschichte so eine willkommene Abwechslung und schön zu lesen, regelrecht herzerwärmen im Gegensatz zum restlichen Inhalt. Das Mitleid über ihre Situation in der Gegenwart wurde immer größer mit jeder Zeile, wie man sie kennenlernte, aber auch die Wut über Einstellung und Frauenbild in der Zeit. Die Charaktere waren somit toll ausgearbeitet, für mich sehr authentisch dargestellt und die Entwicklung Jos fand ich großartig. Im Mittelpunkt stehen aber nicht nur familliäre Geheimnisse, sondern auch die Nachkriegszeit und die Traumata, die es zu verarbeiten galt. Nicht nur schwere Verletzungen, Mophinabhängigkeit und Alpträume werden hier thematisiert, sondern auch eine kühle und Abgeschottetheit der Menschheit gegenüber und wie die daheimgebliebenen Familienmitglieder mit so einer Situation umgehen. Gerade die Gespräche mit Cousin Martin finde ich dabei sehr eindringlich. Neben den ganzen posttraumatischen Störungen kommt auch etwas das übernatürlich Geisterhafte zu Tage, aber wie schon erwähnt, sehr dezent und nicht der pure Horror, den man kaum aushalten kann. Zusammenfassend lässt sich glaube ich feststellen, dass es kein Spukhaus-Roman ist, sondern eher ein historischer Roman mit einer niedlichen, zarten Liebesgeschichte, bissl Krimi, vielen Geheimnissen und einem Geist, der zwar nicht gruselig ist, aber da. Wenn ihr so etwas sucht, dann bitte unbedingt diese Seiten in die Hand nehmen, denn was das anging, hat es alle Kriterien erfüllt. Ich war wirklich gefesselt von den Ereignissen und habe richtig gerne in dem Buch gelesen.