Augmented Reality = computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Wir lassen uns Brillen zur Anprobe ins Gesicht projezieren oder verändern unser Aussehen durch Instagram-Filter – das kennen wir alle. In "Opus Eins" von Simon Lokarno betreten wir eine überschminkte, weichgezeichnete Zukunft, in der jeder Mensch durch Sensoren im Kopf dauerhaft online und mit der Augmented Reality verbunden ist. Jeder und alles ist schön, Unansehnliches wird einfach digital überdeckt. Regiert werden die Menschen von einer künstlichen Intelligenz, um absolute Fairness und Wohlstand für möglichst viele Leute zu gewährleisten. Klingt gut? Aber was muss verborgen werden? Was hat die Menschheit sich selbst und dem Planeten angetan? Link ist Realitätsdesigner und wird gegen seinen Willen aus seinem öden Alltagstrott gerissen, als seine gute Freundin Lely mit einer wichtigen Bitte an ihn heran tritt. Bei ihren Forschungen machte die Wissenschaftlerin eine beängstigende Entdeckung und ein Kampf um die Frage, welchen Weg die Menschheit einschlagen soll, beginnt. Der Schreibstil ist bemerkenswert und er reißt einen mit, an mancher Stelle wird es aber auch mal etwas holprig und unnötig umständlich. Manchmal erklärt der Autor, statt aufzuzeigen. Ein gängiger Makel, über den ich gerne hinweggsehen habe, da das Werk vor Ideenreichtum nur so strotzt. Das gesamte Worldbuilding ist beispiellos und lies mich oft noch lange nach dem Beiseitelegen des Buches darüber philosophieren. Schillernde Städte, finstere Unterschlüpfe und gefährliche Wildnis – der Autor hat sich unglaublich viel einfallen lassen. Ich würde gerne ausführlich schwärmen aber möchte nicht zu viel vorweg nehmen. Es gibt kein eindeutiges Gut und Böse, kein Schwarz und Weiß. Dadurch und auch durch das spezielle Ende bietet das Werk viel Diskussionsstoff. Was Spannung und Kreativität anbelangt ist "Opus Eins" ein 5-Sterne-Buch. Ich vergebe 4 Sterne, weil die Charaktere zwar grundsätzlich interessant, aber nicht gut genug ausgebaut sind oder nur zu kurz eine Rolle spielen, als dass ich eine Bindung zu ihnen hätte aufbauen können. Gerade der Protagonist Link ist sehr passiv in einer äußerst actiongeladenen Geschichte. Der Autor hält immer voll drauf und spart nicht an gewalttätigen Szenen. Wer damit keine Schwierigkeiten hat, dem möchte ich "Opus Eins" unbedingt empfehlen, egal ob ihr Sci-Fi-Einsteiger oder Fortgeschrittene seid.
26. Juni 2023
Opus Einsvon Simon LokarnoRedrum Activity