Faszinierend, verstörend, mysteriös. Ein Leseerlebnis
Stille Wasser sind tief
In Selva Almadas Roman „Kein Fluss“ geht es scheinbar nur um drei Männer, die gemeinsam Fischen gehen. Doch je tiefer man in den Text einsteigt, die unterschiedlichen Zeitebenen und Perspektiven durchsteigt, desto klarer wird die Bandbreite an Themen, die auf den knapp hundert Seiten in Erscheinung treten. So erhält nicht nur die Natur einen personifizierten und eigenwilligen Charakter, der sowohl einladend als auch beunruhigend sein kann. Die Menschen werden im Gegenzug roh und auf eine Art und Weise animalisch. Dabei ergänzen sich sachliche Beschreibungen und mythologisch angehauchte Passagen, die die Grenzen zwischen Realität und Übernatürlichem verschwimmen lassen. In den Dialogen, Rückblicken und Andeutungen wird deutlich, dass der Text den fehlenden Respekt vor der Natur anprangert und ebenso die etablierten misogynen Mechanismen und die Zerstörungskraft des Verlusts. Dabei sind die Protagonisten jedoch nicht eindimensional, sondern zeigen neben der Härte auch eine Zartheit in Bezug auf langjährige Freundschaften oder die Familie. Den Roman muss man wahrscheinlich etwas nachwirken lassen, einzelne Fragmente erneut lesen und sich der Bandbreite des Erzählten bewusst werden. Doch gerade die Tatsache, dass man auf so wenigen Seiten so viel entdecken kann, macht den Text zu etwas Besonderem.