Wer ohne viel Theorie ein Gefühl für die Gefühls- und Gedankenwelt von Menschen mit Demenz erhalten möchte und nebenbei ein spannendes Drama miterleben will, sollte nach diesem Buch greifen.
„Maud hat Alzheimer. Sie vergisst, dass ihr Teewasser kocht. Dass sie keine Pfirsiche mehr kaufen soll. Und manchmal vergisst sie auch, wer ihre Enkelin ist. Aber während die Gegenwart ihr immer mehr entgleitet, öffnet sich die Tür in ihre Vergangenheit…“ So steht es auf dem Buchrücken dieses berührenden Romans geschrieben. Ich habe Maud beim Lesen gleich auf den ersten Seiten sehr ins Herz geschlossen. Die Autorin, zum Zeitpunkt der Erstausgabe dieses Buches gerade mal 28 Jahre alt, beschreibt Mauds Lebenswelt auf eine Art, der man sich nicht entziehen kann. Ich war selbst zwischendurch ziemlich böse auf Mauds Tochter, den Polizisten, den Sohn von Elisabeth… denn klar ist: Elisabeth wird vermisst und keiner scheint sich dafür zu interessieren und lässt uns, Maud und mich als Leserin, mit viel Ungewissheit und Unruhe zurück. Maud schreibt sich Zettel, um ihren Alltag zu bestreiten, als Leserin bin ich ebenfalls dankbar dafür, denn auch ich muss mich erst zurechtfinden. Wer ist diese Elisabeth? Und wie kommen wir eigentlich darauf, dass sie vermisst wird? Woher kennt Maud Elisabeth und was fangen wir mit den Momenten an, die uns gedanklich sofort zurück in Mauds Kindheit und Jugend katapultieren? Wir springen immer wieder zwischen beiden Zeiten und manchmal brauche ich einen Augenblick um zu verstehen, wo wir gerade sind, mit wem Maud spricht und vor allem, wie alt Maud gerade ist und außerdem: wen wir gerade suchen. Schon bald stellt sich heraus, dass Maud nämlich nicht zum ersten Mal einen liebgewonnenen Menschen verzweifelt sucht und dass sie mit ihren Gefühlen damals wie heute ziemlich alleine dastand. Wir begleiten Maud durch ihre Heimatstadt, die sich während ihres Lebens stark verändert hat, erinnern uns an Orten an Geschehnisse, die lange her und doch noch so greifbar sind. Wir erleben aber auch, wie Maud während der Geschichte immer häufiger Probleme bekommt, sich zu verständigen, wie sie umzieht und sich gar nicht heimisch fühlt, wir erleben Einbrüche, Umbrüche und Zusammenbrüche. In meinen Augen ist dieser Roman äußerst lesenswert! Wer ohne viel Theorie ein Gefühl für die Gefühls- und Gedankenwelt von Menschen mit Demenz erhalten möchte und nebenbei ein spannendes Drama miterleben will, sollte nach diesem Buch greifen. Maud benennt so manchen Gegenstand nach ihrer Logik, steckt ihn in ihre Manteltasche, beschreibt ihr Leben und gibt uns einen Einblick in die Welt, wie sie sie sieht. Die Erzählung springt manchmal ohne große Vorwarnung in den Zeiten, manches Mal fehlen auch manche Momente ganz, wenn Maud zum Beispiel Gesprächen nicht folgen kann. Wie soll sie mir als Leserin dann auch davon berichten? All das lässt mich als Leserin ebenfalls ratlos zurück. Bis zum Ende werden viele Fragen geklärt, aber nicht alle. So viel darf verraten werden. Und gerade das macht dieses Buch in meinen Augen so wertvoll: ich habe kein Alzheimer, fühle mich als Leserin dieses Buches jedoch keinen Deut mehr im Vorteil und möchte in die Welt schreien, damit uns endlich jemand hört und Antworten gibt: Aber Elisabeth wird doch vermisst!