flüssiger Schreibstil, deutliche Sprache, ernste Themen
"Wir wollten nichts. Wir wollten alles" von Sanne Munk Jensen und Glenn Ringtved erzählt die tragische Geschichte von Liam und Louise, einer Geschichte die sich mit der Liebe, dem Schmerz und dem Tod auseinandersetzt. Doch worum geht es denn überhaupt?! Zwei Leichen werden aus dem Limfjord gezogen: Liam und Louise. Ihre Hände sind mit Handschellen aneinandergekettet. Alle Indizien weisen auf Selbstmord hin. Louises Eltern zerbrechen fast am Tod ihrer Tochter, doch ihr Vater klammert sich daran, die Wahrheit herauszufinden. Als er Louises Tagebuch findet, eröffnet sich ihm das Leben, das seine Tochter und Liam in den vergangenen Monaten geführt haben. Schon nach den ersten paar Seiten tauchen speziell die Fragen auf, die den Leser nicht mehr loslassen und die sich doch jeder von uns innerlich stellen würde: Warum mussten diese beiden jungen Menschen sterben? Was ist wirklich mit ihnen passiert bzw. was führte dazu, dass sie den Selbstmord gewählt haben? Diese Fragen ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch und sorgen dafür, dass man der Wahrheit auf den Grund gehen möchte. Der Schreibstil des Autorenduos ist äußerst flüssig, sodass sich die Geschichte sehr gut lesen lässt. Besonders gelungen fand ich den Wechsel zwischen den verschiedenen Erzählzeitpunkten. Die Handlung springt hierbei geschickt zwischen den Ereignissen der Vergangenheit und den Erlebnissen der Hinterbliebenen hin und her. Die verstorbene Protagonistin Louise als Erzählerin auszuwählen, finde ich ziemlich mutig, es verleiht der Geschichte eine neuartige und recht ungewöhnliche Note - im positiven Sinne. Doch auch wenn ich die Handlung mit recht großem Interesse verfolgt habe, fand ich es dennoch ziemlich schwierig, mich in irgendeiner Form mit den Charakteren zu identifizieren. Besonders das Denken und Handeln von Louise und Liam war für mich nur schwer bis gar nicht nachvollziehbar. Die als große Liebe inszenierte Beziehung der beiden wirkt auf mich eher toxisch als romantisch. Louise ist auf eine fast erschreckende Weise von Liam abhängig und scheint sich in dieser Abhängigkeit nach und nach selbst zu verlieren. Ihre Blindheit gegenüber seiner (manipulativen) Art macht sie für mich persönlich zu einem tragischen Opfer ihrer eigenen Sehnsucht. Und Liam? Er war mir tatsächlich von Anfang an unsympathisch – ein Protagonist, der in mir keine Emotionen geweckt hat und dessen egoistisches Verhalten Louise immer tiefer in einen Strudel aus Verzweiflung und Selbstaufgabe zieht. Statt einer berührenden Liebesgeschichte bekommt man hier vielmehr einen herben Einblick in eine zerstörerische Beziehung, die meiner Meinung nach durch und durch von emotionaler Abhängigkeit geprägt ist. Wer übrigens keine grundlegenden Englischkenntnisse hat, könnte sich bei vielen Passagen möglicherweise schwer tun, da keine Übersetzungen angeboten werden und in den Dialogen immer wieder die englische Sprache eingestreut wird. Obwohl das Buch demnach größtenteils als Jugendbuch beworben wird, finde ich, dass es durchaus auch für erwachsene Leser geeignet ist. Die ernsten Themen bieten genügend Stoff zum Nachdenken - auch für ein erwachsenes Publikum. Für mich ist diese Geschichte eine reine Tragödie mit deutlicher Sprache und ernstzunehmendem Hintergrund, die zeigt, wie sich das Fehlen von Liebe und Anerkennung auf das Leben eines jeden Menschen auswirken kann. Trotz einiger großer Schwächen in der Figurenzeichnung und der für mich schwer greifbaren "Liebesgeschichte" hat mich die Handlung letztlich aber dennoch sehr gut bei der Stange gehalten. Die Geschichte, die von hinten aufgerollt wird, bleibt bis zum Ende interessant und hinterlässt viele nachdenkliche Fragen. Was muss ein Mensch durchmachen, um sich nicht mehr "gesehen" zu fühlen? Und was passiert, wenn man sich letztlich der einzigen Person zuwendet, die einem Beachtung schenkt – egal, wie zerstörerisch sie ist? "Wir wollten nichts. Wir wollten alles" ist somit ein Buch über Sehnsucht, Abhängigkeit und den Wunsch, gesehen zu werden. Eine Geschichte, in der alle ein wenig mehr Liebe gebraucht hätten... ~ Die Welle treibt uns aufeinander zu. In ihrem Schaum greifen wir nach unseren Händen. Wir wollten nichts, als es begann. Nun wissen beide, wo wir enden. ~