Dies ist eine Warnung: Nach der Lektüre von »Die Liebe vereinzelter Männer« von Victor Heringer wird alles in ein gelbliches Licht getaucht sein, das so stark blendet, dass die Reste der verbrannten Hornhaut danach als blitzende Schatten durch das Sichtfeld tanzen und man das Gefühl nicht loswird, keine Sprache für die erlebte Erfahrung zu haben.
Wie also soll man einen Roman beschreiben, für den selbst Maria Hummitzsch in ihrer kongenialen Übersetzung, neue Wörte erfinden musste? Es gilt der Grundsatz, der bei Büchern immer zutrifft: Glaubt nicht der Literaturkritik! In dieser wird der Roman zum großen Teil auf die darin enthaltene queere Liebesgeschichte zwischen dem pubertierenden, gehbehinderten Camilo und dem 15-jährigen Waisenkind Cosme zu einem 'Manifest der Liebe' reduziert. Doch sind es gerade die Grenzen zwischen Liebe und Obsession, die hier der Wahn des Protagonisten beschreiben. Situiert in den Randbezirken Rio de Janeiros im Jahr 1976 zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur erzählt der Roman von verschwitzter Haut, von verstaubten Straßen, der Gewalt der Armut, Masturbation und der ersten Liebe, wenn sich Camilo und Cosme ineinander verlieben und ihnen gerade einmal zwei Wochen zur Entdeckung ihrer Bedürfnisse bleiben, bevor Cosme danach gewaltvoll aus Camilos Leben gerissen wird. Der Roman bietet einen schonungslosen Blick in die Gefühle und Gedanken Camilos, dessen Obsession für Cosme auch nach vielen Jahren nicht abgeklungen ist. Das wirkt auf den ersten Moment, wie der romantische Topus der unerfüllten Liebe, deren Schmerz den Protagonisten durch die Jahre treibt, und auf den sich die meisten Rezensenten stürzen. Da wird selbst das Verhältnis zwischen dem älteren Camilo und einem Straßenjungen als 'väterlich' beschreiben, als ob ihm dann im Alter noch ein hoffnungsvolles Ende zuteilwird. Dass Camilo in besagtem Straßenjungen ein Abbild Cosmes sieht und ihn gegen seinen Willen berührt, ja sogar explizite Mordgedanken äußert, um den dadurch wieder aufkeimenden Schmerz aus seinem Leben zu tilgen, scheint dann doch nicht erwähnenswert. »Die Liebe vereinzelter Männer« ist das letzte Buch von Victor Heringer, der unter schweren Depressionen litt und kurz vor seinem 30. Geburtstag den Freitod wählte. Es ist ein Roman des Scheiterns, der Besessenheit von Liebe und am Ende ein Zeugnis davon, wie brachial und perfide Sprache sein kann.