Trotz gewohnt starkem Schreibstil ist dieser Band der Inheritance-Welt enttäuschend – überfrachtet mit unsympathischen Figuren, zähen Perspektiven und überraschend schwachen Rätseln. Bisher mit Abstand der schwächste Teil dieser Welt.
Nach den spannenden Inheritance Games Reihe und dem bisschen schwächeren The Brothers Hawthorne, war die Vorfreude groß auf das nächste Spiel in der Hawthorne-Welt. Leider kann dieser Band weder emotional noch mit der Geschichte mithalten – eine Enttäuschung auf vielen Ebenen. Der Einstieg ist erschwert durch die Vielzahl neuer Figuren. Bis man alle Charaktere – Lyra, Knox, Brady, Rohan und Co. – einordnen kann, vergeht einiges an Zeit. Und selbst danach fällt es schwer, eine emotionale Bindung aufzubauen. Gigi und Savannah, die wir aus the Brothers Hawthorne kurz kennengelernt haben kommen auch vor. Und ganz am Rande Avery und die Brüder. Nur Grayson hat minimal eine größere Rolle Das Buch wird aus mehreren Perspektiven erzählt – leider ausgerechnet aus denen, die am schwersten zugänglich oder sympathisch sind. Die Kapitel aus Sicht von Rohan und Lyra ziehen sich und wiederholen sich ständig. Gigi als Perspektive bringt etwas Leichtigkeit, wirkt aber ebenfalls zerstreut. Viele Szenen bestehen aus: • psychologischer Selbstanalyse ohne Fortschritt, • Beschreibung körperlicher Reaktionen oder äußerlicher Details, • oder emotionaler Überinszenierung, die nichts zur Geschichte beiträgt. Was besonders fehlt: eine klare emotionale Linie. Wer ist die Hauptfigur? Was ist das eigentliche Ziel? Warum sollte man mitfiebern? – Diese Fragen bleiben über weite Strecken unbeantwortet. Rohan ist besonders problematisch: überheblich, manipulativ, und seine Gedanken über Mitspielerin Savannah schwanken unangenehm zwischen übertriebener Analyse, Kontrolle und Objektifizierung. Seine Perspektive wird immer wieder durch abwertende Kommentare unterbrochen, was ihn schwer erträglich macht. Lyra ist durchgehend von ihrer Vergangenheit besessen. Ihre Kapitel verlieren sich in Gedankenschleifen um ein Kindheitstrauma, das weder weiterentwickelt noch emotional tiefgreifend beleuchtet wird. Stattdessen wird ständig wiederholt, was wir längst verstanden haben. Auf das Spiel und das rätseln konzentriert sie sich selten. Gigi ist von den dreien noch am zugänglichsten, wirkt aber oft überdreht, unkonzentriert und sprunghaft. Ihre Absicht, gute Stimmung im Team zu halten, dominiert so sehr, dass das eigentliche Spiel zur Nebensache wird. Savannah, Brady, Knox, Odette und Grayson haben keine eigene Erzählerperspektive, sind aber oft eher die interessanteren Charaktere, die dadurch aber zu kurz kommen. Ein Kernmerkmal der Hawthorne-Welt ist das Spiel – mit spannenden Räumen, cleveren Aufgaben und der Möglichkeit, als Leser mitzudenken. In diesem Buch bleibt das weitestgehend aus. Die Rätsel wirken: • eher wie Kulisse als Teil der Handlung, • in ihrer Auflösung oft unlogisch oder zufällig, • unterbrochen durch gedankliches Abschweifen der Figuren, wodurch Spannung gar nicht erst aufkommt. Gerade wenn es interessant werden könnte, lenken innere Monologe von Lyra oder die Machtspielchen von Rohan wieder ab. Das Miträtseln wird unmöglich gemacht, die Spannung verpufft. Räume wie das Spielzimmer oder der Kinosaal wirken mehr wie Pflichtstationen als wirklich Teil der Haupthandlung, wie bei den vorherigen Büchern. In diesem Band scheint es ein Zwang zu geben, jede mögliche Zweierkonstellation romantisch aufzuladen – selbst dort, wo es nicht passt. Beziehungen oder Gefühle werden angedeutet, die keine echte Basis haben. Das wirkt konstruiert und unnatürlich, besonders im letzten Drittel des Buches. Trotz der inhaltlichen Schwächen ist der Stil von Jennifer Lynn Barnes weiterhin sehr angenehm. Sie schreibt elegant, flüssig und bildhaft – sowohl zum Lesen als auch zum Hören eine Freude. Das rettet das Buch aber auch nicht mehr. Die Grundidee war vielversprechend: ein neues Spiel, neue Teams, neue Geheimnisse. Doch dieses Buch verliert sich in seinen eigenen Figuren, vergisst seine Stärken – und endet mit einem erzwungenen Cliffhanger, der nicht motiviert, sondern eher abschreckt. Hätte ich es nicht gehört, sondern gelesen, hätte ich es abgebrochen.