15. Juni 2023
Bewertung:4

In „Einvernehmlich“ erzählt Donna Freitas von ihren Erlebnissen mit Stalking durch einen ihrer Professoren und erhebt schwere Vorwürfe gegen ihre damalige Universität im Umgang mit Beschwerden bzgl. Übergriffigkeit. - Donna Freitas ist schon von klein auf sehr wissbegierig, saugt alles auf und träumt da in Professorin zu werden. Zu ihren Lehrkräften unterhält sie ein intensives Verhältnis zum Austausch von Informationen und zum Lernen. Auch auf der Graduate School findet sie in ihrem Profeesor einen Mentor, der gern bereit ist, sie zu unterstützen und zu fördern. Die anfängliche Euphorie über die Aufmerksamkeit ihres Lehrers schlägt jedoch schnell in Abscheu und Angst um, als dieser immer mehr versucht in ihr Leben einzudringen. Er steht uneingeladen vor ihrer Wohnung, schreibt unendlich viele Briefe, spricht unangemessene Einladungen aus und versucht über Vorwürfe, sie sei keine gute Freundin, ein „Ja“ ihrerseits zu erzwingen. Auch zu ihrer Mutter baut er Kontakt auf und pflegt eine Brieffreundschaft, um an ihrem Leben teil zu haben. Dies endet darin, dass die Autorin sich anfängt anders zu benehmen, anders zu kleiden, alles zu tun, um ja nicht aufzufallen. Alles ohne Erfolg. Der Druck durch ihn wird so massiv, dass selbst ihre Karriere an Wichtigkeit verliert. Eine Beschwerde bei der Universitätsleitung verläuft im Sande, es wird eher gegen sie, als für sie gearbeitet. Es findet ein Täterschutz statt, der einzig darauf abziehlt, den guten Ruf der Graduate School zu erhalten. - In dem Buch werden sehr authentisch und ausführlich die möglichen Ausmaße des Stalkings geschildert. Es wird aufgezeigt, wie eine Person sich nach und nach in das Leben einer anderen einnistet und übergriffig wird. Die Autorin selbst macht sich lange Zeit Vorwürfe, ob sie dieses Verhalten provoziert hat, sie zweifelt an ihrer Wahrnehmung, fragt sich, ob sie nicht übertreibt, ob nicht alles ganz harmlos ist, verteidigt ihn sogar, vertraut sich erst sehr spät jemandem an. Dazu muss man wissen, dass sie katholisch erzogen wurde und der Stalker ein katholischer Priester ist, also ein Mann der nach den Regeln des Zölibats lebt. Dieser Umstand hat sicher dazu beigetragen, dass sie lange sich selbst und ihre Wahrnehmung in Frage stellt, da das Verhalten des Priesters so gar nicht damit zu tun hat, was die Religion dazu aussagt. Die Vorfälle ereigneten sich alle vor den Offenlegungen der Eklats der katholischen Kirche. Ob dieses Wissen und eine andere Erziehung zu einem anderen Handeln geführt hätten ist fraglich, zeigt es doch ganz klar das typische Opferverhalten und auch die Autorin selbst, weiß nicht, ob sie in dem Fall anders gehandelt hätte. Auch die Auswirkungen auf das spätere Leben wird sehr gut beschrieben. Freitas leidet noch Jahre nach den Vorfällen unter Ängsten und Panikattacken, entwickelt eine posttraumatische Belastungsstörung, die bis heute ihre Auswirkungen zeigt. Die Defizite im Opferschutz und im Meldesystem werden thematisiert und dies war etwas was mich wütend gemacht hat. Es wird Opfern unglaublich schwer gemacht gegen die Täter vorzugehen und es ist nicht verwunderlich, dass eine wesentlich höhere Dunkelziffer an Fällen vermutet wird, solange in dem System eher die Täter geschützt werden. - Ein sehr intensives Buch, dass mich teilweise an meine Grenzen gebracht hat. Große Empfehlung meinerseits, aber mit Vorsicht genießen, wenn ihr euch von dem Thema getriggert fühlt.

Einvernehmlich
Einvernehmlichvon Donna Freitasbtb