Daniel Mendelsohn berichtet, in eher nüchternem Ton, von den zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen Homers Odyssee und der mendelsohnschen Familie. Dabei geht es, wie der Titel verrät, vornehmlich um die Person seines Vaters. Über ein Odyssee-Seminar und eine anschließende Kreuzfahrt zu den Schauplätzen der Odyssee lernen die Lesenden und auch Daniel einiges über dessen Vater Jay. Technisch bedient sich der Autor ganz offen der gleichen Kniffe wie Homer. Manchmal etwas zu offensichtlich, da er die Techniken jeweils einleitet und erklärt. Generell lässt mich das Buch ambivalent zurück. Daniel ist so stur und geistig unflexibel, dass er zunehmend unsympathisch wirkt. Sein Vater hingegen kommt einem beim Lesen immer näher und lädt dazu ein, eine Bindung mit ihm einzugehen. Daniel zieht immer wieder Parallelen zur Odyssee, sodass irgendwann der Eindruck entsteht, eine Analogie ist geradezu zwingend gewollt. Gleichzeitig lernt man aber auch unwahrscheinlich viel über die Odyssee. Fast so, als säße man selbst in diesem Seminar. Der Autor ist ein guter Erzähler; man bleibt dabei und arbeitet sich regelrecht an ihm ab. Absätze sind sinnvoll gewählt, geben dem Text Struktur. Das ist besonders an den Stellen wichtig, wo plötzlich auf entscheidende Satzzeichen komplett verzichtet wird. Es gibt also beim Lesen immer wieder etwas zu entdecken. Es werden auch wichtige Begriffe erschöpfend erklärt. So erschließen sich den Lesenden bislang ungeahnte Kontexte. Letzteres und der Umstand, dass man nicht umhin kam emotional auf das Buch zu reagieren, veranlasste mich zu der 4-Sterne-Bewertung. Eine Empfehlung für alle Odyssee-Interessierten.
31. Dez. 2023
Eine Odysseevon Daniel MendelsohnSiedler