Zu Besuch in Unterleuten
Unterleuten von Juli Zeh ist ein Roman, der auf den ersten Blick mit seiner ruhigen Erzählweise und der Fülle an Charakteren eine gewisse Geduld erfordert – doch wer dranbleibt, wird reich belohnt. Auch für mich war es ein zweiter Anlauf: Beim ersten Versuch vor über einem Jahr bin ich über den Anfang nicht hinausgekommen, da sich die Handlung zunächst sehr gezogen hat. Beim zweiten Mal habe ich eine Kombination aus Lesen und Hörbuch gewählt – und diese Herangehensweise hat sich als goldrichtig erwiesen. Sobald ich die Charaktere kennengelernt hatte, war ich mitten im Geschehen. Ich fühlte mich wie ein stiller Nachbar im Dorf Unterleuten, als Teil der Gemeinschaft, als Zeuge von Konflikten, Emotionen, tief sitzenden Ressentiments und generationenübergreifenden Plänen. Die Figuren sind unglaublich vielschichtig gezeichnet – ihre Motive, Schwächen und Stärken entfalten sich nach und nach in einem dichten Geflecht sozialer Beziehungen. Besonders faszinierend war für mich, wie subtil und gleichzeitig kraftvoll Juli Zeh die Dynamik des Dorfes beschreibt. Die Spannungen bauen sich langsam auf, kulminieren in unerwarteten, aber völlig logischen Wendungen – und erzeugen eine Sogwirkung, der man sich nur schwer entziehen kann. Ihre Sprache ist dabei so präzise und atmosphärisch, dass ich mir viele Szenen bildlich vorstellen konnte, als würde ich selbst durch die Straßen von Unterleuten gehen.