Ambitioniert, aber nicht packend – zwischen Anspruch und Abstraktion verloren
Raphaela Edelbauers Die Inkommensurablen ist zweifellos ein literarisch ambitionierter Roman, der mit seinem Setting im Wien der Julikrise 1914 eine faszinierende historische Kulisse wählt. Besonders gelungen finde ich die Idee, die gesamte Handlung in einem sehr kurzen Zeitraum spielen zu lassen – das verdichtet die Atmosphäre spürbar.
Allerdings fiel es mir schwer, in den Roman hineinzufinden und durchgehend dabei zu bleiben. Der Stil ist oft sperrig, die zahlreichen historischen Einschübe und gedanklichen Exkurse ins Spirituelle und Parapsychologische erschweren den Lesefluss. Statt eines klaren Spannungsbogens empfand ich die Handlung als eher fragmentarisch. Mir fehlte ein fesselnder roter Faden, an dem ich mich als Leser orientieren konnte.
Auch wenn ich die sprachliche und thematische Tiefe anerkenne, hat mich der Roman emotional nicht abgeholt. Wer Freude an intellektuellen, experimentellen Romanen mit historischem und philosophischem Tiefgang hat, wird hier sicher etwas finden. Ich persönlich konnte mich aber nicht voll auf das Buch einlassen.
Fazit: Eine interessante Idee, sprachlich und inhaltlich anspruchsvoll – aber für mich zu verkopft und zu wenig mitreißend.
"Was interessierte ihn schon das Moralische - das war es nicht. Ihn fraß viel mehr der Neid, dass er selbst im Leben nie etwas unmoralisches getan hatte ."
Zunächst fand ich die Beschreibung Wiens am Vorabend des 1. WK spannend und sehr informativ, desto länger die Geschichte aber geht, desto abgedrehter wird sie. Mich hat das Buch zumindest iwann zu theoretisch in mathematischen und psychoanlytischen Sphären verloren.
Der Sprecher des Audiobooks war aber ganz toll, die Stimme ist angenehm zum Zuhören und er spricht die Dialekte toll!
Lesehighlight 2024
Ein Tag vor Kriegsausbruch in Wien 1914
Mit dem Bauernjungen Hans betreten wir ein Wien im Chaos, alles jubelt dem kommenden ersten Weltkrieg entgegen. Alles Männer rennen um sich freiwillig für den Kriegsdienst zu melden. Mobilmachung.
Hans will zu einer Psychoanalytikerin weil er besondere Fähigkeiten besitzt.
Dort trifft er Clara die Mathematikstudentin und Alex und er zieht mit den beiden durch die Stadt.
Mehr will ich nicht verraten, aber die Einsichten der Autorin sind sehr lesenswert und der Roman hat eine unwahrscheinliche Dichte und Tiefe.
Ich könnte ihn gleich noch einmal lesen.
Das würde es einfacher machen zu sterben - und zwar, weil man sich das Sterben in diesem später besungenen, doch gegenwärtig vernebelten August als das Lebendigste überhaupt vorstellte. Ich bin ich und werde es für immer gewesen sein - ich als Individuum der Menschheitsgeschichte.
Was für eine Täuschung! Nichts war mehr individuell an irgendjemandem. Die letzte Nacht der Menschheit war ein Kollektivgeschehen, und je mehr jeder sich als Einzelner glaubte, desto mehr geriet er zum Arm des Absoluten.
Das zeigte sich auch daran, dass keiner allein sein wollte ...
- Zitat, Seite 149
Dieser Roman der Autorin Raphaela Edelbauer aus Wien war 2023 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Ein Begriff aus der Mathematik ziert den Titel und die Rahmenhandlung umfasst ein bisserl mehr als 24 Stunden am Vorabend des 1. Weltkriegs der österreichischen Kaiserstadt, die ein Tiroler Bub aufsucht, um sich einer Psychoanalyse zu unterziehen.
Natürlich wird man dem Roman an sich mit dieser groben Zusammenfassung kaum gerecht. Dieses Werk ist wie eines dieser Träume, die man in den frühen Morgenstunden erlebt und die so bildreich und komplex erscheinen, dass man beim Erwachen kaum glauben kann, dass sie nur wenige Minuten andauerten. Ebenso mag man nach der Lektüre den Kopf leicht verwirrt schütteln und sich fragen: Was zum Geier hab ich da gerade gelesen?
Denn es ist ein wahrer Strudel an Gedanken und Themen, der auf die Lesenden einströmt. Von der aufgepeitschten politischen Stimmung bis hin zur individuellen Selbstfindung, vom Rationalen bis hin zum Übersinnlichen werden hier sämtliche Zustände, Befindlichkeiten und Abgründe ausgelotet.
Von der Erzählstruktur ist eine unbedingte und gewiss beabsichtigte Ähnlichkeit mit Virginia Woolf und ihrem berühmten Roman "Mrs Dalloway" zu finden. Auch spielt die Uhrzeit eine nicht unerhebliche Rolle im Roman. Die ganze Geschichte ist trotz der manchmal schlafwandlerisch wirkenden Handlung in fast minutiös getaktete Abschnitte unterteilt, durch welche die Träumenden - ach nein, die Protagonisten - hindurch müssen.
Die Sprache ist recht schlicht mit etwas Lokalkolorit gehalten. Warum der Offizierssohn sich gängiger Juristensprache bedient, war nicht ganz ersichtlich. Fremdwörter im Text wirken fast wie Fremdkörper, sie sind einfach verständlich, aber warum sie wie Stolpersteine zwischen den Zeilen liegen, mag ein reiner Kunstgriff der Autorin sein.
FAZIT
Vielleicht hat die Autorin etwas zuviel gewollt und ihr Werk verwirrt und strapaziert sicherlich einige bei der Lektüre. Ich fand die Geschichte mit all ihren eingedrehten Gedanken faszinierend und bin dem Protagonisten Hans atemlos durch das atmosphärisch gezeichnete Wien gefolgt. Und bezüglich der Klatsche der Psychoanalyse kann ich nur Applaus spenden.
Dieser Roman mag nicht für jeden die richtige Lektüre sein, aber von mir gibt es eine Empfehlung, das Experiment zu wagen!
Puh. Ich habe das Buch jetzt bei Seite 225 von 349 abgebrochen. Da ich es aus meiner lokalen Bücherei ausgeliehen habe, bringe ich es nun lieber zurück, damit sich hoffentlich jemand anderes daran erfreuen kann, bevor ich mich weiter quäle.
Der zweite Stern ist für die teilweise wirklich wunderschöne Sprache, die mich noch in der Leseprobe so in den Bann gezogen hat. Die Szene, als Hans am Bahnhof in Wien ankommt und von dem Trubel und Treiben fast erschlagen wird — die Reizüberflutung — das sich Eröffnen der Welt, der Metropole, der Heterogenität — all das war grandios beschrieben, sodass ich es fast schmecken konnte und mit Hans zusammen auf dem Bordstein abseits zusammengesackt bin. Das wars dann aber halt auch leider wieder mit dem Positiven.
Ich hatte bei ca. Seite 180 in meinem Leseupdate spezifische Punkte erwähnt, die mich bis dato störten. Dieses Gefühl hatte sich auch 50 Seiten später leider nur verstärkt.
Meine Hauptkritikpunkte waren (und sind) wie folgt:
1. HINTERGRUND:
Zuerst: Ich liebe Bücher, die im DACH-Raum des späten 19. / frühen 20. Jh spielen. Ob es nun Fiktion oder historische Sachbücher sind, diese so turbulente und von drastischen Veränderungen geprägte Zeit fasziniert mich ungemein und erlaubt auch eine wichtige Lektion, die auch für unsere heutige Zeit weiterhin gelernt werden sollten. Nun beschränke ich mich aber im Bereich der Fiktion hauptsächlich auf Werke von Autoren, die diese Zeit selbst miterlebt haben — aus Zeitzeugenperspektive schreiben — ohne das Wissen der Rückschau.
Und genau dies ist es nun also auch, was mich an DIE INKOMMENSURABLEN stört und was mich davon abgehalten hat, das Buch im Handel zu erwerben. Hätte es nicht auf der Longlist des diesjährigen Buchpreises gestanden hätte ich es wohl auch an mir vorbeiziehen lassen. — Hätte hätte, und so.
Die Idee, das Stimmungsbild verschiedener Wiener politischer und ethnischer Gruppen/sozialer Schichten am Vorabend des ersten Weltkrieges einzufangen, ist grundsätzlich erstmal eine gute.
Nun verkommt aber der Krieg einerseits zur Hintergrundkulisse, vor der plötzlich eine Art metaphysischer Krimi (?) stattfindet, wird andererseits aber von Figuren auf eine Art und Weise diskutiert, die „Ich bin eine Autorin des 21. Jh“ schreit. Der Ausbruch Klaras bei Jesenkys ist hier das für mich schlimmste Beispiel — generell gibt die Geschichte treffsicher den Charakteren recht, denen auch unsere Sympathie gelten soll — wie viel besser wäre es den K.U.K. Militärexperten doch gegangen, wenn sie auf Klara und Adam gehört hätten. Gleichzeitig zu viel und zu wenig. Das Verständnis für die Eigenheiten und Fehleinschätzungen der Vorkriegs-Österreicher, was den kommenden Krieg betrifft, das Porträtieren des Fin de Siècle/ der Dekadenz, die die europäische Seele des frühen 20. Jh ergriff, all dies wird nur grob eingefangen — immer mit dem müden Lächeln desjenigen, der es ohnehin besser weiß.
Da empfehle ich doch lieber den Radetzkymarsch Joseph Roths (der sicherlich auch nicht ohne Grund mehrfach in dem Roman Erwähnung findet).
2. MYSTIZISMUS
Dieser Abschnitt wird deutlich kürzer. Ich konnte mit diesem ganzen Erzählstrang überhaupt nichts anfangen und wäre davon im Klappentext die Sprache gewesen, hätte ich dieses Buch nicht gelesen. Dies ist (wie ja eigentlich alles in dieser Rezension) reine Geschmacksache — ich kann nicht darüber urteilen, wie gut gemacht dieser metaphysische/esoterische Exkurs ist und kann nicht ausschließen, dass Menschen, die für solcherlei empfänglich sind, dem etwas abgewinnen können.
Als ich bei Abbruch bemerkte, dass dieser Erzählstrang nun das Hauptaugenmerk des Textes und in endlosen, für mich teils stark redundanten Ausschweifungen ins Lampenlicht gerückt wird, entschied ich mich dazu, bis zum Ende vorzuspringen, um wenigstens zu sehen, ob das Narrativ wieder zu seinem Ursprung zurückfindet.
Ohne zu spoilern: Nein. Die Auflösung war für mich so offensichtlich, dass mir nicht mal beim Lesen klar geworden war, dass es sich hier um ein Mysterium hätte handeln sollen und mein Interesse hatte sich schon lange verabschiedet.
3. HANS:
Eine andere Rezension hier auf goodreads spricht es bereits an. Auch mir war bis zum Zeitpunkt des Abbruchs Hans nicht nur völlig fremd, sondern sogar in großen Teilen inkonsequent in seinem Wissen, seinen Möglichkeiten, seinem Bildungsstand, seiner Gefühle und seinem Blick auf die Welt. Hans wiederholt mal mit weit aufgerissenen Augen und Mund (ganz wie eine überstilisierte Comicfigur) die einfachsten Wörter, sodass man zwischen seinen Ohren meint das Meer rauschen zu hören, dann wiederum hat er nicht nur ein Verständnis davon, was Sozialismus ist, sondern hat auch noch eine Meinung dazu — kann die Bratsche von der Violine auf den ersten Blick unterscheiden, hat Platon und Dostojewski gelesen, und das obwohl er mit 12 von der Schule flog.
Natürlich ist das nicht unmöglich — und Bildungsstand und Intelligenz nicht gleichzusetzen— aber Hans‘ Charakterisierung bleibt undurchsichtig und scheint genau dann Dinge und Zusammenhänge genau dann zu begreifen, bzw. NICHT zu begreifen, wenn die Erzählung es verlangt.
4. Queerness:
Nur kurz zuletzt — auch diesen Punkt hatte ich bereits in einem Leseupdate ausgeführt. Mir wurde mehrfach DIE INKOMMENSURABLEN aufgrund seiner Darstellung queeren Lebens im Vorkriegs-Wien angepriesen (mit auch ein Grund, warum mich das Buch überhaupt interessierte, schließlich gibt es zu dem Thema wirklich so einiges zu erzählen). Das erscheint mir in höchsten Maße übertrieben — außer diese *positive Darstellung* bezieht sich auf Leute, die glauben, queerness sei eine Erfindung der 2000er. Dann ist die bloße Erwähnung hier vielleicht revolutionär.
Tatsächlich beläuft sich die Darstellung der queeren wiener Szene auf eine höchst unangenehme Situation, bei der der Leser im Kopf unseres heterosexuellen Protagonisten gleichzeitig voyeuristisch, erregt, fasziniert und angeekelt zwei lesbische Frauen beim Vorspiel beobachtet, bevor diese in die Zweisamkeit und aus dem Blickfeld verschwinden. Die ländliche Verwirrung von Hans bei so viel städtischer Freiheit entlädt sich in aggressiven und hasserfüllten Empfindungen Klara gegenüber (da er ihr Lesbisch-sein als Verrat an seinem heterosexuellen Recht auf die Aufmerksamkeit von Frauen empfindet), bis auch dieses Narrativ zugunsten der Esoterik wieder verschwindet.
Dass gerade Lesben sich der Fetischisierung durch heterosexuelle Männer ausgesetzt sehen ist auch heute noch der Fall. Mir zumindest war diese Darstellung höchst unangenehm.
Vielleicht war aber auch meine Erwartungshaltung hier einfach die Falsche.
______
So wie es scheint gehen die Meinungen zu diesem Buch ziemlich auseinander und das allein ist ja schon mal faszinierend. Auf die shortlist hat es es allerdings nicht geschafft — zumindest kann ich aber behaupten, ich hätte wenigstens ein Buch der ursprünglichen longlist dieses Jahr gelesen (wenn auch nicht komplett).
Ich freue mich jedenfalls für jeden, dem dieses Buch gefallen hat, und hoffe darauf, dass hier noch ein paar mehr Rezensionen eintrudeln, um ein größeres Stimmungsbild des Otto-Normallesers zu erhalten.
Ihr erster Roman "Flüssiges Land" war ungewöhnlich und spannend. Aber in diesem Werk wird zwischen zwei Buchdeckel inmitten realer Ereignisse , dem nahenden Ausbruch des ersten Weltkriegs, eine solche Menge halbgare Philosophie und Unlogik gepackt, dass es am Ende schade um jeden Baum ist, der für das Buch gefällt werden musste.
Puh. Ich habe das Buch jetzt bei Seite 225 von 349 abgebrochen. Da ich es aus meiner lokalen Bücherei ausgeliehen habe, bringe ich es nun lieber zurück, damit sich hoffentlich jemand anderes daran erfreuen kann, bevor ich mich weiter quäle.
Der zweite Stern ist für die teilweise wirklich wunderschöne Sprache, die mich noch in der Leseprobe so in den Bann gezogen hat. Die Szene, als Hans am Bahnhof in Wien ankommt und von dem Trubel und Treiben fast erschlagen wird — die Reizüberflutung — das sich Eröffnen der Welt, der Metropole, der Heterogenität — all das war grandios beschrieben, sodass ich es fast schmecken konnte und mit Hans zusammen auf dem Bordstein abseits zusammengesackt bin. Das wars dann aber halt auch leider wieder mit dem Positiven.
Ich hatte bei ca. Seite 180 in meinem Leseupdate spezifische Punkte erwähnt, die mich bis dato störten. Dieses Gefühl hatte sich auch 50 Seiten später leider nur verstärkt.
Meine Hauptkritikpunkte waren (und sind) wie folgt:
1. HINTERGRUND:
Zuerst: Ich liebe Bücher, die im DACH-Raum des späten 19. / frühen 20. Jh spielen. Ob es nun Fiktion oder historische Sachbücher sind, diese so turbulente und von drastischen Veränderungen geprägte Zeit fasziniert mich ungemein und erlaubt auch eine wichtige Lektion, die auch für unsere heutige Zeit weiterhin gelernt werden sollten. Nun beschränke ich mich aber im Bereich der Fiktion hauptsächlich auf Werke von Autoren, die diese Zeit selbst miterlebt haben — aus Zeitzeugenperspektive schreiben — ohne das Wissen der Rückschau.
Und genau dies ist es nun also auch, was mich an DIE INKOMMENSURABLEN stört und was mich davon abgehalten hat, das Buch im Handel zu erwerben. Hätte es nicht auf der Longlist des diesjährigen Buchpreises gestanden hätte ich es wohl auch an mir vorbeiziehen lassen. — Hätte hätte, und so.
Die Idee, das Stimmungsbild verschiedener Wiener politischer und ethnischer Gruppen/sozialer Schichten am Vorabend des ersten Weltkrieges einzufangen, ist grundsätzlich erstmal eine gute.
Nun verkommt aber der Krieg einerseits zur Hintergrundkulisse, vor der plötzlich eine Art metaphysischer Krimi (?) stattfindet, wird andererseits aber von Figuren auf eine Art und Weise diskutiert, die „Ich bin eine Autorin des 21. Jh“ schreit. Der Ausbruch Klaras bei Jesenkys ist hier das für mich schlimmste Beispiel — generell gibt die Geschichte treffsicher den Charakteren recht, denen auch unsere Sympathie gelten soll — wie viel besser wäre es den K.U.K. Militärexperten doch gegangen, wenn sie auf Klara und Adam gehört hätten. Gleichzeitig zu viel und zu wenig. Das Verständnis für die Eigenheiten und Fehleinschätzungen der Vorkriegs-Österreicher, was den kommenden Krieg betrifft, das Porträtieren des Fin de Siècle/ der Dekadenz, die die europäische Seele des frühen 20. Jh ergriff, all dies wird nur grob eingefangen — immer mit dem müden Lächeln desjenigen, der es ohnehin besser weiß.
Da empfehle ich doch lieber den Radetzkymarsch Joseph Roths (der sicherlich auch nicht ohne Grund mehrfach in dem Roman Erwähnung findet).
2. MYSTIZISMUS
Dieser Abschnitt wird deutlich kürzer. Ich konnte mit diesem ganzen Erzählstrang überhaupt nichts anfangen und wäre davon im Klappentext die Sprache gewesen, hätte ich dieses Buch nicht gelesen. Dies ist (wie ja eigentlich alles in dieser Rezension) reine Geschmacksache — ich kann nicht darüber urteilen, wie gut gemacht dieser metaphysische/esoterische Exkurs ist und kann nicht ausschließen, dass Menschen, die für solcherlei empfänglich sind, dem etwas abgewinnen können.
Als ich bei Abbruch bemerkte, dass dieser Erzählstrang nun das Hauptaugenmerk des Textes und in endlosen, für mich teils stark redundanten Ausschweifungen ins Lampenlicht gerückt wird, entschied ich mich dazu, bis zum Ende vorzuspringen, um wenigstens zu sehen, ob das Narrativ wieder zu seinem Ursprung zurückfindet.
Ohne zu spoilern: Nein. Die Auflösung war für mich so offensichtlich, dass mir nicht mal beim Lesen klar geworden war, dass es sich hier um ein Mysterium hätte handeln sollen und mein Interesse hatte sich schon lange verabschiedet.
3. HANS:
Eine andere Rezension hier auf goodreads spricht es bereits an. Auch mir war bis zum Zeitpunkt des Abbruchs Hans nicht nur völlig fremd, sondern sogar in großen Teilen inkonsequent in seinem Wissen, seinen Möglichkeiten, seinem Bildungsstand, seiner Gefühle und seinem Blick auf die Welt. Hans wiederholt mal mit weit aufgerissenen Augen und Mund (ganz wie eine überstilisierte Comicfigur) die einfachsten Wörter, sodass man zwischen seinen Ohren meint das Meer rauschen zu hören, dann wiederum hat er nicht nur ein Verständnis davon, was Sozialismus ist, sondern hat auch noch eine Meinung dazu — kann die Bratsche von der Violine auf den ersten Blick unterscheiden, hat Platon und Dostojewski gelesen, und das obwohl er mit 12 von der Schule flog.
Natürlich ist das nicht unmöglich — und Bildungsstand und Intelligenz nicht gleichzusetzen— aber Hans‘ Charakterisierung bleibt undurchsichtig und scheint genau dann Dinge und Zusammenhänge genau dann zu begreifen, bzw. NICHT zu begreifen, wenn die Erzählung es verlangt.
4. Queerness:
Nur kurz zuletzt — auch diesen Punkt hatte ich bereits in einem Leseupdate ausgeführt. Mir wurde mehrfach DIE INKOMMENSURABLEN aufgrund seiner Darstellung queeren Lebens im Vorkriegs-Wien angepriesen (mit auch ein Grund, warum mich das Buch überhaupt interessierte, schließlich gibt es zu dem Thema wirklich so einiges zu erzählen). Das erscheint mir in höchsten Maße übertrieben — außer diese *positive Darstellung* bezieht sich auf Leute, die glauben, queerness sei eine Erfindung der 2000er. Dann ist die bloße Erwähnung hier vielleicht revolutionär.
Tatsächlich beläuft sich die Darstellung der queeren wiener Szene auf eine höchst unangenehme Situation, bei der der Leser im Kopf unseres heterosexuellen Protagonisten gleichzeitig voyeuristisch, erregt, fasziniert und angeekelt zwei lesbische Frauen beim Vorspiel beobachtet, bevor diese in die Zweisamkeit und aus dem Blickfeld verschwinden. Die ländliche Verwirrung von Hans bei so viel städtischer Freiheit entlädt sich in aggressiven und hasserfüllten Empfindungen Klara gegenüber (da er ihr Lesbisch-sein als Verrat an seinem heterosexuellen Recht auf die Aufmerksamkeit von Frauen empfindet), bis auch dieses Narrativ zugunsten der Esoterik wieder verschwindet.
Dass gerade Lesben sich der Fetischisierung durch heterosexuelle Männer ausgesetzt sehen ist auch heute noch der Fall. Mir zumindest war diese Darstellung höchst unangenehm.
Vielleicht war aber auch meine Erwartungshaltung hier einfach die Falsche.
______
So wie es scheint gehen die Meinungen zu diesem Buch ziemlich auseinander und das allein ist ja schon mal faszinierend. Auf die shortlist hat es es allerdings nicht geschafft — zumindest kann ich aber behaupten, ich hätte wenigstens ein Buch der ursprünglichen longlist dieses Jahr gelesen (wenn auch nicht komplett).
Ich freue mich jedenfalls für jeden, dem dieses Buch gefallen hat, und hoffe darauf, dass hier noch ein paar mehr Rezensionen eintrudeln, um ein größeres Stimmungsbild des Otto-Normallesers zu erhalten.
In fiebriger Erregung warten die Einwohner Wiens im Juli 1904 das Verstreichen des deutschen Ultimatums ab. An diesem besonderen Tag treffen vier Menschen aufeinander: der Knecht Hans, der aus Tirol gekommen ist, die Mathematikerin Clara, die Psychoanalytikerin Helene und der Adelige Adam.
Damit sind auch schon die vier Welten erzählt, die an diesem Tag aufeinandertreffen: das bäuerliche Leben, Frauen an der Universität, der alte Adel und nicht zu vergessen die Psychoanalyse.
Einen Tag verbringen diese vier miteinander. Und in diesen Stunden geht die alte Welt unter und ein neues Jahrhundert entsteht.
Man braucht für dieses Buch nicht viel länger als der Zeitraum, der in ihm erzählt wird. Und diese Stunden lassen einen nicht los.
Ein schönes Buch mit einer packenden, mitreißenden Sprache.
Puh, ich bin mir nicht ganz sicher, was ich da gelesen bzw gehört habe 😅 es waren so unglaublich viele Aspekte in diesen wilden 36h verpackt, die man mit den Charakteren verbringt, dass ich manchmal nicht ganz mitgekommen bin. Der Plot ist etwas verwirrend und ich bin mir nicht ganz sicher, was die Message sein sollte, aber irgendwie war es trotzdem spannend.
Ich habe das Buch als Hörbuch gehört, was den Nachteil hatte, dass ich an komplexen Stellen nicht noch einmal zurückblättern oder langsam lesen konnte. Durch seine Dichte ist das Buch für mich dadurch teilweise etwas unzugänglich geblieben. Es war aber wirklich gut gelesen von Cornelius Obonya, inklusive lebhafter Stimmenvariation und diverser Akzente und Dialekte, sehr beeindruckend!
Die Beschreibungen der geschichtlichen Ereignisse und der Stadt Wien ist lebhaft und detailverliebt, man hat das Gefühl, mit den Charakteren durch die Stadt zu schlendern und diese Atmosphäre des Tags vor Ausbruch des ersten Weltkriegs am eigenen Leib zu erleben. Dabei werden viele Themen angeschnitten, von Frauenrechten und Psychoanalyse über die Arbeiterbewegung bis hin zu Mathematik und 12-Ton-Musik. Je nach Themen war ich dabei ein bisschen verloren, aber naja, man kann auch nicht über alles Bescheid wissen :D
Insgesamt ein unglaublich intelligentes und atmosphärisches Buch mit interessanter Thematik, dessen Plot und Message mich aber etwas ratlos zurücklässt.
Jetzt muss ich grundehrlich sein: Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen und fand es trotz seiner teils komplexen mathematisch-philosophischen Ausführungen gut lesbar. Das Problem ist nur, dass ich ziemlich viel einfach schon wieder vergessen habe. Das könnte man nun so interpretieren, dass das gegen das Buch spricht, aber dazu hat es mir zu gut gefallen (das weiß ich noch!). Das Buch spielt an einem einzigen Tag am Vorabend des 1. Weltkriegs in Wien und lässt einen jungen Landarbeiter namens Hans auf das Mathematikgenie Klara, die kurz vor ihrer Promotion steht, und ihren guten, adligen Freund Adam treffen. Was Klara und Hans verbindet, ist ein gemeinsamer Traum, den sie mit einigen anderen Menschen teilen und den die Psychoanalytikern Helene, bei der Klara wohnt und die Hans aufsuchen wollte, untersucht. Dabei macht die Autorin vielleicht das ein oder andere Fass zu viel auf, ich habe die daher die 410 Seiten als ein wenig überfrachtet empfunden, obwohl die Handlung nur einen Tag umfasst. Den mathematischen Theorien konnte ich nicht immer ganz folgen, was aber meinen Spaß an dem Buch nicht beeinträchtigt hat.
Der neue Roman von Raphaela Edelbauer spielt am Vorabend des 1. Weltkriegs und umfasst die Zeitspanne von einem Tag. Österreich-Ungarn hat Serbien bereits den Krieg erklärt und das Ultimatum Deutschland an Russland läuft in wenigen Stunden ab. Ganz Wien ist im Ausnahmezustand als Hans, ein 17-jähriger Pferdeknecht aus Tirol nach Wien kommt. Er kommt nicht, um sich freiwillig für den Krieg melden, sondern um eine bekannte Psychoanalytikerin aufzusuchen. Hier trifft er auf die angehende Mathematikerin Clara und den adeligen Offizier Adam. Zusammen stolpern sie rastlos wie im Fieberwahn durch die Großstadt Wien, seine Unterwelt, verruchte Lokale und Außenbezirke. Die ganze Gesellschaft ist im Umbruch, Frauen kämpfen für mehr Rechte, sozialistische Ideen kommen auf, Kriegsbegeisterung trifft auf Skeptiker.
Die Lektüre ist zeitweise durchaus herausfordernd, aber es lohnt sich, sich darauf einzulassen.
Nun, leider beginnt das Lesejahr 2024 mit einer ziemlichen Enttäuschung.
Weiß auch nicht so recht, warum ich mich bis zum Ende durchgequält habe. Vermutlich wegen der teilweise so euphorischen Rezensionen und weil ich immer mal wieder das Gefühl hatte reinzukommen und vielleicht doch noch mitgerissen zu werden. Das hielt aber leider immer nur kurze Zeit und dann war ich schon wieder bei Hä?!
Hm. Also für mich war das leider gar nichts. Weiß nicht mal so recht, was das Buch „will".
Ein weiterer Titel der Longlist, für mich nach dem "Klappentext"/Verlagstext zunächst direkt am interessantesten und war direkt auf meiner Leseliste.
Dies war mein erster Titel der Autorin. Nachdem ich nun schon einige Titel der Longlist gelesen habe, war relativ schnell der Gedanke: Schon wieder 1. Weltkrieg, es kommt mir so vor, als wäre diese Zeit im Moment etwas überrepräsentiert....
Kurz vor dem Beginn des 1. Weltkriegs spielt das Ganze in Wien und drei zunächst vollkommen unterschiedliche Personen treffen aufeinander und werden miteinander verwoben. Wir erleben die Abfolge von zwei Tagen, die mit allerlei Erlebnissen und der Mobilmachung enden.
Der Text ist sehr anspruchsvoll, viele Fachbegriffe und eine sehr vornehme Sprache, die nicht zwingend zu den Personen passt. Gleichzeitig fließt immer wieder österreichisches/Wiener Idiom mit ein, was das Ganze ohne Glossar oder Anmerkungen anfangs etwas schwer macht.
Die Psychoanalyse, Klassengegensätze, Nationalismus, Kriegsfreude und der Militarismus werden alle in diesem Roman verarbeitet zusätzlich zum Feminismus/Suffrageten/Konservatismus.
Es sind sehr viele Themen, die hier präsentiert und auf den knapp 400 Seiten Teil einer Geschichte sein sollen. Hinzu kommt die mathematische Komponente, die hier auch noch Titelgeben ist.
Ich war mir bis zum Schluss nicht sicher, wie das Buch endet und der offene Schluss lässt mich mit einem Lächeln zurück.
Insgesamt konnte ich aber nicht ganz erfassen, was die Autorin mit vermitteln soll. Vielleicht etwas zu anspruchsvoll angesetzt. Hat mich insgesamt nicht überzeugt.
Wien am Vorabend des Beitritts zum ersten Weltkrieg. Eine Stadt in Aufruhr und mittendrin drei junge Erwachsene, die versuchen den für sich besten Weg zu finden, mit den Ereignissen umzugehen.
Hans flüchtet von dem Hof an dem er als Knecht arbeitet nach Wien und trifft dort auf Adam und Klara. Zusammen begehen sie die letzten 24h vor Auslauf des deutschen Ultimatums und triften tief in die Unterwelt Wiens ab um noch ein paar unbeschwerte Stunden zu Genie bevor ihrer aller Leben sich von Grund auf ändert.
-
Der Roman hat es mir nicht leicht gemacht. Sprachlich und auch von der Bildgewalt her war er grandios, inhaltlich etwas schwer zu fassen. Man fühlt sich in das alte Wien hineinversetzt, eilt mit den 3 Protagonisten durch die Gassen und Etablissements, spürt den Aufruhr, der seinerzeit in der Stadt geherrscht haben muss. Genauso fühlte ich mich beim lesen: gehetzt. Trotz dieser empfundenen Schnelligkeit, triftet Edelbauer immer wieder ab, verliert sich in Details, sorgt für unnötige Längen, was das Lesen unglaublich anstrengend gemacht hat.
Der „Spaziergang“ zieht sich über das komplette Buch… Die Themen, die ich für durchaus interessant gehalten hätte (Mathematik, Traumcluster, Psychoanalyse, Manipulation von Menschen), kommen leider zu kurz. Am spannendsten (und das will was heißen) fand ich tatsächlich Klaras Rigorosum und ihre mathematischen Ausführungen.
Alles in allem bleibt es doch sehr hinter meinen Erwartungen zurück und wäre höchstens auf Grund der tollen Sprache eine Empfehlung wert.
Von der Grundidee und den Charakteren fand ich den Roman wirklich gut, er driftet aber viel zu oft in erkenntnistheoretische Diskurse ab oder verliert sich in Traumsequenzen. Für mich ein sehr zwiegespaltenes Leseerlebnis.
Ein wilder Ritt durch Ober-und Unterwelt von Wien
Dieses Buch meiner #longlist Leseliste machte mir am meisten Respekt. Ich hatte ziemlich Angst, dass mir das zu kompliziert wurde. Überraschender Weise hat sich dieses Buch zu einer großartigen Lektüre entpuppt. Es war ein wilder Ritt, und jetzt bin ich erschöpft und glücklich.
Hans Ranftler reist aus dem beschaulichen Tirol nach Wien um die Psychoanalytikerin Helene aufgrund eines mutmaßlichen Leidens aufzusuchen, und landet sofort in einer rasanten Tour de force. Der erste Weltkrieg steht kurz bevor, und das schlägt sich auf die Stimmung der Menschen nieder. Zwischen Euphorie und Lethargie finden wir alle Emotionen vor.
Der große Melting Pot des Europas 1913 überfordert Hans auf allen sinnlichen Ebenen. Erleichtert, zwischen all dem Neuen, findet er Anschluss bei Adam und Klara, die ihn am Ärmel packen und durch Wien zerren. Es geht durch die Welt der Reichen und die Abgründe des Lumpenproletariats. Dabei ist das Geschehen olfaktorisch spürbar, nicht immer positiv, wohl gemerkt😀
Rast-und ruhelos sind die drei auf der Suche nach Zerstreuung und kämpfen dabei zeitgleich mit ihren Dämonen. Gespräche drehen sich um Generationenkonflikte, sozialen Problemen und gleichgeschlechtlicher Liebe – das niemals offen, aber deutlich erkennbar.
Metaphysisch wird die Ebene, die sich mit Traumcluster beschäftigt. Und am Ende fragen wir uns, haben wir das Buch überhaupt gelesen?🤔😉
Hans ist mir sehr ans Herz gewachsen und auch Adam und Klara sind mir sehr nah gekommen. Die Jugend in unruhigen Zeiten, das Bedürfnis, sich selbst im Leben zu finden, hat sich zur damals genauso angefühlt wie heute. Auch das Wabern gesellschaftlicher Veränderungen meistern wir heute nicht unbedingt intelligenter. Der Mob, der sich mitreißen lässt, ohne nachzudenken, könnte auch heute genauso in den Abgrund rennen.
Raphaela Edelbauer, gerade mal 33 Jahre jung ist eine begnadete Schriftstellerin, die es schafft, eine Dichte an die Leser*innen zu transportieren, die uns mitfiebern lässt. Wo nimmt die junge Autorin die Fähigkeit nur her, literarisch und intellektuell auf so hohem Niveau unterwegs zu sein und trotzdem alle mitzunehmen? Schaut man sich andere aufstrebende Schriftstellerinnen an, so steht sie für mich klar an der Spitze!
Sie schafft es sogar einen Hauch von Slapstick anekdotenhaft in ihre Texte einzufügen, (ich denke da an Rakitić oder Ratkovic oder Ranovic 😉…) Immer Wieder gab es wilde Prügeleien und Handgemenge, die Nerven lagen blank! Gelungen fand ich auch die in Bezugnahme auf gleichgeschlechtliche Beziehungen. Gesellschaftlich war man schon viel weiter als Jahrzehnte später.
Die mathematischen oder psychologische surrealen Passagen halten sich in Grenzen und sind für mich aushaltbar, obwohl sie mich jetzt nicht erhellt haben. Sie gehören aber irgendwie dazu. Ich fühlte mich mehrfach an eine dunkle Erwachsenen-Version von Alice im Wunderland erinnert. Unterhaltend, mit starken Bildern und leicht schräg.
Am Vorabend des ersten Weltkriegs inmitten der Generalmobilmachung, Panik, Masseneuphorie und Chaos treffen 3 unterschiedliche Charaktere bei einer Wiener Paychoanalytikern zusammen: ein junger Adliger, der als Offizier am nächsten Tag in den Krieg ziehen wird. Eine junge Sufragette und Mathematikerin und ein hochbegabter Pferdeknecht aus Tirol, der vor der Knechtschaft geflohen ist.
Vor dem historischen Hintergrund der Mobilmachung zum 1. WK erfahren wir auch, warum die 3 bei der Psychoanalytikerin sind. Sie forscht über Traumcluster, Menschen, die einander nicht kennen aber Nacht für Nacht den selben Traum träumen. Gibt es ein nicht greifbares Netz an gemeinsamer unbewusster Erfahrung, etwas, was alle Erfahrungen der Menschheit miteinander verbindet und was hat das mit Mathematik zu tun?
Ein außergewöhnlicher und kluger Roman, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Toller historischer Roman mit ein bisschen Mathematik, ein bisschen Psychologie, dazu noch ein wenig Philosophie und ganz viel Wien 😍
Nach der Lektüre des Romans fühle ich mich wieder ein bisschen in meinem Denken erweitert und dabei gleichzeitig gut unterhalten. Was will man mehr?
Zunächst hat der Roman eine historische, vordergründige Komponente. Die komplette Story spielt sich innerhalb von knapp zwei Tagen unmittelbar vor Beginn des 1. Weltkrieges 1914 in Wien ab. Die drei Protagonist:innen erleben diese Stunden der Zeitenwende wie eine fiebrige Jagd. Ich, die ich durchweg langweilige Geschichtslehrer in der Schule hatte, genieße diese Art der Geschichtsstunde.
Doch dann ist da noch die dahinter liegende Ebene, die im Wechselspiel von psychologischen, philosophischen und mathematischen Betrachtungen, die durch die drei jungen Leute Clara, Adam und Hans angestellt werden, universelle Gedanken verfolgt. Die drei könnten dabei nicht unterschiedlicher sein in Bezug auf Herkunft, Klasse und Bildung. Und doch schafft die Weltgeschichte zwischen den dreien eine kurze, rauschhafte und doch intensive Verbindung.
Und dann ist natürlich Wien einfach ein wunderbarer Schauplatz für eine Geschichte.
Wen ein bisschen interdisziplinäre Hirngymnastik nicht schreckt, wird „Die Inkommensurablen“ sicher mit Gewinn lesen.
Wie soll man dieses Buch beschreiben? Schwierig...viele Wörter musste ich erst googeln, angefangen bei inkommensurabel. Textteile sehr theoretisch und philosophisch und mathematisch. Dann wieder so schön und mystisch.
Ein nicht leicht zu lesender, aber doch einen nachhaltig beeindruckender und einen nachhaltig beschäftigender Roman. ⭐⭐⭐⭐
Atmosphärisch, unterhaltsam, themenreich, anregend - aber auch komplex und verworren. Insgesamt irgendwie faszinierend und gleichzeitig etwas (zu) anstrengend. Auf jeden Fall ein preisverdächtiges Stück Literatur.
Schwer zu greifen das Buch…auf der einen Seite eine sehr schöne Bildsprache, die einen die 24 Stunden vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges erleben lässt, zum anderen klingt alles zu aufgesetzt und die Ereignisse zu konstruiert.
Beim Lesen habe ich mich wie in dem Film „Victoria“ gefühlt, in dem die gleichnamige Protagonistin durch eine Nacht in Berlin geleitet wird. Hier geschieht es aus der Sicht von Hans, der eine intensive und fast traumnahe Nacht in Wien mit seinen neuen Bekanntschaften Adam und Klara durchlebt.
„Die Inkommensurablen“ von Raphaela Edelbauer als Rezensionsexemplar vom Verlag Klett-Cotta. Vielen Dank!
Sommer 1914. Hans sitzt im Zug nach Wien. Er hat Tirol und dem Bauernhof, auf dem er als Knecht gedient hat, den Rücken gekehrt. Er hat ein Ziel, er will eine Psychoanalyse beginnen. Am Ziel angelangt macht er Bekanntschaft mit der Mathematikerin Klara und dem adeligen Adam. Die beiden nehmen Hans mit und entführen ihn das wilde Nachtleben Wiens. Die Stadt ist in Aufruhr, Österreich-Ungarn befindet sich in der Julikrise, Russland steht kurz vor der Generalmobilmachung. Kriegseuphorie hat sich in der Stadt breit gemacht. Mitten drin die drei, die sich einer Gabe wähnend zu Höherem berufen fühlen. Sie philosophieren, streiten, trinken, nehmen Drogen und fallen von Abenteuer zu Abenteuer. Bis der Morgen graut und die Welt eine andere ist.
Das Buch ist echt ein wilder Ritt. Man muss sich schon ein bisschen darauf einlassen und darf keinen Roman erwarten, der einem leichte Abendstunden bringt. Aber dafür vergnügliche! Fantastisch geschrieben, mit einem subtilen Witz, ganz niederschwellig und unaufdringlich. Man meint einen Roman aus 1914 zu lesen – ein Text, wie aus der Zeit gefallen. Das fand ich großartig. Und klüger macht das Buch. Passagen, vielleicht ein wenig zu lange, über Musik, Mathematik und Philosophie. Hans, Klara und Adam stolpern durch die Nacht und es ist vor allem Hans, der oft nicht begreifen kann was er erfährt und sieht: Traumcluster soll es geben, gleichgeschlechtliche Liebe, Suffragetten. Hans kann kaum einen Gedanken fassen und wird schon wieder mit etwas Neuem konfrontiert. Und so fällt auch manchmal die Geschichte selbst wie ein Traum auseinander, um sich bald wieder als etwas anderes wiederzufinden.
Ein Buch, das für mich letztlich die Frage stellt, wie es sein kann, dass man ganze Nationen dazu bringt, Krieg zu befürworten und nicht nur das, ihm euphorisch in die Hände zu laufen. Raphaela Edelbauer zeichnet hier die Stimmung des Vorabends des Ersten Weltkrieges nach, packt ganze Erkenntnisse der Zeit in ihren Roman. Für mich ein tolles, herausforderndes Buch.