
Mut zum Schreiben und Mut zum Lesen. Dieser Tagesroman mit 544 Seiten, las sich fast von selber an einem Tag. 5Sterne✨️ ✨️ ✨️ ✨️ ✨️
Der Titel "Ostfriesennebel" bezieht sich einerseits auf eine grandiose, wenn auch brutale Schluss-Sequenz (eben im Nebel), aber auf einer Metaebene auf den Nebel unserer Identität: wer sind wir eigentlich wirklich? Das Identitäts-Thema inkl. des Identitätsdiebstahls ist ja im Zuge des Internets und der neuen Medien immer virulenter geworden. Wenn man nicht mehr weiß, wer der andere ist, verliert man selbst auch den Boden unter den Füßen, insbesondere kann dann kein WIR mehr entstehen. Diese Problematik verbindet der Autor mit den sozialen Themen von Egoismus, Machtmissbrauch und Femiziden. Wenn das Publikum die Gesellschaft darstellt, ist das Buch ein vom Autor vorgehaltener Spiegel, in den man nicht gerne schaut. Die Mordtäter sind hier Prototypen, die durch Maskierung ihrer wahren Identität ihre wahren Interessen verschleiern und die aus Machtgier, Frauenhass und purer Langeweile handeln. Und es wird angezeigt, dass in den Kindern von heute dieselben Mächte gären und zum Ausbruch drängen. Eine Gesellschaft von Egoisten, die den anderen Menschen nur noch als Spielball ihrer eigenen perversen Triebe und Phantasien missbrauchen. So ist das Buch trotz der vielen humorvollen Szenen rund um Rupert ein teuflischer und grausamer Text geworden, der dem Autor sehr viel Mut abverlangt haben wird - denn er wird sich immer wieder gefragt haben, was er denn heute noch einem Millionenpublikum abverlangen darf. Ich finde das Buch gelungen, ist es doch eine Mahnung zur Abkehr von dieser unserer "modernen" Gesellschaft voller Soziopathen. Das Buch bietet aber wenig Hoffnung (siehe die beiden Kinder), dass uns das gelingen wird. Das Buch brauchte sicher einen mutigen Autor, aber es benötigt auch einen mutigen Leser.