Ein schonungsloser Blick auf die Entmenschlichung von Menschen
The Underground Railroad besticht sicherlich nicht durch einen heiteren Grundton und ist nicht unbedingt etwas für leichte Gemüter. Doch wer Colson Whiteheads Werk einmal in die Hand nimmt, wird es nur schwer wieder weglegen können. Der Leser begleitet die Sklavin Cora auf ihrer Flucht aus den Südstaaten in den vermeintlich sicheren Norden, unterstützt durch die „Underground Railroad“, die Whitehead als reale unterirdische Bahn inszeniert. Auf dieser Reise vermittelt der Roman so vielfältige Eindrücke und Perspektiven, dass sie aus einer liberal-eurozentrischen Sicht oft nur schwer fassbar sind. Das zentrale Thema, die Sklaverei in den USA im 19. Jahrhundert und der damit verbundene systemische Rassismus sowie die Entmenschlichung einer ganzen Bevölkerungsgruppe, ist schnell erkennbar. Doch was mich besonders bewegt hat, waren die Transferleistungen zu anderen historischen Verbrechen mit ähnlichem Wesenskern. Immer wieder fühlte ich mich an Parallelen zum Dritten Reiche erinnert, insbesondere zur systematischen Versklavung und Vernichtung jüdischer Menschen. Eine Szene, in der sich Cora auf einem Dachboden in North Carolina versteckt, um einem Lynchmob zu entgehen, erinnert in erschreckender Weise an das Leben von Anne Frank. Whitehead gelingt es, historischen Kontext mit Fiktion und surrealer Allegorie zu verbinden. Dabei entsteht kein Verlust an Glaubwürdigkeit, im Gegenteil: Es entsteht ein subversives Narrativ, das Menschen eine Stimme verleiht, die bis heute um Anerkennung und Gleichberechtigung kämpfen müssen. Der Roman ist schonungslos ehrlich und macht keinen Halt vor exzessiver Gewalt; seien es Sklavenauktionen, Lynchmorde, Zwangssterilisationen oder Vergewaltigungen. Trotz dieser Härte versteckt sich die Erzählung nicht hinter emotionaler Dramatisierung. Die Perspektive bleibt meist personal und schildert das Erlebte nüchtern, oft mit umso größerer Wirkung. Meine wenigen Kritikpunkte betreffen vor allem die Nebenfiguren, die häufig eher funktional wirken. Sie helfen oder behindern Coras Weg, bleiben dabei aber oft ohne größere Tiefe. Auch einige Nebenstränge hätten für mich nicht sein müssen. Sie verlangsamen die Handlung, ohne entscheidend zur Hauptaussage beizutragen. Trotzdem hat Underground Railroad seine zahlreichen Auszeichnungen mehr als verdient. Es leistet einen wesentlichen Beitrag zur literarischen Aufarbeitung der amerikanischen Geschichte und zum Verständnis für Strukturen, die bis heute fortwirken.