Rassismus brilliant literarisch verarbeitet - ohne Blatt vor dem Bund! Brilliant! 👏🤩
In Nigeria nennt man Menschen, die es in die USA geschafft haben und dann zurück kommen - neu geformt und geprägt von der nordamerikanischen Kultur, auch linguistisch mit entsprechendem Akzent und die sich auch voller Stolz als westlich sophisticated sehen: Americanah. Soviel zum Background der Titelgebung dieses Romans. Die Autorin selbst ist mit 19 Jahren in die USA gegangen und ihr Roman erzählt auch eine solche Geschichte. Im Mittelpunkt steht Ifemelu, die zu studieren beginnt in Nigeria, es aber zu Zeiten der späten Militärdiktatur und der frühen Demokratisierung tut - alles geht drunter und drüber und die Professoren streiken die ganze Zeit, da sie nicht richtig bezahlt werden und die Studenten sind frustriert, da sie ihren Lehrstoff nicht durchziehen können. Das heißt die Welle derer, die jung sind, was vom Leben wollen und deswegen ins Ausland gehen, wächst. Ifemelu geht also in die USA, sie bekommt dort ein Stipendium und schlägt sich im Grunde ganz gut durch. Es gibt zwar Anlaufschwierigkeiten, über die sie sinnbildlich ein bisschen stolpert (z.B. struggelt sie einen Job zu finden, der ihr das Leben neben dem Stipendium finanziert), aber schon bald hat sie einen Freund, aus der besten, weißen Ostküstenoberschicht. Sie entdeckt das Bloggen für sich und sie entdeckt etwas, das die Schwarzafrikaner (African Americans) nicht haben: Ihren Blick von außen. In ihrem Blog schreibt sie darüber, was es heißt, schwarz zu sein und bietet dabei eine neue Perspektive, denn sie ist eben keine Afroamerikanerin, sondern eine aus Afrika eingewanderte Amerikanerin, eine amerikanische Afrikanerin. Was Adichie hier einführt in „Americanah“ ist eine sehr kämpferische Haltung, die ich so ausgeprägt noch gar nicht gelesen habe. (Was ihr Blog auch widerspiegelt und reflektiert, denn durch den ganzen Roman gibt es eingeschobene Passagen, also Auszüge aus dem Blog ihrer Figur Ifemelu). Adichie bezieht sehr raffiniert politisch Stellung und prangert die bisher eher mangelhafte Kommunikation und Diskussion über Rassismus an - sie wünscht sich, direkt über Rassismus zu reden, nicht durch die Blume. Die Romane, die ich bisher zum Thema Rassismus gelesen habe, verpacken das Thema eher raffiniert, stellen es in einer ambivalenten Art und Weise dar, durchaus differenziert - aber Rassismus ist oft nicht differenziert, sondern eher plump, genauso wie das Thema des Schwarz- oder Weiß-Seins. Für mich war dieses Buch ein wahrer Augenöffner, ich habe so viel gelernt. Unter anderem, wie Schwarze ihre Sozialversicherungsnummer an andere Schwarze weitergeben und es Weißen nicht auffällt, da sie schlichtweg keine Andersartigkeit in ihrem Aussehen erkennen, sprich für viele Weiße sehen alle Schwarzen gleich aus, was diese ganze Betrugsmasche erst ermöglicht. Ich habe auch viel gelernt über die verschiedenen afrikanischen Nationalitäten und wie sie sich in Amerika wiederfinden. In der Rahmenhandlung wird auch das Thema des naturkrausen Haars verhandelt, das gesellschaftlich einfach noch nicht angesehen ist und oft geglättet wird (viele Frauen tragen auch Wigs, also Perücken, um die natürliche Struktur ihres Haars zu verbergen) - wie schade, dass wir als Gesellschaft immer noch nicht so weit sind, Menschen Akzeptanz entgegenzubringen, ungeachtet ihres Äußeren. Daher ist es so wichtig, das Bücher wie dieses geschrieben und gelesen werden - sie regen zum Hinterfragen und zur Diskussion an. „Americanah“ ist ein Buch mit einer starken Botschaft und ich bin selbst verwundert zu sagen, dass es mich literarisch gar nicht stört (denn eigentlich bin ich so gar kein Fan von Romanen, die Botschaften vermitteln). Es ist ein Roman, der in drei Ländern spielt: Nigeria, England und Amerika - was ihn für die verschiedenen Kulturkreise zugänglich macht und jede Personengruppe wird ihn anders lesen und wahrnehmen. Natürlich hat mich die Lovestory an der Stange gehalten und ich wollte wissen, wie es weitergeht, konnte es kaum noch aushalten teilweise und war versucht Passagen zu überspringen (wovon mich dann doch meine Fomo abgehalten hat - habe immer Angst etwas zu verpassen und lese bei jedem Buch zuverlässig jeden Satz, was ich mitunter selbst manchmal eine ziemlich nervige Marotte von mir finde). Jedenfalls kann ich Euch nur sagen: Ihr verpasst ein Stückchen Weltliteratur, wenn ihr „Americanah“ nicht lest. Ich für meinen Teil freue mich nun, mich nun ihrem neuen Roman „Dream Count“ zu widmen und bin gespannt, ob er‘s mit diesem Schätzchen aufnehmen kann, denn das wird schwer.