Eine langatmige Kritik an der wilhelminischen Kaiserzeit
Heinrich Mann nimmt uns mit auf eine Zeitreise in die späte Kaiserzeit unter Wilhelm II. Bereits vorab sollte jedem Leser bewusst sein, dass der Roman durchgehend den Kaiser, den Nationalismus und den Militarismus karikiert. Der Leser begleitet den treu ergebenen Nationalisten Diederich Heßling über weite Strecken seines Werdegangs – insbesondere auf seinem Weg zur fanatischen Kaiserverehrung. Durch Opportunismus und Machtmissbrauch gelingt es ihm, sich dem Kaiser anzupassen und daraus den größtmöglichen persönlichen Vorteil zu ziehen. Mann gelingt es meisterhaft, Diederich als absoluten Unsympathen zu etablieren. Über den gesamten Roman hinweg durchläuft er keine wirkliche Entwicklung und sucht stets den bequemsten Weg, indem er sich voller Überzeugung der Obrigkeit unterwirft. Gleichzeitig missbraucht er seine eigene Autorität rücksichtslos – sei es gegenüber seiner Familie, seinen Arbeitnehmern oder unliebsamen Weggefährten, die er bedenkenlos opfert, wenn es ihm nützt. Ich sehe definitiv die Berechtigung, Der Untertan auch heute als bedeutendes literarisches Werk einzuordnen – insbesondere wegen der scharfen Kritik an Autoritätsgläubigkeit und blindem Nationalismus, Themen, die auch in der Gegenwart nicht an Relevanz verloren haben. Dennoch verliert sich der Roman oft in einer übermäßigen Stereotypisierung. Diederich wird sehr plakativ dargestellt, während vielen anderen Figuren eine größere Mehrdimensionalität fehlt. Auch die Charakterentwicklung bleibt insgesamt schwach. Besonders bedauerlich ist, dass es kaum glaubwürdige Figuren gibt, die ernsthafte Systemkritik üben. Zwar werden einige kritische Charaktere eingeführt, doch sie bleiben im Handlungsverlauf blass, schwach oder leicht manipulierbar, was den Roman recht einseitig erscheinen lässt. Persönlich finde ich die Botschaft und die thematische Relevanz des Buches sehr ansprechend, doch musste ich mich phasenweise durch die lange, oft zähe Lektüre kämpfen. Heinrich Mann verliert sich stellenweise in ausschweifenden Passagen über gesellschaftliche Mechanismen, die stilistisch nicht mehr zeitgemäß wirken und das Lesen erschweren.