
20 Jahre Liebe auf Abstand - tiefgründig, authentisch und witzig.Er kann wirklich schreiben!
Vorab eine Warnung: Wer Liebesgeschichten über aufregende Irrungen und Wirrungen des Herzens lesen möchte, wer ein Faible für Erb-, Leiden- und Grafschaften hat, der ist beim Autor David Nicholls an der falschen Adresse gelandet. Nicholls hat statt Schmacht und Kitsch tiefgründige Charakterstudien zu bieten. Dennoch sind seine authentischen Personenbeschreibungen locker und leicht zu lesen. Selbst die schwermütigen Phasen der Hauptpersonen werden in frische, ironische und geistreiche Dialoge verpackt. Wie im wahren Leben, wo ja auch nicht selten das Schwere recht leicht daher kommt und man erst im Nachhinein schlucken muss. Auf diese Weise werden uns über einen Zeitraum von 20 Jahren Einblicke in die Leben zweier Menschen gewährt, und zwar immer am 15. Juli. Jener erste gemeinsame 15. Juli findet im Jahr 1988 statt. Emma und Dexter, kurz Dex genannt, sind Anfang 20 und gehen aufs selbe College. Nach einer durchzechten Nacht landen beide miteinander im Bett, ohne <<so richtig miteinander geschlafen zu haben>>. Dex ist bereits zu diesem Zeitpunkt ein cooler Typ, gutaussehend, irgendwie easy drauf, dazu noch aus gutem Hause. Emma hingegen hat zwar keine reichen Eltern, ist aber intellektuell und politisch höchst engagiert, immer mit einem klugen Spruch auf den Lippen. Zwar ist sie, wie Dex zugeben muss, ziemlich hübsch, trotz Kassengestell auf der Nase, aber ihr T-Shirt mit dem Spruch für nukleare Abrüstung löst bei ihm eindeutig Fluchtreflexe aus. Wenigstens so halb. Denn auch wenn er weit entfernt ist vom Wunsch nach einer festen Beziehung, so kann er doch nicht so ganz von der klugen, witzigen Emma lassen. Und sie auch nicht von ihm, obwohl sie sich darüber ärgert, Mist aber auch, einen Typen zu mögen, der jede haben kann und tatsächlich auch jede hat! Und so begleiten sie einander über die Jahre als <<wirklich gute Freunde>>, immer mal wieder mit einem Anflug Sehnsucht nacheiander, doch dem wahren zueinander finden stehen grundsätzlich irgendwelche Hindernisse im Weg. Die da wären: Dex hat eine Freundin (eigentlich fast immer) / Emma hat einen Freund (selten und auch dann nicht so richtig) / man lebt auf verschiedenen Planeten (im übertragenen Sinne) / man lebt in verschiedenen Orten (im physischen Sinne) .... und überhaupt. Der Trick mit dem 15 Juli erlaubt es dem Autor, die Persönlichkeiten seiner Hauptpersonen im Zeitraffer weiter zu entwickeln. Emma wird sanfter und muss nicht mehr jede Diskussion durchfechten. Und auch Dex schaltet von seinem wilden High-Speed-Party-Leben einen Gang runter. Schliesslich endet der Roman mit einem Flashback der besonderen Art. Bleibt mir nur noch, ganz besonder die schriftstellerische Fähigkeit von David Nicholls zu loben. Sein Witz ist niemals gezwungen, seinen Einsichten kommen ohne moralisch erhobenem Zeigefinger aus. Das Ungesagte gelingt ihm besonders ausdrucksstark. Er beschreibt Bildern, so als säße man im Kino. Seine geschaffenen Figuren werden lebendig und der Abschied von ihnen auf der letzten Seite verursacht Entzug. Hach. Bitte mehr von solchen Büchern, die das Herz erwärmen, ohne das sich der Verstand zu schämen braucht.