Annette Hess schlägt einen Spagat zwischen der kleinteiligen, bürgerlichen Welt der 1960er Jahre und den unfassbaren Verbrechen der NS-Zeit. Während die Protagonistin Eva privat mit ihrer Verlobung zu Jürgen und den damit verbundenen gesellschaftlichen Normen hadert, wird sie als Übersetzerin für den ersten Auschwitz-Prozess engagiert. Und erfährt erst dadurch, welche schlimmen Dinge in diesem Konzentrationslager geschehen sind und wie ihre Familiengeschichte damit verwoben ist...
Die Autorin gibt in "Deutsches Haus" mit einem guten Blick für Details die Stimmung der 1960er Jahre wieder: Den unbedingten Willen vieler, in eine glänzende Zukunft zu sehen und das Unaussprechliche sowie die eigene Verantwortung dafür hinter sich zu lassen. Besonders eindrücklich sind die verwendeten Originalzitate von Zeugenaussagen aus dem Prozess. Ein Buch, dessen fiktiver Rahmen die eigentlich unerträgliche Geschichte um das KZ Auschwitz erlebbar macht. Der Roman wirft auch die Frage auf, wieviel Schuld man auf sich lädt, wenn man wegsieht und mitläuft, obwohl man niemandem etwas böses will. Und schlussendlich die Erkenntnis: Auch im Jahr 2025 darf wegschauen und mitlaufen keine Option sein.
Wird mir noch lange im Kopf bleiben.
Im Buch lernen wir Eva kennen und schnuppern zeitweilig in ihr Leben. Erleben hautnah wie es wohl bei den Prozessen des Holocausts gewesen sein muss.
Hat mich sehr zum nachdenken gebracht…was können wir dankbar sein ,das wir trotz allem was so in der Welt los ist , in Wohlstand und Frieden leben können.
Ich habe es gerade erst beendet und bin mir nicht sicher, ob ich schon die richtigen Worte finden kann oder ob ich noch Zeit brauche, das Gelesene zu verarbeiten. Was ich sicher sagen kann: Dieses Buch hat mich sehr bewegt und Anregungen zum Nachdenken gegeben, denen ich so vorher noch nicht begegnet bin, obwohl ich mich bei weitem nicht zum ersten Mal mit den Verbrechen des Nationsozialismus auseinandergesetzt habe. Beweist für mich aber erneut, dass die geschichtliche Aufarbeitung nie genug ist und für immer wichtig bleibt, insbesondere im Hinblick auf die aktuelle politische Situation.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ Die Auschwitz Prozesse in Frankfurt am Main 1963. Wir erleben sie durch die Augen von Eva, einer jungen Polnisch-Dolmetscherin, die den Zeugen der Greueltaten eine Stimme verleiht. Sie gerät anfangs eher durch Zufall an diesen Job. Sie ist naiv, hat sie doch noch nie von solch einem Lager gehört. Sie ist Kind der Nachkriegszeit und des beginnenden Wirtschaftswunders - man ist mit Wiederaufbau, Vergessen und Leugnen beschäftigt. So träumt sie anfangs vor allem von der baldigen Ehe mit dem gut betuchten Jürgen, bis der Prozess ihren Blick auf die Welt grundlegend verändert. Ihr wird bewusst, dass nicht nur die Täter sich schuldig gemacht haben, sondern auch die, die untätig geblieben sind, mitgelaufen sind und nicht die Stimme erhoben haben. Und sie muss erkennen, dass diese Menschen ihr näher sind als je vermutet und auch ihre Familie nicht frei von Schuld ist. Sie zerbricht fast an der Erkenntnis, dass es für das Geschehene keine Sühne oder Vergebung geben kann. Welch wichtige Message in diesen Zeiten der erstarkenden AfD.
Dieses Buch war hart, es hat mich richtig aufgewühlt und zugleich solch einen Sog entfaltet, dass ich es nicht mehr aus der Hand legen konnte. Annette Hess hat es geschafft hier ein schweres Stück deutsche Geschichte sehr lesbar und haptisch aufzubereiten. Die Drehbuchautorin ist hier deutlich erkennbar, die Geschichte entfaltet sich wirkungsvoll vor dem inneren Auge. Sie hat mich dazu motiviert das Thema mit den vorherigen Generationen erneut anzusprechen. Große Leseempfehlung!
*Werbung - Dieses Buch wurde mir freundlicherweise durch Netgalley als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt*
Schöne fiktive Geschichte, die den ersten Ausschwitz-Prozess erzählt. Ich mag es, wenn Geschichte so näher gebracht wird. Es geht um die große Schuldfrage und wie Schuld zu beurteilen ist, ob sie schwarz und weiß ist oder doch grau. Die Nebengeschichte der Schwester hätte ich nicht gebraucht.
Ein spannendes Buch über deutsche Zeitgeschichte. Man kann sich gut in die Protagonistin hineinversetzen und stellt sich unweigerlich die Frage, wie man selbst mit dieser Situation in der Familie umgehen würde.
Ein gutes Buch, welches jeder gelesen haben sollte. Gesellschaftsportrait der 60ziger Jahre und vor allem eine Zeugnis über das Umgehen mit den Verbrechen des Naziregimes.
Super wichtiges und interessantes Thema. Leider fand ich es durch den Schreibstil und die vielen verschiedenen Erzählstränge einfach langatmig. Hätte mir zB auch mehr Szenen aus dem Gerichtssaal gewünscht.
Wichtig und richtig! Eine Geschichte, die nach dem 2.Weltkrieg spielt und die Nazi Geschichte bzw. Auschwitz und die Folgen der Judenverfolgung thematisiert.
Es geht um den Auschwitz-Prozess. Ein erschütternder Roman über das Schweigen und Leugnen der Kriegsverbrechen in der Nachkriegszeit. Eine sehr starke Protagonistin, die sich weigert, die Augen vor der Realität zu verschließen und dabei neue Erkenntnisse über ihre eigene Familie macht.
Am Ende wird deutlich, dass der Roman auch heute noch aktuell und wichtig zu lesen ist!
Der Focus wird auf die deutsche Vergangenheit in der Nazizeit gelegt.. Schuld, Verleumdung, Verschweigen, Nichts tun, Verbrechen, Entschuldigen….. so viele Gefühlslagen werden in diesem Roman beschrieben. Eine Familie verdrängt ihre Beteiligung, wir konnten nichts machen, wir haben ja nur….. auch die Nachkriegszeit ist ein wichtiger Teil deutscher Geschichte. Wie soll man mit den Menschen umgehen, die damals zu geschaut haben? Nichts getan haben?
Lesenswert!
Hat mir sehr gut gefallen. Beim lesen bin ich sehr froh gewesen, als Frau jetzt zu leben. ( ….den Verlobten fragen, ob man arbeiten darf 😳)
Das Thema- Wer hat was gewusst- K Z etc. , Schuld / Unschuld der Eltern….
Schreibstil ist flüssig, sehr anschaulich.
Zeit: 1963
Ort: Deutschland
Die junge Eva wird unversehens Dolmetscherin im sog. Auschwitz-Prozess. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie bis dahin noch nie etwas von diesem Ort gehört hat, auch dass die Eltern ihre Vergangenheit bisher verheimlichen konnten, ist möglich. Man kann praktisch hören, wie Evas heile Welt erst nur leise bröckelt und dann polternd zusammenbricht. Was mir jedoch fehlt, ist eine Auseinandersetzung mit den Eltern, im Sinne von „Ich möchte es verstehen, wie ist das gewesen, warum seid ihr untätig geblieben“, denn Eva hat ihre Eltern immer als liebevolle, den Mitmenschen zugewandte Menschen empfunden. Sich „nur“ von ihnen abzuwenden empfinde ich als unzureichend. Neben dem Ungeheuerlichen der NS-Verbrechen treibt die Gesellschaftsordnung, die einer Frau die Selbstbestimmung abspricht, den Puls in die Höhe. Deshalb ist es auch wenig passend, dass Eva sich doch noch für ein Leben mit Jürgen entscheidet, einem Mann, der auf Gehorsam und Unterordnung besteht
Eva Bruhns soll spontan im ersten Auschwitz-Prozess als Übersetzerin arbeiten. Doch die Zeugenaussagen dort bringen sie schnell an ihre Grenzen, gefährden ihre Beziehungen und ihre Familie.
Mir war schon zu Beginn klar, dass dieses Buch keine leichte Kost sein würde und wie erwartet trafen mich die Schrecken der Geschichte tief. Aber nichtsdestotrotz ist es wichtig und richtig über solche Dinge Bescheid zu wissen.
Es war eine durch und durch emotionale Lektüre und trotzdem gab es auch ab und an diese kleinen schönen Momente in der Geschichte.
Ergreifender Roman über den 1. Frankfurter Auschwitzprozess
In dem Roman „Deutsches Haus“ erlebt der Lesende den ersten Frankfurter Auschwitzprozess aus Sicht der jungen Übersetzerin Eva.
Eva, deren Eltern - wie viele der Kriegsgeneration - immer über ihre Erlebnisse im Krieg und ihre Rolle darin geschwiegen haben, wird aus ihrer Familienidylle, in der nicht alles ist, wie es scheint, in die Erlebnisse ehemaliger Gefangener in Auschwitz gerissen.
Umrahmt wird die Handlung von Evas Beziehung zu ihrem Verlobten Jürgen, der doch reichlich verstaubte Ansichten über die Ehe hat.
Manche Passagen waren wirklich schwer zu ertragen, obwohl die Autorin nicht allzu sehr ins Detail geht, aber sie erzählt nachvollziehbar, was es für die Menschen bedeutet, Überlebender, Untätiger, Täter und Nachkommen der vorgenannten zu sein.
Ein Roman, der mich sehr nachdenklich zurück gelassen hat und mit einem riesen Respekt vor den Zeugen, die ihre Erlebnisse vor Gericht noch einmal geschildert haben.
Nachdem ich erfahren hatte, dass „Deutsches Haus“ von der Autorin der Fernsehserien „Weißensee“ und „Ku'damm“ ist war mir klar, dass ich dieses Buch auf jeden Fall lesen muss. Annette Hess greift einen weiteren Teil deutscher Geschichte auf und befasst sich mit dem ersten Auschwitz Prozess in Frankfurt.
Dolmetscherin Eva hat bisher hauptsächlich Verträge übersetzt. Sie führt als Tochter eines Gasthausbesitzers ein mehr oder weniger sorgloses Leben und ihr größtes Problem ist, dass ihr Freund Jürgen ihr noch immer keinen Heiratsantrag gemacht hat. Als ein polnischer Dolmetscher ausfällt, wird sie engagiert um eine wichtige Zeugenaussage zu übersetzen. Eva versteht zunächst nicht, was der Mann ihr erzählt. Zu groß sind die Grausamkeiten, von denen sie noch nie etwas gehört hat. Doch schon bald ist ihr Sinn für Gerechtigkeit geweckt. Sie möchte den Opfern helfen und setzt sich dabei auch über ihre Familie und ihren mittlerweile Verlobten hinweg, da diese strickt dagegen sind, dass Eva die Arbeit annimmt.
Über die Zustände in Konzentrationslagern habe ich schon viel gelesen, dennoch schockiert es mich immer wieder aufs Neue, welches Leid unschuldige Menschen erdulden mussten. Annette Hess konfrontiert den Leser mit Zahlen der Opfer, deren Ausmaß über jegliche Vorstellungskraft hinaus geht. Es spielt keine Rolle, wie lange der 2. Weltkrieg zurück liegt, ich finde es wichtig, dass immer wieder Bücher zu diesem Thema geschrieben werden - manche Sachen dürfen nie vergessen werden, insbesondere nicht in der heutigen Zeit.
Wie auch schon in „Ku'damm“ bestürzt mich auch in diesem Buch die Verleugnungshaltung vieler Menschen und das völlige Fehlen von Bedauern. Auch Eva kann das Verhalten ihrer Familie und ihres Verlobten nur schwer akzeptieren.
„Deutsches Haus“ spielt vor nicht allzu langer Zeit und liest sich an vielen Stellen doch wie eine Geschichte von einem anderen Planeten. Dass Ehemänner oder in diesem Falle sogar nur ein Verlobter ihren Frauen die Berufstätigkeit verbieten konnten erscheint aus heutiger Sicht völlig hirnrissig.
Die Einblicke in das Leben und Gedankengut der 60er Jahre fand ich sehr interessant. An manchen Stellen war die Geschichte allerdings plötzlich fast schon seicht und stand in irritierendem Kontrast zur ansonsten schweren Kost.
All diese Gedanken um den Verlobten und dem Wunsch ihm zu gefallen scheinen sogar nicht zu der selbstbewussten Eva zu passen zumal Jürgen ein ziemlicher Widerling ist.
Merkwürdig gewählt finde ich auch den Titel „Deutsches Haus“, der sich auf das Gasthaus von Evas Eltern bezieht. Persönlich hätte ich einen Titel ausgesucht, der den Inhalt besser widerspiegelt.
Ansonsten kommt der Roman ganz ohne Kapitel aus. Stattdessen ist die Erzählung durch Absätze unterbrochen. Der Schreibstil war zu jeder Zeit sehr fesselnd und ging mir an vielen Stellen unter die Haut. Auch die Enthüllungen über Evas Herkunft wurden geschickt in die Geschichte eingeflochten und sorgten für zusätzliche Dramatik. Für mich hat es sich auf jeden Fall gelohnt, diesen Roman zu lesen.
Die Deutsche Nachkriegsgeschichte wurde lange nicht thematisiert - niemand der noch Lebenden setzte sich gerne damit auseinander, was für eine Schweigekultur sich nach 1945 entwickelt hatte. Das merkte man in den Jahren als die Nachkriegsgeneration langsam anfängt sich mit ihren Eltern auseinander zu setzen und unbequeme Fragen zu stellen. Die Auschwitzprozesse gehören zu denen, die tatsächlich nicht nur im Ausland viel Öffentlichkeit fanden. Fritz Bauer, damals der Generalstaatsanwalt von Hessen, setzte sich unermüdlich für den Prozess ein. Er zerbrach an seiner Arbeit für die Rechte der Opfer des Nationalsozialisten.
Das Fritz Bauer Institut in Frankfurt ist heute nicht nur für die historische Forschung über diese Prozesse zuständig, sondern auch sonst für die Beschäftigung jüdischer Geschichte. Die Autorin hat dort für ihren Roman recherchiert. Auch wenn sie vieles verdichtet hat und die Handlung, sowie der im Roman beschriebene Prozess fiktiv sind. Die Grundaussage und auch die Stimmung des Romans, die Frage, wer wie mit der Schuld umging. Grade in der Zeit der Prozesse. Ich finde der Autorin ist es sehr gut gelungen, die verschiedenen Blickwinkel einzufangen. Sowohl von Seiten Evas, die nach und nach immer mehr über die Wahrheit und das Schweigen in ihrer eigenen Familie herausfindet. Als auch von seiten der Zeugen, die im Prozess zu Wort kommen. Nicht so gelungen fand ich die Handlung um Evas Schwester Annegret, die etwas arg dramatisch geraten ist. Und auch die Geschichte des jungen Anwaltes David ist für meinen Geschmack nicht richtig in den Roman integriert worden. Rückblickend kann ich seinen Blickwinkel zwar verstehen,aber den Erzählstrang fand ich trotzdem nicht restlos überzeugend. Jürgen, Evas Verlobten stehe ich auch eher zwiespaltig gegenüber, sein Verhalten gegenüber Eva fand ich zwar zeitgemäß, aber ich gebe auch zu, ich hätte ihm gerne auch mal eine geklebt.
Für mich war vor allem das Schweigen, das nicht darüber sprechen, sehr gut dargestellt. Ich finde man bekommt durchaus eine Ahnung, wie es sein konnte, das darüber nicht gesprochen wurde. Wie aber auch der gegenseitige Schutz dadurch funktioniert hat. Eine Schweige und Verdrängungskultur.
Annette Hess schreibt für bekannte TV Produktionen, Sie hat die Drehbücher zu Kuhdamm 56 und 59 geschrieben und die Serie Weißensee erfunden. Man merkt das sie sich mit der Zeitgeschichte nach 1945 gut auskennt, sich die Menschen vorstellen kann, mit all ihren Gedanken und Gefühlen. Hi und da war es mir schon auch etwas zu dramatisch oder etwas zu sehr auf eine Art Happy End hingeschrieben. Aber das liegt hier vor allem an meinem persönlichen Geschmack.
Für mich hat es aber insgesamt gepasst und ich finde es wichtig, das nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch der Umgang damit nach 1945 thematisiert wird. Denn die Täter lebten zum Teil weiter in Deutschland völlig unbehelligt. Fritz Bauer hatte selbst mit einem Justizapparat zu tun, der mit Menschen besetzt war, die allen Grund hatten seine Bemühungen zu unterbinden.
Fesselnd geschriebene Geschichte über die Verdrängung des Nazi-Unrechts im Nachkriegsdeutschland und über den spiesigen Mief der Nachkriegszeit. Störend ist allein das befremdliche "Happy-End" - tat das not?
Ein wirklich tolles Buch! Jedoch hätte ich mir gewünscht, dass man noch mehr auf die einzelnen Geschichten eingeht. Besonders die Hintergrundgeschichte der Familie Bruhns hätte echt viel Potential gehabt.
Wirklich interessant, spannend, bewegend und zum Nachdenken anregend!
Ich war mal wieder abseits meiner Kompfortzone unterwegs - und das war gut! Dieses Buch behandelt nämlich genau das! Es handelt von Eva, die als Dolmetscherin am ersten Auschwitz-Prozess teilnimmt. Und es handelt von allem was dazu gehört: Das vermeintliche Tabuthema, nicht Hinsehen, Wegschauen, die Hilflosigkeit und der Umgang Vieler mit den schweren Verbrechen und anderen Themen der Zeit.
Ein gelungenes Buch gegen das Vergessen!
Die Frage der Schuld
Das Deutsche Haus ist eine Gaststätte in Frankfurt, die von Evas Eltern betrieben wird. Hier leben die Bruhns zusammen und genießen das deutsche Wirtschaftswunder. Eva stellt ihren Verlobten zu Hause vor, als sie ein Anruf zur Arbeit ruft. Sie ist Übersetzerin für polnisch und soll eine Zeugenaussage übersetzen. Im ersten Moment versteht sie gar nicht um was es geht, doch nach und nach wird ihr klar, dass es hier um einen Überlebenden aus Auschwitz ging. Kurz darauf bekommt sie die Möglichkeit in den ersten Auschwitz-Prozessen zu übersetzen. Sowohl ihre Eltern als auch ihr Verlobter sind dagegen, dass sie die Arbeit annimmt. Aber Eva setzt ihren Willen durch und stellt fest, dass Schuld nicht etwas ist, was man nur bei anderen findet. Im Laufe des Prozesses wird klar, dass auch ihre Familie mit Auschwitz verbunden ist und Eva muss sich fragen, was ihr alles verschwiegen wurde.
Annette Hess gelingt es in ihrem ersten Buch, genau wie in ihren Fernsehserien Kudamm '56 und '59, deutsche Geschichte lebendig werden zu lassen. Die Auschwitz Prozesse waren Anfang der sechziger Jahre sehr umstritten, wollten die meisten Deutschen doch nicht mehr über die Zeit im dritten Reich sprechen. Auf der Anklagebank saßen 21 ehemalige SS-Mitglieder, die beschuldigt wurden an den Verbrechen in Auschwitz maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Im Laufe des Prozesse kamen viele Überlebende als Zeugen zu Wort, die das unaussprechliche Grauen in Auschwitz wiedergaben und die Angeklagten immer wieder belasteten. Hier kommt Eva ins Spiel, sie ist diejenige, die für die polnisch sprechenden Zeugen übersetzt und somit zu ihrer Stimme wird. Auch wenn es ihr schwerfällt die Geschichten zu wiederholen, ist es doch wichtig für sie, für die Zeugen zu sprechen.
In ihrer Familie trifft sie auf eine Wand des Schweigens, niemand will mit ihr über den Prozess sprechen.
Besonders berührt hat mich der Abschnitt, als Eva und das Gericht in Auschwitz selbst einen Ortstermin haben. Dort wird allen so richtig bewusst, welche Abscheulichkeiten sich dort wirklich abgespielt haben.
Über die Geschichte des Auschwitz-Prozesses hinaus erfahren wir viel über das Alltagsleben in den 60ern. Berufstätige Frauen waren nur akzeptiert, solange sie nicht verheiratet waren. Evas Verlobter schafft es sogar, dass sie beinahe ihre Stelle verliert, weil er nicht möchte, dass sie da arbeitet.
In der Umgebung des Deutschen Haus brennen immer wieder Kinderwägen, besonders in Häusern, in denen Gastarbeiter leben. Das Miteinander mit den ausländischen Nachbarn war damals wie heute nicht immer vorurteilsfrei.
Evas Entwicklung im Laufe des Buches hat mich sehr beeindruckt. Ist sie am Anfang noch sehr erpicht darauf, endlich den Heiratsantrag ihres Verlobten zu hören, wird sie im Laufe des Buches immer kritischer gegenüber dem, was andere von ihr als Frau erwarten.
In diesem Buch geht es vor allem um das Thema Schuld. Die Schuld der Täter, die Schuld derer, die zwar nichts getan haben, aber auch nichts gegen die Grausamkeiten unternommen haben und um die Schuld der Überlebenden. Derer, die das Lager als Insassen überlebt haben und die Schuld derer, die damals einfach zu klein waren um zu begreifen, was um sie herum geschah.
Das Buch gibt keine endgültige Antwort dazu, es wird ganz klar, dass jeder selbst eine Möglichkeit finden muss, mit seiner Schuld zu leben. Das gelingt den Protagonisten des Buche mal mehr und mal weniger gut. Die Angeklagten im Prozess sahen sich bis zum Schluss als nicht schuldig und zeigten keinerlei Reue.
Mich hat dieses Buch sehr beeindruckt, hier wird ein schwieriges Thema lesenswert aufbereitet. Von daher eine unbedingte Leseempfehlung von mir!
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ Die Auschwitz Prozesse in Frankfurt am Main 1963. Wir erleben sie durch die Augen von Eva, einer jungen Polnisch-Dolmetscherin, die den Zeugen der Greueltaten eine Stimme verleiht. Sie gerät anfangs eher durch Zufall an diesen Job. Sie ist naiv, hat sie doch noch nie von solch einem Lager gehört. Sie ist Kind der Nachkriegszeit und des beginnenden Wirtschaftswunders - man ist mit Wiederaufbau, Vergessen und Leugnen beschäftigt. So träumt sie anfangs vor allem von der baldigen Ehe mit dem gut betuchten Jürgen, bis der Prozess ihren Blick auf die Welt grundlegend verändert. Ihr wird bewusst, dass nicht nur die Täter sich schuldig gemacht haben, sondern auch die, die untätig geblieben sind, mitgelaufen sind und nicht die Stimme erhoben haben. Und sie muss erkennen, dass diese Menschen ihr näher sind als je vermutet und auch ihre Familie nicht frei von Schuld ist. Sie zerbricht fast an der Erkenntnis, dass es für das Geschehene keine Sühne oder Vergebung geben kann. Welch wichtige Message in diesen Zeiten der erstarkenden AfD.
Dieses Buch war hart, es hat mich richtig aufgewühlt und zugleich solch einen Sog entfaltet, dass ich es nicht mehr aus der Hand legen konnte. Annette Hess hat es geschafft hier ein schweres Stück deutsche Geschichte sehr lesbar und haptisch aufzubereiten. Die Drehbuchautorin ist hier deutlich erkennbar, die Geschichte entfaltet sich wirkungsvoll vor dem inneren Auge. Sie hat mich dazu motiviert das Thema mit den vorherigen Generationen erneut anzusprechen. Große Leseempfehlung!
*Werbung - Dieses Buch wurde mir freundlicherweise durch Netgalley als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt*