So, wie die Einsamkeit im Buch thematisiert wird, ließ mich das Buch selbst am Schluss verloren zurück. Mehrmals in den Tagen nach dem Beenden wollte ich ich es wieder zur Hand nehmen, um weiterzulesen, die Bilder waren noch lebendig im Kopf und ich wollte mich weiter um die Tiere kümmern, Wintervorbereitungen treffen, mir Gedanken um mich, die Welt, Liebe, Einsamkeit, Hoffnung, Schmerz und Loslassen machen.
Ein Survival-Buch der außergewöhnlichsten Art. Ich habe noch nie etwas Vergleichbares gelesen.
Das 1963 erschienene Werk ist das meistgelesene und erfolgreichste von Marlen Haushofer. Es gehört zum Kanon der Österreichischen Nachkriegsliteratur, hat einen gewissen Kultstatus und wurde im Jahre 2012 von Julian Pölsler verfilmt. Das rezeptionsoffene Werk fordert geradezu auf zu einer persönlichen Deutung durch den Leser und wird daher gerne im Deutschunterricht der Oberstufe eingesetzt. (Ein Fehler, wie ich meine, weil der Inhalt ist mit der Lebenswelt der meisten Jugendlichen nicht kompatibel.)
Ich hatte große Probleme mit dem Buch und habe zwischendurch eine lange Pause gebraucht, um ins Tal zu Bella und den Katzen zurückkehren zu können. Zunächst gehe ich näher auf den Inhalt ein und gehe dann am Ende nochmal auf meine Schwierigkeiten mit dem Werk ein.
Eine Frau, deren Namen man nicht erfährt, will einige Tage mit ihrer Cousine und deren Mann in einer Jagdhütte verbringen. Das Ehepaar geht abends noch in das Dorf, während die Protagonistin in der Hütte bleibt. Am nächsten Morgen wacht sie auf und ist alleine. Sie macht sich auf, die beiden zu suchen, stößt jedoch auf eine Wand, die sie von der Umgebung abzuschirmen scheint. Doch bei genauerem Betrachten ist alles jenseits der Wand zu Stein erstarrt. Nur sie innerhalb dieser Grenze scheint zu leben. So bleibt ihr nur, sich mit ihrem Hund in der Einsamkeit zu arrangieren. Auf Hilfe hofft sie nicht, doch um nicht verrückt zu werden, schreibt sie ihre Gedanken auf.
Dies ist kein Buch, in dem viel passiert, es lebt eher von der Atmosphäre, die durch die Schilderungen entsteht. Anfangs hatte ich Probleme mit der Geschichte, denn die Protagonistin schien sich gar nicht zu fragen, warum dort eine Wand steht und warum außerhalb der Wand niemand mehr zu leben scheint. Genau das waren nämlich die Fragen, die mir als erstes durch den Kopf gingen. Doch schon bald merkte ich, dass es darum gar nicht geht. Die Wand wird als gegeben angenommen, wichtig ist vielmehr der Kampf ums Weiterleben, die Verantwortung für die anderen Lebewesen in der nicht freiwillig gewählten Welt und die Einsamkeit, die sich jeden Tag mehr und mehr breit macht. Es ist eine entbehrungsreiche Zeit, durch die die Protagonistin sich selber neu erlebt: sie wächst über sich hinaus, lernt aber auch ihre Grenze kennen.
Die Sprache ist sehr einfach und eindringlich und schafft dadurch eine bedrückte und melancholische Stimmung. Es gibt sicherlich viele Interpretationsmöglichkeiten, ein Blick in die Biographie der Autorin hat mir dann geholfen, das Thema besser einordnen zu können.
Dies ist kein Buch, das mich gefesselt hat oder durch spannende Aktionen besticht, vielmehr eines, das zum Nachdenken anregt. Wer also ruhige Bücher mag und bereit ist, sich auf das Thema einzulassen, dem könnte diese Geschichte gefallen.
Man wird, wie in jeder guten Robinsonade, hineingezogen in die Welt, welche in diesem Falle die Protagonistin vorfindet. Nach der ersten Begeisterung folgt jedoch irgendwann, unweigerlich eine Ernüchterung, denn diese Geschichte ist voller Redundanzen, die natürlich zum Alltag der Figur gehören. Meiner Meinung nach aber etwas zu oft wieder erzählt werden (Stall sauber machen, Verhalten von den Tieren, Wanderung in den Wald). Irgendwann fragt man sich, warum die Frau im Wald nie mehr als einen kleinen Absatz übrig hat für ihre Verwandten, ihren Mann, ihre Kinder. Sie hält sich nur kurz bei ihnen auf, sie verdrängt sie nicht mal, sie tauchen nur rudimentär auf. Innere Konflikte werden nur gering aufgezeigt und schnell wieder vergessen. Stattdessen wird dem Leser beschrieben wie der Hund sich aufführt, die Katze sich benimmt usw. Dies ist für mich die größte Schwäche des Buches.
Die Protagonistin hat keine groß erwähnenswerte Vergangenheit (wird einfach abgehandelt), sogar ihre Kinder kennt sie eigentlich nicht mehr. Das ist äußerst schade, denn in den wenigen Augenblicken, wo die Protagonistin dann doch mal beschreibt was für eine Frau sie war, was für eine Mutter, berührt diese Erzählung am meisten.
Die Autorin litt seit ihrer Kindheit an einer Depression. "Ich schreibe nicht aus Freude am Schreiben. Es hat sich eben so für mich ergeben, dass ich schreiben muss, wenn ich nicht den Verstand verlieren will."
Dieses monotone Buch bietet kein unterhaltsames Lesevergnügen. Es ist ein beklemmendes, von der Autorin selbst erstelltes, literarisches Psychogramm. Marlen Haushofer: "Ich schreibe nie über etwas anderes als über eigene Erfahrungen. Alle meine Personen sind Teile von mir, sozusagen abgespaltene Persönlichkeiten, die ich gut kenne."
Die Wand ist ein polarisierendes, ein quälend-introspektives Buch, das viele Deutungen zulässt. Die Protagonistin harrt aus in ihrer misslichen Lage. (Sie hat wenig Alternativen.)
Man kann das Buch lesen als Beschreibung einer psychischen Erkrankung, als Ringen um seelisches Gleichgewicht, als Versuch der Selbsttherapie: trotzdem weiterleben und nicht resignieren, hartnäckig ausharren in der Einsamkeit einer wunden Seele.
Wer will, kann dieses Buch auf vielfältige Weise interpretieren: Als radikale Gesellschafts- und Zivilisationskritik. Als existenzphilosophischen Roman über Entfremdung und Isolation. Als Robinsonade. Als apokalyptische Endzeitvision. Als fatalistische Parabel über die Ausweglosigkeit und das Menschsein schlechthin. Als Allegorie über eine absurde Welt ohne Gott und Erlösung. Es existiert eine reiche Sekundärliteratur.
Obwohl mich die sprachlichen Stilmittel und die künstlerische Gestaltung nicht beeindruckt haben, konnte ich mich einer gewissen Sogwirkung (auch trotz meiner etwas länger währenden Pause) nicht entziehen: Die gewaltige, alptraumhafte Metapher geht tief unter die Haut: Eine unsichtbare und undurchdringliche Wand trennt die eigene begrenzte, reduzierte (Innen-)Welt von der zwar nahen, doch unerreichbaren und erstarrten Außenwelt. Ein Gleichnis über das Ein- und Ausgeschlossensein - letztlich über den Tod.
Ein starkes Buch, mit einer Stimme die zwischen einem autarken Leben abseits der Zivilisation spielt und der Abgeschiedenheit von der Außenwelt. Viele Gedanken der Erzählerin werfen im heutigen Kontext wichtige Fragen und Gedankenspiele auf.
Es war ein sehr interessantes Buch, weil das Szenario einfach so faszinierend ist. Über Nacht erscheint eine transparente Wand, die eine Frau in einem Tal einschließt und alles tierische und menschliche Leben außerhalb des Tals tötet. Sie muss mit dem überleben, was sie hat, was ihr überraschend gut gelingt. Ich frage mich, ob ich das schaffen würde.
Die Wand ist nie wirklich ein großes Thema, sie erzählt nur von ihrem Alltag, was dem Buch eine gemütliche und zugleich abenteuerliche Atmosphäre verleiht.
Aber oh Mann, ich war NICHT auf so viele Tiertode vorbereitet.