Einfühlsam, leise und überraschend aktuell. „Unter Freunden“ von Amos Oz wirft einen faszinierenden Blick hinter die Kulissen des Kibbuzlebens.
Ich war ehrlich gesagt ziemlich neugierig, als ich zu „Unter Freunden“ von Amos Oz gegriffen habe. Das Leben im Kibbuz – davon hatte ich zwar schon mal gehört, aber so richtig vorstellen konnte ich mir das nicht. Was erwartet einen in so einer Gemeinschaft, in der alles geteilt wird und das Individuum hinter dem Kollektiv zurücktritt? Und wie fühlt sich das an, wenn man selbst Teil davon ist – zumindest als Leser? Der Einstieg ins Buch fiel mir zunächst nicht ganz leicht. Die ersten Seiten plätschern eher ruhig dahin, man muss sich ein bisschen auf die Atmosphäre und die vielen Figuren einlassen. Aber genau das macht auch den Reiz aus. Nach und nach zieht einen diese Welt immer mehr in ihren Bann. Die Geschichten der Bewohner – mal traurig, mal hoffnungsvoll, oft voller leiser Zwischentöne – verweben sich zu einem stimmigen Bild des Lebens im Kibbuz der 1950er Jahre. Was mich besonders beeindruckt hat, ist, wie aktuell viele Themen immer noch sind. Die Konflikte zwischen den Generationen, die Suche nach dem eigenen Platz, das Ringen um Zugehörigkeit, aber auch die unterschwelligen Spannungen mit den arabischen Nachbarn. All das wirkt, als könnte es genauso heute passieren. Und es passiert ja auch. Gerade in einer Zeit, in der Gemeinschaft und Zusammenhalt oft auf dem Prüfstand stehen, regt „Unter Freunden“ zum Nachdenken an: Wie viel Individualität verträgt eine Gemeinschaft? Und wie viel Nähe ist zu viel? Amos Oz schreibt sehr ruhig, fast schon zärtlich über seine Figuren. Man spürt, wie sehr er sie mag – auch wenn sie Fehler machen, auch wenn sie manchmal an ihren Idealen scheitern. Besonders mochte ich, wie die Geschichten der einzelnen Bewohner sich immer wieder kreuzen, wie kleine Mosaiksteine, die am Ende ein großes Ganzes ergeben. Es ist kein Buch, das mit großen Dramen aufwartet, sondern eines, das in den kleinen Momenten seine ganze Kraft entfaltet. Was habe ich für mich mitgenommen? Ich glaube, ich habe ein besseres Verständnis dafür bekommen, wie komplex das Zusammenleben in einer solchen Gemeinschaft sein kann. Und ich habe mich gefragt, ob ich selbst in so einem Experiment hätte leben wollen – zumindest für eine Zeit. und meine Antwort wäre Nein. „Unter Freunden“ hat mich nachdenklich gemacht, aber auch dankbar für die kleinen Freiheiten, die wir oft als selbstverständlich hinnehmen. Insgesamt gebe ich dem Buch 4 Sterne. Es ist kein Pageturner im klassischen Sinn, aber ein leises, kluges und berührendes Buch, das lange nachhallt. Wer sich auf die ruhige Erzählweise einlässt, wird mit vielen Denkanstößen und einem ganz besonderen Blick auf das Leben belohnt. Es ist definitiv nichts für Leser die eine betriebene Story brauchen. Es ist eher das Leben als Buch.