Der schwarze Schwan
"Der schwarze Schwan" von Martin Walser spielt in einer psychiatrischen Klinik und beschäftigt sich mit der schwierigen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit innerhalb der deutschen Gesellschaft in den 1960er Jahren. Im Zentrum steht Rudi Goothein, der Sohn eines ehemaligen KZ-Arztes. Als er von der Schuld seines Vaters erfährt, stellt er sich selbst als Täter dar, um den Vater zur Konfrontation zu zwingen. Dieser jedoch weist ihn in die Klinik ein, die ausgerechnet von Liberé geleitet wird — einem weiteren ehemaligen NS-Täter, der seine Vergangenheit leugnet. Rudi versucht mit allen Mitteln, die Männer zum Eingeständnis ihrer Schuld zu bewegen. "Der schwarze Schwan" war für mich eine ebenso herausfordernde wie eindrucksvolle Lektüre. Ich habe es im Rahmen meiner Bachelorarbeit gelesen — und obwohl ich mich dadurch schon sehr intensiv mit der Materie befasst habe, muss ich sagen, dass es kein reiner "Studientext" für mich war und mich das Stück auch auf einer persönlichen Ebene stark bewegt hat. Martin Walser gelingt es, ein hochkomplexes und sensibles Thema in eine dichte, vielschichtige Sprache zu fassen. Besonders beeindruckt hat mich, wie das Stück verschiedene Stimmen und Perspektiven nebeneinanderstellt: die Täter, die sich in verschiedene Lügen retten, den Sohn, der an der Sprachlosigkeit zerbricht, und das System, das bereit ist, die Vergangenheit zu übergehen. Trotz (oder gerade wegen) der oft fragmentierten und indirekten Ausdrucksweise entsteht eine enorme emotionale Wucht. Die Figur des Rudi ist für mich der stärkste Aspekt des Stücks. Seine Verzweiflung, sein Kampf um Wahrheit und seine letztliche Ohnmacht haben mich tief getroffen. "Der schwarze Schwan" ist kein Stück, das einfache Antworten gibt — es zeigt vielmehr schonungslos die Mechanismen der Verdrängung und die Einsamkeit derjenigen, die sie durchbrechen wollen. Gerade weil es sich weigert, versöhnlich oder leicht konsumierbar zu sein, halte ich es für ein sehr starkes, bewegendes und wichtiges Stück. Für mich war es definitiv eine der bisher intensivsten Lektüren in diesem Jahr — ein Text, der nachklingt und zum Nachdenken zwingt.