
Ein verfluchter Eisenbahntunnel
Als Kind hat mein Vater mir einmal eine Gruselgeschichte erzählt. Sie handelte von einer Familie, die an einem Bahnhof auf die Rückkehr des Vaters von einer Geschäftsreise wartete. Doch der Zug kam nie an. Auch das Bahnunternehmen hatte den Kontakt zum ICE in einem Bergtunnel verloren. Als die Polizei Stunden später den Tunnel sperrt, um nach dem Zug zu suchen, finden sie ihn schrottreif und verrostet auf einem Gleis. Alle Insassen sind tot, scheinbar verdurstet und bereits mumifiziert, als wäre der ICE Jahrhunderte lang in einer Zeitschleife gefangen gewesen, während außerhalb des Tunnels nur wenige Stunden vergangen sind. Mein Vater hat dann gesagt, dass diese Geschichte auf einem Buch von Wolfgang Hohlbein basiert: „Das Druidentor“. Ich konnte diesen Plot nie wirklich vergessen und habe mich immer gefragt, wie es weitergeht. Eines Tages habe ich dann eine sehr abgenutzte Ausgabe dieses Mysterythrillers in einem Bücherschrank entdeckt und direkt mitgenommen. „Das Druidentor“ erschien 1993 und gilt als eines der erfolgreichsten Bücher des deutschen Autors. Um den ständigen Stau und zähfließenden Verkehr auf den Routen nach Italien entgegenzuwirken, baut die Schweiz Anfang der 1990er einen Eisenbahntunnel durch das Gebirgsmassiv Gridone oberhalb des Touristenorts Ascona. Bereits während des Tunnelbaus ereignen sich merkwürdige Dinge, so geht bspw. ein Bautrupp mit 25 Männern plötzlich verloren und taucht später unter mysteriösen Umständen wieder auf. Doch die eigentliche Katastrophe ereignet sich drei Jahre später, als ein ICE in den Tunnel fährt, aber nicht mehr heraus kommt. Die Rettungskräfte finden einen völlig schrottreifen Zug vor, in dem alle dreißig Insassen verhungert, verdurstet oder ermordet wurden. Die ratlosen Behörden sprechen in den Medien von einem Terroranschlag, doch Kommissar Veith Rogler von der Kantonspolizei Tessin sowie der ehemalige Vermessungsingenieur des Tunnelbaus Frank Warstein versuchen, dem übernatürlichen Geheimnis auf den Grund zu gehen. „Das Druidentor“ von Wolfgang Hohlbein lockt mit einer vielversprechenden Prämisse und bietet einen spannenden Einstieg, verliert im weiteren Verlauf jedoch an Struktur und Nachvollziehbarkeit. Die Handlung wirkt mit ihren wilden Zeitsprüngen sehr willkürlich, während die Figuren zwar Potenzial haben, aber oft in Klischees verhaftet bleiben. Ich habe mich in der zweiten Hälfte dabei erwischt, wie ich die Geschichte nur noch überflogen anstatt aufmerksam gelesen habe. Hohlbeins Schreibstil ist zwar einfach, aber teilweise unnötig verschachtelt und meiner Ansicht nach bestenfalls mittelmäßig. Die problematischen Formulierungen und veralteten Begriffe zeigen, dass der Thriller ähnlich wie der ICE im Gridone leider schlecht gealtert ist. Auch wenn die Auflösung befriedigend war, hinterlässt das Werk einen eher durchschnittlichen Eindruck. Deswegen kann ich dem Buch nicht mehr als zwei von fünf Federn geben. Hohlbein hat inzwischen schon mehr als 200 Bücher publiziert. Vielleicht ist eine gewisse Unausgereiftheit dabei ja unvermeidlich. Vorerst werde ich keine weiteren Bücher von ihm lesen.