
Rilkes Liebe ist keine Romanze
Wie eine zart duftende Blüte liegt dieser schmale Insel-Band in der Hand – sein Cover verspricht Romantik, Leichtigkeit, ein poetisches Schweben. Und ja, zwischen den Seiten finden sich tatsächlich einige kostbare Verse, die das Herz berühren und in ihrer Sprache funkeln wie Morgentau im Sonnenlicht. Doch wer sich eine Sammlung süßer Liebesbekenntnisse erhofft, wird bald von dunkleren Tönen überrascht: Schmerz, Verlust, Vergänglichkeit – Rilkes Liebe ist oft durchwoben von Endlichkeit und existenzieller Tiefe. Das Nachwort weist richtigerweise darauf hin, dass es sich nicht um klassische Liebesgedichte handelt. Vielmehr geht es um Liebe als geistiges Prinzip, als metaphysische Erfahrung – ein Ansatz, der tiefgründig ist, aber eben nicht jedermanns Geschmack trifft. So schön manche Bilder auch sind, so wenig haben sie mein romantisches Herz erreicht. Rilke sah Liebe nicht als romantische Verschmelzung, sondern als Begegnung zweier ganzer, eigenständiger Menschen. In seinen Briefen an einen jungen Dichter schreibt er, Liebe bedeute, „daß sich zwei Einsamkeiten schützen, grenzen und grüßen“. Für ihn war sie ein stilles Wachstum – kein Ziel, sondern ein Weg, der ebenso viel Mut wie Reife verlangt. Genau dieses Verständnis prägt auch viele seiner Liebesgedichte – sie sprechen weniger von Verliebtheit als von der existenziellen Herausforderung des Liebens selbst.