Stefan Zweigs einziger Roman ist, wie auch seine Kurzgeschichten, ein ewiges Auf und Ab der Emotionen. In kurzer Form funktioniert das sehr gut, in Romanform wird es ein wenig ermüdend. Als vorherrschendes und auch titelgebendes Thema wählt Zweig Mitleid. Dabei zeigt er zwei Formen des Mitleids auf die sich psychologisch grundlegend voneinander unterscheiden, für die es jedoch zumindest in der deutschen Sprache keine entsprechenden Bezeichnungen gibt. Die ehrliche Variante befähigt mit einem anderen Menschen mitzuleiden, sein Leid nicht nur zu erfassen sondern auch mitzuempfinden und kann vielleicht am besten als Mitgefühl beschrieben werden. Das andere Mitleid dient lediglich dazu sich selbst ein besseres Gewissen zu verschaffen. Man möchte sich nicht schuldig fühlen da man selbst viel besser dran ist als die bemitleidenswerte Person. Um sich selbst möglichst schnell von dieser Schuld zu befreien, drängt sich Mitleid auf. Es hat demnach eine zutiefst egoistische Motivation. In Ermangelung eines äquivalenten Wortes bezeichnet Zweig dies als Ungeduld des Herzens. Soweit ich das verstanden habe, handelt es sich hier um ein Paradebeispiel für ein Homonym. Es drängt sich den Lesern die Frage auf, wie oft man selbst ehrliches Mitgefühl oder doch eher die Ungeduld des Herzens empfindet. Allein diese Überlegungen machen den Roman hochinteressant. Die beiden Hauptcharaktere des Romans, Anton und Edith, stellen sich sehr gegensätzlich dar. Edith erscheint sehr emotional und forsch. Sie verfügt offenbar über wenig Selbstkontrolle wodurch sie zu häufigen Gefühlsausbrüchen neigt. Gleichzeitig ist sie dadurch aber grundehrlich und die einzige Person die sich nicht verstellt. Sie ist gelähmt und damit eine Gefangene des Rollstuhls, paradoxerweise ist sie im Ausleben ihrer Emotionen viel freier als alle anderen. Anton erscheint anfangs charakterlich viel gefestigter und ausgeglichener, jedoch wird im weiteren Verlauf ersichtlich, dass er innerlich viel unsicherer und wankelmütiger ist als Edith. Er macht sich abhängig von der Meinung anderer Leute und verhält sich besonders Edith gegenüber linkisch und unaufrichtig. Nun hat er gesellschaftlich lange nicht den Stand wie die Familie Kekesfalva und strebt nach einer höheren Position. Die möchte er sich selbst erarbeiten und nicht unehrlich durch eine reiche Heirat mit Edith erhalten. Besonders da Kekesfalvas jüdische Herkunft und die Art und Weise wie er zu Reichtum gekommen ist, gesellschaftlich verpönt sind. Dabei übersieht er, dass es keine ehrliche Alternative gibt einen höheren Status zu erlangen. Anton lässt sich von der Familie Kekesfalva verwöhnen und als Retter, ja sogar als Gott feiern. Er vermag jedoch weder eine Zuneigung vorzuspielen die er nicht empfindet, noch echtes Mitgefühl aufzubringen. Zu spät setzt letzteres ein und schließlich zieht er in den ersten Weltkrieg um seine Schuld zu betäuben. Da massenhafter Mord im Krieg gesellschaftlich anerkannt, ja sogar gefeiert wird, hofft er diesen einen Mord vergessen und vertuschen zu können. Es handelt sich nur oberflächlich um eine Liebesgeschichte wie sie so ähnlich schon oft erzählt wurde. Doch Zweig beschreibt kein einziges Mal das Gefühl der Liebe, sondern die Angst vor der Liebe einer anderen Person und die Konsequenzen einer Empfindung die aus Unehrlichkeit erwächst. Das ganze gleitet stellenweise zu stark ins melodramatische ab und hätte für mich in kürzerer Form besser funktioniert. So wird man als Leser ständig durch die Gefühlsmühle gedreht. Der sich abwechselnd selbstbemitleidende und selbstbeweihräuchernde Anton, sowie die emotional instabile und verwöhnte Edith, verlangen den Lesenden einiges an Nerven ab. Der große Knall kam erstaunlich spät, trotzdem er sich schon früh abzeichnet. Insgesamt sehr interessant und lesenswert, aber Zweigs Kurzgeschichten haben mich mehr überzeugt.
Spannendes Thema: Mitgefühl (hier mit Menschen mit Behinderungen) und was daraus werden kann. Ein bisschen zu ausschweifend und teilweise melodramatisch - aber meist so nachvollziehbar geschildert, dass man es glaubt, sich aufregen oder sogar mitfühlen kann. Sprachlich ein Hochgenuss.
In seinem einzigen Roman lässt Stefan Zweig einen jungen Offizier auf eine gehbehinderte junge Frau treffen. Noch in Unkenntnis über ihre Behinderung fordert er sie auf einem Ball zum Tanz auf. Der unendlich peinliche Vorfall bewirkt, dass Anton Hofmiller sich der jungen Dame verpflichtet fühlt, er beginnt, die Familie regelmäßig zu besuchen und schon bald entsteht eine enge Freundschaft zwischen Anton, Edith, ihrer Cousine und ihrem Vater. Die Beziehung ist jedoch problematisch, denn vonseiten Antons wird sie ausschließlich vom Mitleid bestärkt, während Edith beginnt, echte Gefühle für den jungen Mann zu entwickeln. Das Desaster nimmt seinen Lauf. Aus heutiger Sicht ist der Ableismus der Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht leicht zu ertragen. Besonders bezeichnend der Satz „So etwas kann man doch nicht heiraten“. Der wirklich sehr leicht zu lesende Roman zeigt eindrücklich die dramatischen Konsequenzen, die eine Beziehung auf der Basis von Mitleid haben kann.