Ein Buch, welches dem Leser viel abverlangt
„Ich hörte nie dass es die Schuld der Männer war. Dass sie gewalttätige Alkoholikerschweine waren die sich mit Frauen einließen und Familien gründeten. Obwohl sie wussten dass sie ihnen vermutlich Schaden zufügen würden.“ (S. 143) „Mein Bruder“ von Karin Smirnoff ist ein Buch, dessen Geschichte ich in der Art nicht zwischen den Seiten erwartet hätte. Ungeschönt wird in Flashbacks von Janas und Brors Kindheit auf dem Kippo-Hof erzählt. Schläge, Missbrauch, Totschlag und Tierquälerei sind ständige Begleiter und am Wochenende, wenn Vattern nach Hause kam, an der Tagesordnung. Von Freitod und Alkoholmissbrauch ist die Rede. Auffällig ist die Tatsache, das der Roman ohne Komma, Fragezeiche und Ausrufezeichen auskommt. Lediglich die Punktsetzung wurde eingehalten. Gerade so, als sei die Autorin beim Schreiben in Eile gewesen, um ihre Sätze mit Nachdruck und ohne Schnörkel in die Tastatur zu hämmern. Gerade schnell genug, damit kein wichtiger Gedanke verloren geht. Dies verwirrt zu Beginn. Verliert sich aber mit der Zeit. Wenn man seinen Rhythmus gefunden hat und sich Janas und Brors Kindheit Seite um Seite entblättert und die Brutalität des Erzeugers und die Hilflosigkeit der Mutter einem das blanke Entsetzen in die eigenen Hirnwindungen bohrt und Bilder der Hilflosigkeit in die Gedanken projiziert merkt man, das dieser Roman kein Wohlfühlbuch ist. „Mein Bruder“ ist eine Geschichte, die viel Zündstoff unter Lesern bieten kann. Wenn man sich darauf einlassen mag. Denn wo häusliche Gewalt im Realen leise ist und verschwiegen wird, zeigt dieses Buch, was sich hinter manch verschlossener Tür abspielen kann und provokant mit dem Finger darauf.