24. Aug. 2024
Bewertung:4

Ein Buch, welches dem Leser viel abverlangt

„Ich hörte nie dass es die Schuld der Männer war. Dass sie gewalttätige Alkoholikerschweine waren die sich mit Frauen einließen und Familien gründeten. Obwohl sie wussten dass sie ihnen vermutlich Schaden zufügen würden.“ (S. 143) „Mein Bruder“ von Karin Smirnoff ist ein Buch, dessen Geschichte ich in der Art nicht zwischen den Seiten erwartet hätte. Ungeschönt wird in Flashbacks von Janas und Brors Kindheit auf dem Kippo-Hof erzählt. Schläge, Missbrauch, Totschlag und Tierquälerei sind ständige Begleiter und am Wochenende, wenn Vattern nach Hause kam, an der Tagesordnung. Von Freitod und Alkoholmissbrauch ist die Rede. Auffällig ist die Tatsache, das der Roman ohne Komma, Fragezeiche und Ausrufezeichen auskommt. Lediglich die Punktsetzung wurde eingehalten. Gerade so, als sei die Autorin beim Schreiben in Eile gewesen, um ihre Sätze mit Nachdruck und ohne Schnörkel in die Tastatur zu hämmern. Gerade schnell genug, damit kein wichtiger Gedanke verloren geht. Dies verwirrt zu Beginn. Verliert sich aber mit der Zeit. Wenn man seinen Rhythmus gefunden hat und sich Janas und Brors Kindheit Seite um Seite entblättert und die Brutalität des Erzeugers und die Hilflosigkeit der Mutter einem das blanke Entsetzen in die eigenen Hirnwindungen bohrt und Bilder der Hilflosigkeit in die Gedanken projiziert merkt man, das dieser Roman kein Wohlfühlbuch ist. „Mein Bruder“ ist eine Geschichte, die viel Zündstoff unter Lesern bieten kann. Wenn man sich darauf einlassen mag. Denn wo häusliche Gewalt im Realen leise ist und verschwiegen wird, zeigt dieses Buch, was sich hinter manch verschlossener Tür abspielen kann und provokant mit dem Finger darauf.

Mein Bruder
Mein Brudervon Karin SmirnoffHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
14. Apr. 2024
Bewertung:5

Ich hatte mich über diesen Roman nicht informiert, sondern griff auf der Suche nach einem schwedischen Buch, welches kein Thriller ist, eher blind zu diesem Werk. Eine Familiengeschichte aus Nordschweden. Das hörte sich erstmal harmlos an. Doch was da zwischen zwei Buchdeckeln an menschlichen Abgründen, häuslicher Gewalt, Vernachlässigung, Demütigung, Erniedrigung, Gewalt gegen Frauen, Kinder und Tiere bis hin zur Quälerei und übelsten Sadismus, Suchtprobleme, insbesondere Alkoholismus, unwürdiges Altern, Suizide und Morde sowie Kindesmissbrauch zu finden war, ließ jeden Schwedenkrimi wie eine Wohlfühloase in Bullerbü und Lönneberga aussehen. Eigentlich nicht die Art von fiktionalen Romanen, die ich gerne lese, da ich meist das Gefühl habe, dass hier die Gewalt Mittel zum Zweck der Verkaufsförderung ist, gerade wenn sie auch noch explizit dargestellt wird. Bei Karin Smirnoffs Werk hatte ich allerdings nicht den Eindruck, dass sie bewusst dick aufträgt, um Emotionen zu erzeugen (wie z.B. in Ein wenig Leben von Yanagihara). Im Gegenteil. Die schockierenden Momente im Buch werden von der Ich-Erzählerin fast schon in einem belanglosen Ton übermittelt. Jana Kippo ist Mitte Dreißig als sie nach vielen Jahren aus Südschweden in ihre nördliche Heimat zurückgekehrt, um ihrem Zwillingsbruder Bror beizustehen, der nach einer unglücklichen Liebe im Alkohol versinkt. In eingeschobenen Rückblenden ergibt sich immer mehr ein Bild einer zerrütteten Familie, die durch einen gewalttätigen Vater und einer in der Opferrolle gefangenen Mutter geprägt war. „Ich konnte mir niemanden aus meiner Familie verliebt vorstellen. Wir waren keine liebende Familie. Wir waren einfach nur Erbgutträger die Nachfahren in die Welt setzten und taten was getan werden musste. Oft auf die denkbar schlechteste Weise mit erbärmlichen Ergebnis.“ Wie kann man lieben, wenn man nie Liebe als Kind erfahren hat? Wie kann man vergeben, wenn Taten eigentlich unentschuldbar sind? Warum zieht es Jana immer wieder zu Abziehbildern ihres Vaters hin? Karin Smirnoff verwendet einen sehr eigenwilligen Schreibstil, um die Sprache und den Dialekt der Nordschweden zu treffen. Ob das der Übersetzerin bei der Übertragung ins Deutsche originalgetreu gelungen ist, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall bekommt der Ton der Geschichte durch den Verzicht jeglicher Interpunktion bis auf den Punkt einen sehr eindringliche Note. Die Sätze sind oft kurz und nüchtern, was auf mich authentisch wirkte. Jana wird dadurch zu einer sehr zähen und bewundernswerten Frau, deren Schicksalsschläge man sich kaum vorstellen mag. Das Buch, welches der erste Band einer Trilogie ist, hat mich sehr beeindruckt. Ein unerwartet eindringliches Leseerlebnis. Ich freue mich, wenn auch die weiteren Bücher der Autorin übersetzt werden sollten.

Mein Bruder
Mein Brudervon Karin SmirnoffHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
23. Feb. 2024
Bewertung:5

Ich hatte mich über diesen Roman nicht informiert, sondern griff auf der Suche nach einem schwedischen Buch, welches kein Thriller ist, eher blind zu diesem Werk. Eine Familiengeschichte aus Nordschweden. Das hörte sich erstmal harmlos an. Doch was da zwischen zwei Buchdeckeln an menschlichen Abgründen, häuslicher Gewalt, Vernachlässigung, Demütigung, Erniedrigung, Gewalt gegen Frauen, Kinder und Tiere bis hin zur Quälerei und übelsten Sadismus, Suchtprobleme, insbesondere Alkoholismus, unwürdiges Altern, Suizide und Morde sowie Kindesmissbrauch zu finden war, ließ jeden Schwedenkrimi wie eine Wohlfühloase in Bullerbü und Lönneberga aussehen. Eigentlich nicht die Art von fiktionalen Romanen, die ich gerne lese, da ich meist das Gefühl habe, dass hier die Gewalt Mittel zum Zweck der Verkaufsförderung ist, gerade wenn sie auch noch explizit dargestellt wird. Bei Karin Smirnoffs Werk hatte ich allerdings nicht den Eindruck, dass sie bewusst dick aufträgt, um Emotionen zu erzeugen (wie z.B. in Ein wenig Leben von Yanagihara). Im Gegenteil. Die schockierenden Momente im Buch werden von der Ich-Erzählerin fast schon in einem belanglosen Ton übermittelt. Jana Kippo ist Mitte Dreißig als sie nach vielen Jahren aus Südschweden in ihre nördliche Heimat zurückgekehrt, um ihrem Zwillingsbruder Bror beizustehen, der nach einer unglücklichen Liebe im Alkohol versinkt. In eingeschobenen Rückblenden ergibt sich immer mehr ein Bild einer zerrütteten Familie, die durch einen gewalttätigen Vater und einer in der Opferrolle gefangenen Mutter geprägt war. „Ich konnte mir niemanden aus meiner Familie verliebt vorstellen. Wir waren keine liebende Familie. Wir waren einfach nur Erbgutträger die Nachfahren in die Welt setzten und taten was getan werden musste. Oft auf die denkbar schlechteste Weise mit erbärmlichen Ergebnis.“ Wie kann man lieben, wenn man nie Liebe als Kind erfahren hat? Wie kann man vergeben, wenn Taten eigentlich unentschuldbar sind? Warum zieht es Jana immer wieder zu Abziehbildern ihres Vaters hin? Karin Smirnoff verwendet einen sehr eigenwilligen Schreibstil, um die Sprache und den Dialekt der Nordschweden zu treffen. Ob das der Übersetzerin bei der Übertragung ins Deutsche originalgetreu gelungen ist, kann ich nicht beurteilen. Auf jeden Fall bekommt der Ton der Geschichte durch den Verzicht jeglicher Interpunktion bis auf den Punkt einen sehr eindringliche Note. Die Sätze sind oft kurz und nüchtern, was auf mich authentisch wirkte. Jana wird dadurch zu einer sehr zähen und bewundernswerten Frau, deren Schicksalsschläge man sich kaum vorstellen mag. Das Buch, welches der erste Band einer Trilogie ist, hat mich sehr beeindruckt. Ein unerwartet eindringliches Leseerlebnis. Ich freue mich, wenn auch die weiteren Bücher der Autorin übersetzt werden sollten.

Mein Bruder
Mein Brudervon Karin SmirnoffHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
28. Feb. 2023
Bewertung:4

Wenn einen die verstörende Kindheit einholt

Die Protagonistin Janna wird von ihrer traumatischen Kindheit heimgesucht und begibt sich zur Vergangenheitsbewältigung in das Dorf ihrer Kindheit. Dort werden alte Erinnerungen geweckt aber auch neue Fragen aufgeworfen. Karin Smirnoff ist eine Meisterin der düsteren Atmosphäre, verstörenden Beziehungen und traurigen Reflexionen der Vergangenheit. Sowohl die Rückblenden zur Kindheit als auch die Schilderungen zur Rückkehr ins Heimatdorf lassen den Kloß im Hals immer größer werden, wenn man die Geschichte liest. Was für die Protagonistin Nähe, Liebe und Vertrautheit bedeutet, fühlt sich beim Lesen an wie eine einzige Qual. Die Lektüre ist teilweise nichts für schwache Nerven, ist jedoch authentisch umgesetzt. Dass Janna schließlich einige Fragen beantwortet bekommt, ändert leider nichts daran, dass noch große Löcher in ihrer Seele klaffen.

Mein Bruder
Mein Brudervon Karin SmirnoffHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
13. Feb. 2023
Traumatisch, dramatisch.
Bewertung:2.5

Traumatisch, dramatisch.

Die Geschichte handelt von Jana, die auf den einsamen und abgeschiedenen Hof zurückkehrt, auf dem sie aufgewachsen ist. Dort will sie sich um ihren alkoholkranken Zwillingsbruder Bror kümmern. Sie fängt bei der mobilen Pflege im Ort an und trifft so auf alte Bekannte aus ihrer Kindheit und Jugendzeit und erfährt von neuen und alten Begebenheiten innerhalb der Dorfgemeinschaft. Zudem werden in Rückblenden (traumatische) Ereignisse aus ihrer Kindheit geschildert. Eigenwilliger Schreibstil, an den ich mich erst gewöhnen musste - außer Punkten werden keine weiteren Satzzeichen verwendet. Erinnerte mich des weiteren stilistisch an "Und es schmilzt" von Lize Spit. Ganz sicher nicht für jeden geeignet, behandelt es ziemlich schonungslos Themen wie Alkoholmissbrauch, familiäre Gewalt und Missbrauch von Schutzbefohlenen, Tierquälerei etc. Mein Fall war es nicht.

Mein Bruder
Mein Brudervon Karin SmirnoffHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
23. Sept. 2022
Bewertung:4

Im schwedischen Smalånger besucht Jana ihren Zwillingsbruder Bror, der einer verbotenen Liebe nachtrauert und seine Sorgen im Alkohol ertränkt. Die gemeinsame Mutter der beiden befindet sich nach einem Schlaganfall in einem Pflegeheim. Jana begegnet John wieder, den sie von damals kennt und dessen ambivalentes Verhalten ihr Rätsel aufgibt. Die junge Frau wird immer wieder von schrecklichen Erinnerungen an ihren tyrannischen Vater wachgerufen, der seinen Kindern großen Schaden zufügte, bis beide sich rächten. Die ersten Seiten konnten mich direkt einfangen, so einnehmend ist der Schreibstil von Smirnoff. Kaum zu glauben, dass es sich um ein Debüt handelt, denn die fesselnde Sprache, die gänzlich auf Kommata verzichtet, wirkt sehr routiniert. Die Heftigkeit des Inhalts wird nach wenigen Seiten deutlich. Ein vergangenes Familiendrama wird nach und nach geschildert und ist Grundpfeiler der Geschichte. Handlungsort ist eine schwedische Kleinstadt, umgeben von Wäldern, sodass die düstere Atmosphäre allgegenwärtig ist. Jana ist Mitte dreißig, als sie an den Ort ihrer Kindheit nach Nordschweden zurückkehrt. Schwere Traumata haben es ihr unmöglich gemacht, sich an die grauenhaften Taten ihres Vaters zu erinnern, die nun, am Ort des Geschehens, wieder hochkommen. Mit John, der ihr mal voller Liebe und dann wieder sehr aggressiv begegnet, beginnt sie ein Verhältnis. Ähnlich wie die meisten Bewohner in Smalånger steckt auch er zunächst voller Rätsel. Die Tragödie, die sich in der Kindheit von Jana und ihrem Bruder zugetragen hat, ist schwer auszuhalten. Von Vergewaltigung bis Mord wurde nichts ausgelassen. Die Geschehnisse werden im Laufe der Geschichte aufgearbeitet, ohne dass die Autorin Wichtiges vorwegnimmt. Jana ist mir sofort sympathisch, ich mag ihre facettenreiche Persönlichkeit, ihre vorlaute und zugleich verletzliche Seite. Die Wahl des Titels erschließt sich für mich nicht ganz, denn aus meiner Sicht spielt dieser eine Nebenrolle. Er ist zwar der Grund, weswegen Jana an ihren Heimatort zurückkehrt und auch, dass alle negativen Erlebnisse erneut in ihr geweckt werden, ist jedoch nicht tonangebend. Dank des Humors von Jana lässt sich das Gelesene leichter ertragen. Trotzdem ist es eine äußerst heftige Story, die wohl niemanden kalt lässt. Die Dorfbewohner sind hauptsächlich aggressiv, unfreundlich, alkoholabhängig oder schwerkrank. Dass das Buch in Schweden mehrfach ausgezeichnet wurde ist mehr als verständlich, denn die von Karin Smirnoff konzipierte Handlung ist beeindruckend. Liebe und Gewalt liegen nah beieinander und machen die Besonderheit des sehr heftigen Buches aus. Ein ganz starkes Debüt, das von den tiefsten familiären Abgründen und seinen Folgen erzählt.

Mein Bruder
Mein Brudervon Karin SmirnoffHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG