20. Dez. 2024
Bewertung:4

Jane Gardam ist Jahrgang 1928 und genießt in ihrer Heimat England großes Ansehen. In Deutschland war sie bis zur Übersetzung von Ein untadeliger Mann weitgehend unbekannt. Die Übersetzung stammt übrigens von Isabel Bogdan. Edward Feathers, auch Old Filth genannt, blickt nach dem Tod seiner langjährigen Ehefrau Betty auf sein Leben zurück und muss mit der plötzlichen Einsamkeit zurechtkommen. Geboren wurde er zur Kolonialzeit in Malaya. Seine Mutter starb bei der Geburt, sein Vater widmete sich dem Alkohol. So wuchs Edward bei der Tochter der Amme auf, bis er eines Tages zur Erziehung und Bildung nach England geschickt wurde. So teilte er das Schicksal vieler Raj-Weisen, die ohne Eltern und oftmals ohne Zuneigung in einer ihnen fremden Heimat aufwuchsen. Old Filth kehrte nach dem Studium zurück nach Asien und wurde in Hong Kong überaus erfolgreich Anwalt. Ich griff zu diesem Buch, weil es überall so hochgelobt worden ist: Von Bekannten und Medien. Eigentlich wäre es mir wohl zu fern von meinem eigenen Leben gewesen: Nicht mal ansatzweise meine Generation, keine Schnittpunkte mit meinem Leben. Old Filth ist nach außen hin immer beherrscht und korrekt. Er trägt seit mindestens sechzig Jahren die gleiche Kleidung! Kann sich das jemand vorstellen? Mit über 80 die Kleidung zu tragen, die man mit zwanzig getragen hat? Edward Feathers war mir zwischendurch nicht sonderlich sympatisch. Das änderte sich zum Ende hin, denn dann beginnt er, seine Gefühle zuzulassen und etwas lockerer zu werden. Im mittleren Drittel war meine Motivation beim Lesen eher seine Ehefrau Betty. Ich wollte mehr über sie und ihr Leben wissen (was man in der Fortsetzung Eine treue Frau erfahren wird). Im ersten Drittel ging es mir vor allem um Edwards Vergangenheit in Malaya und die ersten Jahre in England. Ich war also die ganze Zeit sehr gefesselt, das mittlere Drittel empfand ich aber als etwas schwächer, störend empfand ich manchmal auch die plötzlichen Zeitsprünge in der Erzählung. Man erfährt wahnsinnig viel über die Kolonialgeschichte des British Empire und über das Leben in England rund um den zweiten Weltkrieg (Queen Mary hat einen Gastauftritt), und ich habe während dem Lesen unglaublich oft zum Handy gegriffen, um dies und jenes noch einmal genauer im Internet nachzulesen. Jane Gardam schuf eine unglaublich ausführliche Geschichte, die ich mir aber immer nur noch ausführlicher gewünscht hätte! Bleibt zu hoffen, das nun auch ihre älteren Werke übersetzt werden, während ich nun erstmal zur Fortsetzung greife! Weitere Rezensionen von mir findest auf meinem Blog www.buchstuetze.wordpress.com

Ein untadeliger Mann
Ein untadeliger Mannvon Jane GardamHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
22. Nov. 2024
Bewertung:4

Ein eher leises, unaufgeregtes - man könnte sagen sehr englisches - Buch. Darin gleicht es seiner Hauptperson: Wie sich hinter der korrekten, etwas langweiligen Fassade von Old Filth ein abenteurliches und oft tragisches Leben verbirgt, so werden in diesem Buch einige britische Nationaltraumata (der Blitzkrieg, der Verlust des Empire,...) gleichsam nebenher behandelt. Es hat eine gewisse Sogwirkung und ich habe es gerne gelesen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich die anderen beiden Bände der Trilogie lesen möchte - vielleicht, wenn sie mir mal zufällig über den Weg laufen.

Ein untadeliger Mann
Ein untadeliger Mannvon Jane GardamHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
9. Nov. 2024
Bewertung:3.5

Interessant aber weniger Asien als der Klappentext suggeriert

Nach dem Tod seiner Frau Betty begibt sich Edward Feathers auf eine Reise in seine Vergangenheit. Aufgewachsen in British Malaya wurde er als sog. Raj-Waise zurück nach Großbritannien geschickt, um eine traditionelle Ausbildung zu erhalten. Er, welcher als Richter in Hong Kong über so manches Schicksal entschied, hütet ein dunkles Geheimnis, das ihn mit anderen Raj-Waisen an Asien bindet. Im ersten Band dieser Trilogie, bei der das Schicksal und die Traumata der Raj-Waisen aus drei unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden, kann auch als Einzelband gelesen werden. Edwards Geschichte liest sich spannend und bietet viel Stoff zum Nachdenken. Tatsächlich konfrontiert die Reise Edward mit seiner dunklen Vergangenheit, aber anders als es der Klappentext suggeriert, bleibt Asien lediglich die Kulisse der Erinnerungen. Der tatsächliche Roadtrip findet in England statt. Mehr zum Buch im Lesemonat August auf meinem YouTube Kanal „Japan Connect“. ♥️♥️♥️🤍🤍 https://youtu.be/10FCwm4To6o?si=tse4U0wj_XErKomw

Ein untadeliger Mann
Ein untadeliger Mannvon Jane GardamHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
8. Okt. 2024
Bewertung:4

Aber wie sollte er entscheiden, was Fakten waren? Er wurde ganz klein vor der riesigen, fundamentalen Last, sich selbst mit den Augen eines anderen zu sehen. Das konnte nur Gott. Es kam ihm blasphemisch vor, es auch nur zu versuchen. So viele Eindrücke, so große Gefühle. Wo lag da die Wahrheit? - Zitat, Seite 264. Den Raj-Waisen und ihren Eltern - so lautet die Widmung in Jane Gardams Roman. Sie öffnet damit ein Kapitel englischer Geschichte, die hierzulande kaum bekannt sein dürfte. Die Kinder des Empire, deren Eltern sich in den asiatischen Gebieten angesiedelt hatten, wurden in die englische Heimat verschifft, um dort aus gesundheitlichen Gründen von Pflegeeltern versorgt zu werden, bis sie das Alter erreicht hätten, um eine entsprechende schulische Institution zu besuchen. Eine britische Maßnahme mit ihren Schwächen und ungewissen Folgen für die psychische Gesundheit der kleinen Seelen... Der Originaltitel des Romans lautet "Old Filth" und so begegnet uns der Protagonist zu Anfang der Geschichte als ehrwürdiger, alter Herr, der als Ursprung des alten Witzes "Failed In London Try Hong Kong" (Filth), gilt. Ein älterer Jurist fasst seinen Lebenslauf kurz zusammen: "Raj-Kind, Privatschule, Oxford, Kronanwalt - aber kein Langweiler. Die Frauen waren verrückt nach ihm." (Seite 12). Nach seiner beruflichen Tätigkeit in Fernost setzt sich der elegante Jurist mit seiner Frau Betty in England zur Ruhe. Und auch nach dem baldigen Tod seiner geliebten Ehefrau scheint er eine respektable und bewunderte Größe zu sein. "Ein Mann, dessen vornehmes Leben geradlinig und glücklich verlaufen war." (Seite 14). Aber schon bald bekommt die Fassade Risse und wir verstehen, dass dieses Leben keinesfalls in geraden Bahnen lief und der attraktive ältere Herr eine Last in sich trägt, die viele Jahre auf dem Buckel hat. Jane Gardam ist eine großartige Erzählerin und sie weiß, wovon sie spricht. So wie das menschliche Gehirn mit Erinnerungen umgeht, die unvermittelt wie unerwartete Gäste auf der Matte stehen, baut sie Ereignisse aus dem Leben ihres Protagonisten in die Handlung mit ein. Das mag am Anfang etwas verwirrend sein, aber bald hat man sich an die ineinander verwobenen Teile der Geschichte gewöhnt. Der feine Humor und der akkurate Schreibstil, der so gut zu den Figuren passt, machen diese Lektüre zum Vergnügen. Die Übersetzung stammt von Isabel Bogdan ("Der Pfau"). Manchen Charakter hätte man gerne näher kennengelernt z.B. den Lieblingsfeind Mr Veneering (lässt hier Dickens grüßen?), oder auch die Ehefrau Betty. Aber anscheinend gibt es hierzu in anderen Werken der Autorin Gelegenheit. FAZIT Wieder ein Roman, der sich unerwartet, aber auf sehr spannende und kluge Art mit dem Thema Heimat auseinandersetzt. Und aufzeigt, welche tiefgründigen Geschichten in Menschen verborgen sein können, die konservativ und langweilig wirken. Eine unbedingte Leseempfehlung.

Ein untadeliger Mann
Ein untadeliger Mannvon Jane GardamHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12. Aug. 2024
Bewertung:3.5

Verdiente Einsamkeit

Edward Feathers, genannt Old Filth, ist ein sehr bescheidener Mann mit guten Manieren und einem gewissen Lifestyle. Er ist als so genannter Raj-Waise aus Malaysia von seinem Vater nach Großbritannien geschickt und dort von einer brutalen Pflegemutter großgezogen worden. Das hat Spuren hinterlassen. Er stotterte lange und hat Zeit seines Lebens das Gefühl Einsamkeit verdient zu haben. Als seine Frau Betty stirbt, zieht er Bilanz. Er sucht Kontakt zu Personen seines Lebens, die ein ähnliches Schicksal wie er erlitten haben, und macht sich auf zu einer Reise, sie zu besuchen. Im Großen und Ganzen handelt das Buch von dieser Reise und den Gesprächen, die sich um die Auffrischung der Erinnerung drehen. Dabei stehen die Auswirkungen kolonialen Lebens auf die Herrschenden, hier insbesondere um die Kinder im Zentrum. Um dem Missverständnis vorzubeugen, dem ich erlegen bin: Wir reisen nicht nach Malaysia zurück, sondern halten uns fast ausschließlich im Mutterland England auf. Dabei wechselt die Erzählung in den Zeiten. Die Sprünge in die Gegenwart beziehen sich auf die Vergangenheit doch war mir das oft zu schnell. Kaum hatte mich ein Dialog oder ein Ereignis gepackt, hüpfte man schon wieder in die andere Zeit. Ich hatte ständig das Gefühl, dass noch irgendetwas offen ist. Das Buch konnte mich in den ersten 2 Dritteln nicht packen, obwohl es leicht zu lesen ist. Auf den letzten 100 Seiten klärten sich aber viele Dinge auf und auf einmal wurde es interessant. Es fanden Begegnungen statt, die mich fesselten, Horizonte wurden erhellt und der dicke Stein, der auf Eddies Seele liegt, wurde auf einmal benannt. Und schwupp war das Buch fertig. Sprachlich gab es ein paar Hürden für mich zu überwinden. Vieles stand in Klammern, manche Sätze wurden nicht zu Ende gebracht, und einige Episoden waren sehr hektisch, während andere sehr langsam aus erzählt wurden. Es wurde aber immer der distanzierte und etwas altbackene Ton gewahrt, der für die feine Gesellschaft Großbritanniens typisch erscheint. Leicht zu lesen aber ist dirigistisch irgendwie nicht so mein Ding. Ob ich mit den beiden weiteren Teilen der Trilogie fortfahre, steht noch in den Sternen. Für Menschen, die gerne in diese Gesellschaftsschicht hinein lesen, ist das Buch vielleicht was

Ein untadeliger Mann
Ein untadeliger Mannvon Jane GardamHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12. Dez. 2023
Nett, aber mehr auch leider nicht.
Bewertung:3

Nett, aber mehr auch leider nicht.

In ein untadeliger Mann wird die Lebensgeschichte von dem dem damaligen Kronanwalt Edward Fethers erzählt . Da es im Roman viele Zeitsprünge und perspektivischen Wechsel gibt , ist es ziemlich schwer sich in die Geschichte hinein zu finden und ich musste dreimal von vorne beginnen. Wenn man dann aber einmal hineingefunden hat ist das Buch sehr abwechslungsreich und humorvoll. Ich würde es zwar nicht wieder lesen wollen, da das Thema nicht ganz meins ist, aber unterhaltsam war es doch alle mal.

Ein untadeliger Mann
Ein untadeliger Mannvon Jane GardamHanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG