23. Sept. 2022
Bewertung:3

Jens‘ Familie ist christlich, sie hat Verwandtschaftsbeziehungen in den Westen und er wächst daher nicht ganz unkritisch auf, schnappt immer wieder mal etwas bei den Erwachsenen auf. Seine Fahrt ins Ferienlager „Schneckenmühle“ beschreibt den Ferienalltag vieler Kinder in der DDR. Die Anzeichen des politischen Umbruchs werden zwar gezeigt, kommen aber in der Lebensrealität der Kinder nicht an. Es spricht auch kaum jemand darüber und wenn, weiß man auch nicht, was man davon halten soll. Daher verwundert es auch kaum, dass das Thema Republikflucht immer ein Randthema bleibt. Angesprochen, sofort wieder von Alltag abgelenkt und hier und da wieder aufblitzend. Auf mich machte das einen sehr realistischen Eindruck, anders habe ich es auch nicht erlebt. Das Buch liest sich wie eine lose Aneinanderreihung von Erlebnissen und Erinnerungen, durchsetzt von zeittypischen Redensarten und Songs, Namen von DDR-Produkten. Besonders zu Beginn wird Vieles episodenhaft angerissen und sofort wieder fallengelassen. Ein roter Handlungsfaden ist kaum zu erkennen. Mein erster Gedanke war: „Der Autor hat sich mit seinen Kumpels zusammengesetzt und ein Brainstorming gemacht, was alles in so ein DDR-Buch rein muss. Danach wurde die Liste einfach abgearbeitet.“ Der Eindruck hält sich leider durchgehend, erst zum Ende hin nimmt die Handlung an Zusammenhang und Tempo zu. Der Erzählstil ist sprunghaft, die Sätze kurz, manchmal wie abgebrochen, genauso wenig zu Ende gebracht wie die absatzweisen Einblicke in den Alltag. Trotzdem ist das Buch leicht zu lesen und die Aneinanderreihung hat auch den Effekt, dass man doch noch schnell den nächsten Absatz lesen möchte, um zu sehen, welche Erinnerung dieser wohl bereithält. „Schneckenmühle“ ist für mich ein Roman, der meine eigenen Erinnerungen wieder wachgerufen hat. Vieles aus dem Ferienlageralltag habe ich genau so erlebt und in Gedanken befand ich mich nicht in „Schneckenmühle“, sondern auf der „Rauschenburg“, meinem Ferienlager, in das ich noch bis 1990 sehr gern gefahren bin. Witzig fand ich, dass Jens genau wie ich ein Sprüchebuch hatte. In meinem fanden sich auch die Liedtexte zu typischen Ferienlagerliedern wieder, die auch die Mädchen in „Schneckenmühle“ sangen. Als kleine Zeitreise hat mir das Buch sehr gut gefallen, ich werde es noch einmal lesen, um meine eigenen Anmerkungen dran zuschreiben. Als Roman, sowohl von der Geschichte her als auch vom Erzählstil gefällt mir das Buch allerdings sehr wenig. © Tintenelfe www.tintenhain.de

Schneckenmühle
Schneckenmühlevon Jochen Schmidtbtb