14. Apr. 2024
Bewertung:5

Der Buchtitel klingt etwas apokalyptisch, aber so recht konnte ich gar nicht glauben, dass es hier um einen verbleibenden Überlebenden einer Pandemie geben sollte, als ich in der Bücherei blind zu diesem Werk griff. Der letzte Mann auf dem Kontinent ist Darius Kopp aus Berlin, und Berlin lebt und pulsiert. Kopp ist IT-Spezialist, Diplom-Ingenieur, in der DDR aufgewachsen, übergewichtig, phlegmatisch, unorganisiert, gelangweilt und mit einer großen Portion Faulheit ausgestattet. Wir dürfen ihn in diesem Buch eine Woche im Jahr 2008 durch sein Leben begleiten und zwar äußerst detailliert beschrieben, mit ständig wechselnden Innen- und Außenansichten, mit direkter und indirekter Rede sowie Klammervermerken, die die Gedanken in Worte während des Redens fassen. Das ist zunächst mal kein einfaches Buch. Man muss sich an diesen Stil gewöhnen. Insbesondere Freunde von handlungsorientierten Büchern dürfte es zu wenig Story sein. Doch anders wie bei anderen zeitgenössischen Romanen, die sich den Realismus als Stilmittel zuwenden, wirken die Beschreibungen von Kopps Handeln, Denken und Sagen nicht detailverliebt und zäh, sondern spöttisch, ironisch, aber auch kritisch und witzig. Kurz um, diese Art des Realismus hat mir z.B. wesentlich mehr Freude beim Lesen bereitet, wie z.B. bei einem Karl Ove Knausgård. Dieser Gesellschaftsroman befasst sich mit dem Thema „Der Mensch in einer globalisierten Welt“. Und da es sich für ein kleines amerikanisches IT-Unternehmen gehört, Ende der 00-Jahre weltweit präsent zu sein, braucht man auch einen Vertreter auf dem europäischen Festland. Und das ist Darius Kopp, alleine in seinem Büro in Berlin-Mitte in einer Art Co-Working-Space befindet er sich auf dem Stockwerk mit lauter anderen Einzelkämpfern aus anderen Branchen. In Kopps Arbeits- und Privatleben läuft es nicht gut. Der Arbeitgeber in London oder Kalifornien telefonisch nie zu erreichen, fühlt er sich wirklich wie ein letzter Überlebender seines Betriebs. Seine Frau ist genervt von seiner Unzuverlässigkeit, seine Freunde sind auch wie er nur Egozentriker und seine Mutter liegt im Heimatstädtchen im Krankenhaus. Eine Vielzahl von privaten Problemen zeigt, dass die globalen Probleme schnell in den Hintergrund treten, wenn das Hemd mit der Frühstücksmarmelade verkleckert ist oder die Mutter hypochondert. Und so gelingt es Kopp nicht, das Heft des Handeln zu übernehmen, sondern letztlich ist er nur ein Opfer der Umstände und ein Getriebener. Darius Kopp ist kein Sympathieträger, im Gegenteil: er ist ein Mensch, mit dem man eigentlich nichts zu tun haben will. Aber letztlich beschreibt Terezia Mora ihren Protagonisten so authentisch, dass seine vielen kleinen Fehler auch die unsrigen sein könnten. Nach dem Lektüre hat man den Wunsch, diesem Sozial- und Konnektivitätswahn zu entfliehen und sich autark auf das Land zurückzuziehen. Aber so leben wie Darius Kopp? Nein, Danke. Mittlerweile sind über 10 Jahre seit Erscheinen des Buchs vergangen und eigentlich ist mit dem mobilen Internet alles noch schlimmer (oder extremer? oder doch schöner geworden?). Der Schreibstil von Terezia Mora ist ein Genuss. Es war mein erstes Buch der ungarischen Schriftstellerin, aber bestimmt nicht das Letzte.

Der einzige Mann auf dem Kontinent
Der einzige Mann auf dem Kontinentvon Terézia Morabtb
23. Feb. 2024
Bewertung:5

Der Buchtitel klingt etwas apokalyptisch, aber so recht konnte ich gar nicht glauben, dass es hier um einen verbleibenden Überlebenden einer Pandemie geben sollte, als ich in der Bücherei blind zu diesem Werk griff. Der letzte Mann auf dem Kontinent ist Darius Kopp aus Berlin, und Berlin lebt und pulsiert. Kopp ist IT-Spezialist, Diplom-Ingenieur, in der DDR aufgewachsen, übergewichtig, phlegmatisch, unorganisiert, gelangweilt und mit einer großen Portion Faulheit ausgestattet. Wir dürfen ihn in diesem Buch eine Woche im Jahr 2008 durch sein Leben begleiten und zwar äußerst detailliert beschrieben, mit ständig wechselnden Innen- und Außenansichten, mit direkter und indirekter Rede sowie Klammervermerken, die die Gedanken in Worte während des Redens fassen. Das ist zunächst mal kein einfaches Buch. Man muss sich an diesen Stil gewöhnen. Insbesondere Freunde von handlungsorientierten Büchern dürfte es zu wenig Story sein. Doch anders wie bei anderen zeitgenössischen Romanen, die sich den Realismus als Stilmittel zuwenden, wirken die Beschreibungen von Kopps Handeln, Denken und Sagen nicht detailverliebt und zäh, sondern spöttisch, ironisch, aber auch kritisch und witzig. Kurz um, diese Art des Realismus hat mir z.B. wesentlich mehr Freude beim Lesen bereitet, wie z.B. bei einem Karl Ove Knausgård. Dieser Gesellschaftsroman befasst sich mit dem Thema „Der Mensch in einer globalisierten Welt“. Und da es sich für ein kleines amerikanisches IT-Unternehmen gehört, Ende der 00-Jahre weltweit präsent zu sein, braucht man auch einen Vertreter auf dem europäischen Festland. Und das ist Darius Kopp, alleine in seinem Büro in Berlin-Mitte in einer Art Co-Working-Space befindet er sich auf dem Stockwerk mit lauter anderen Einzelkämpfern aus anderen Branchen. In Kopps Arbeits- und Privatleben läuft es nicht gut. Der Arbeitgeber in London oder Kalifornien telefonisch nie zu erreichen, fühlt er sich wirklich wie ein letzter Überlebender seines Betriebs. Seine Frau ist genervt von seiner Unzuverlässigkeit, seine Freunde sind auch wie er nur Egozentriker und seine Mutter liegt im Heimatstädtchen im Krankenhaus. Eine Vielzahl von privaten Problemen zeigt, dass die globalen Probleme schnell in den Hintergrund treten, wenn das Hemd mit der Frühstücksmarmelade verkleckert ist oder die Mutter hypochondert. Und so gelingt es Kopp nicht, das Heft des Handeln zu übernehmen, sondern letztlich ist er nur ein Opfer der Umstände und ein Getriebener. Darius Kopp ist kein Sympathieträger, im Gegenteil: er ist ein Mensch, mit dem man eigentlich nichts zu tun haben will. Aber letztlich beschreibt Terezia Mora ihren Protagonisten so authentisch, dass seine vielen kleinen Fehler auch die unsrigen sein könnten. Nach dem Lektüre hat man den Wunsch, diesem Sozial- und Konnektivitätswahn zu entfliehen und sich autark auf das Land zurückzuziehen. Aber so leben wie Darius Kopp? Nein, Danke. Mittlerweile sind über 10 Jahre seit Erscheinen des Buchs vergangen und eigentlich ist mit dem mobilen Internet alles noch schlimmer (oder extremer? oder doch schöner geworden?). Der Schreibstil von Terezia Mora ist ein Genuss. Es war mein erstes Buch der ungarischen Schriftstellerin, aber bestimmt nicht das Letzte.

Der einzige Mann auf dem Kontinent
Der einzige Mann auf dem Kontinentvon Terézia Morabtb