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„Der kleine Freund“ las ich vor zehn Jahren und diese perfekt ausgefeilte und den Puls entschleunigende Geschichte, geht mir noch heute nicht aus dem Kopf. Viele Leser haben sich an dem Inhalt gestoßen, zwischen den Seiten gelangweilt und am Ende des Romans auf einen auflösenden Tusch gewartet, der in der Tat nicht kam. Haben sich verhoben an der Geschichte, deren Inhaltsangabe falsch interpretiert wurde. Denn „Der kleine Freund“ ist eine sehr ruhige Schreibe und wird wirklich nicht Jedermann’s Geschmack treffen. Das Buch ist eher Charakter- und Milieustudie als Krimi mit auflösendem Abschluß zu verstehen. Donna Tartt läßt sich mit dem Erzählen der Geschichte um die Familien Cleve und Ratliff sehr viel Zeit. Sie huscht nicht einfach über die Charaktere, nein, sie beschreibt ihr Leben. Es gibt nicht nur schwarz und weiß zwischen den Seiten, sondern auch die unterschiedlichen Grauzonen werden beleuchtet. Mit diesen ganz besonderen leisen Tönen und die Sprache der Autorin, die Bilder, Düfte und Empfindungen erwachen lassen. Wenn ich zwischen den Seiten mit Harriet und Hely auf dem Rad durch Alexandria fahre, auf der Suche nach dem Mörder meines Bruders und ich auf der Couch die Hitze der Wüste atmen kann und in einer schlaflosen Nacht die Grillen zirpen höre, dann bin ich in einem Roman gut aufgehoben. Als totale Außenseiterin, alleine, trotz Schwester Allison und Mutter Charlotte, die in ihrem Gram das eigene Leben und das der Kinder vergisst, findet Harriet Trost in Alleingängen und bei ihren verschobenen Tanten und Ida, der Haushälterin. Das Gegenstück der Geschichte, die Familie Ratliff, am absoluten Tiefpunkt der Sucht angelangt, spiegelt diese Randgruppe haargenau das Drogenmilieu der damaligen wie heutigen Zeit wider. Zumindest könnte ich es mir genauso vorstellen. Denn Donna Tartt kann, wie sie in dem gesamten Buch unter Beweis stellt, nicht nur schönen Situation Leben einhauchen. Sie gibt dem Gefährlichen ein Gesicht. Sie schreibt über Rassenhass, Drogensucht, Mord und heruntergekommenen Wohnsiedlungen samt ausgestorbenen Geschäftshäusern und ihrer vergessenen Einwohner. Wer hat Lust auf eine kleine Zeitreise in die 70er?