23. März 2025
Bewertung:3.5

Marcel Reich-Ranicki erzählt mit seiner Autobiografie „Mein Leben“ von seinem persönliches Schicksal und liefert gleichzeitig ein beeindruckendes Stück Zeitgeschichte. Wer sich für das 20. Jahrhundert interessiert – insbesondere für die deutsch-jüdische Geschichte, den Holocaust und das Nachkriegseuropa – bekommt hier eine eindrucksvolle Darstellung. Ich habe mich ziemlich schwer getan, rein zu kommen, und fand die Lektüre anstrengend und herausfordernd. Was das Buch stark macht, ist für mich weniger der Stil als der Inhalt: Reich-Ranicki erzählt von seiner Kindheit in Polen, der Zeit im Warschauer Ghetto, dem Überleben im Untergrund und seiner späteren Karriere in Deutschland. Diese Abschnitte sind bewegend, präzise und voller historischer Details – manchmal fast mehr Bericht als persönliche Erinnerung. Die Sprache des Autors ist klar, aber oft sehr nüchtern. Es wirkte auf mich, als bleibt er emotional meist auf Distanz. Besonders in den Kapiteln, in denen er über Literaturkritik, Autorenkollegen oder seine Arbeit beim Literarischen Quartett spricht, fand ich das Buch fordernd . Für Leserinnen und Leser, die mit den genannten Namen und Debatten nicht vertraut sind, könnte ich mir vorstellen, dass es hier sogar zu fordern werden könnte. Mein persönliches Fazit: „Mein Leben“ ist definitiv kein Buch für zwischendurch. Aber wer bereit ist, sich einzulesen, wird mit einem ehrlichen, detailreichen und historisch bedeutsamen Lebensbericht belohnt. Für mich kein Pageturner – aber ein Buch, das zum Nachdenken anregt.

Mein Leben
Mein Lebenvon Marcel Reich-RanickiDVA
16. Apr. 2024
Bewertung:5

Erst 50 Jahre nach seiner Flucht aus dem Warschauer Ghetto sah sich Marcel Reich-Ranicki in der Lage, seine Erlebnisse aufzuschreiben. Bewegend und vor allem beklemmend sind seine Schilderungen des Leidens der Warschauer Juden unter der Naziherrschaft und deren Maschinerie des Todes. Es ist kaum auszuhalten, diese sehr persönlichen Aufzeichnungen zu lesen. So tragisch die erste Hälfte des Buches, so heiter die zweite. MRR erzählt mit viel Witz von seinen Begegnungen mit praktisch allen wichtigen Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur, von seinen Tätigkeiten bei Zeit und FAZ, vom Historikerstreit usw. Fazit: Die zweite Hälfte des Buches kann, die erste muss man lesen.

Mein Leben
Mein Lebenvon Marcel Reich-RanickiDVA
14. Apr. 2024
Bewertung:5

Wenn man bei dem Namen Reich-Ranicki nur an einen stets graugekleideten älteren Herren, mit lispelnd-bellender Stimme denkt, der gerne polarisierte und stets Opfer von (meist schlechten) Imitatoren war, dann tut man dem Menschen Marcel Reich-Ranicki unrecht. Seine 1999 (also 14 Jahre vor seinem Tod) fertig gestellte Autobiografie fokussiert sich nämlich nicht hauptsächlich auf sein Leben als Literaturkritiker, sondern erzählt in der ersten Hälfte viel von seinen Jugendjahren. Ich habe seinen Rückblick sehr gemocht, auch wenn er größtenteils traurig war. In Polen geboren, in Berlin zur Schule gegangen (ohne familiären Rückhalt) und dann die Kriegsjahre im Warschauer Getto und später im Unterschlupf bei Bauern auf dem polnischen Land, waren die Stationen der ersten 25 Lebensjahre. Was für eine bewegende Lebensgeschichte, die schon damals von der Liebe zur Literatur und Musik geprägt war. Am wenigsten gefiel mir der Mittelteil, in dem MRR über seinen Start in der Bundesrepublik Ende der 50er Jahre berichtete. Er fühlte sich (auch als Jude) stets fremd in diesem Land. Hier stellt er in einigen Stellen seinen großen Narzissmus zur Schau und glänzte nicht gerade mit Bescheidenheit. So ein großes Ego will gestreichelt werden. Kostprobe: “Was habe ich aus dem Gespräch mit Anna Seghers gelernt? Daß die meisten Schriftsteller von der Literatur nicht mehr verstehen als die Vögel von der Ornithologie. Und dass sie am wenigsten imstande wären, ihre eigenen Werke beurteilen zu können. [...] Was der Autor sonst über sein Werk zu sagen hat, sollten wir nicht ignorieren, indes auch nicht sonderlich ernst nehmen.“ Es wird einem beim Lesen der Autobiografie oft klar, warum manche Schriftsteller/innen nicht gut auf ihn zu sprechen waren. Unbestritten hat er durch seine Medienpräsenz seit Beginn des Literarischen Quartetts im Jahr 1988 viel für die von ihm so sehr geliebte Literatur getan. So sehr charismatisch, ehrlich und kompromisslos er auch war, so sehr war aber auch machthungrig und wenig emphatisch. Wenn er z.B. im Kapitel über die Familie Mann detailliert über die Lieblosigkeit von Thomas Mann berichtet und wie sehr dessen Kinder unter ihm litten, wunderte es mich, dass MRR auch viel von Thomas Manns schlechten Eigenschaften für sich in Anspruch nahm. Sein Sohn Alexander Andrew, zu Lebzeiten geschätzter Professor der Mathematik in Edinburgh, erzählt auch nicht gerade von einer einfachen Jugend unter dem ehrgeizigen Vater. Gelobt wurde im Hause Reich-Ranicki nur selten. Man liebte MRR ja auch eher für seine Verrisse und nicht für seine Belobigungen. Interessanterweise hatte ich beim Lesen immer die markante Stimme Reich-Ranickis im Ohr. Das Buch ist sehr gut und interessant geschrieben. Absolute Leseempfehlung, selbst wenn man kein Anhänger Reich-Ranickis war und ist

Mein Leben
Mein Lebenvon Marcel Reich-RanickiDVA
23. Feb. 2024
Bewertung:5

Wenn man bei dem Namen Reich-Ranicki nur an einen stets graugekleideten älteren Herren, mit lispelnd-bellender Stimme denkt, der gerne polarisierte und stets Opfer von (meist schlechten) Imitatoren war, dann tut man dem Menschen Marcel Reich-Ranicki unrecht. Seine 1999 (also 14 Jahre vor seinem Tod) fertig gestellte Autobiografie fokussiert sich nämlich nicht hauptsächlich auf sein Leben als Literaturkritiker, sondern erzählt in der ersten Hälfte viel von seinen Jugendjahren. Ich habe seinen Rückblick sehr gemocht, auch wenn er größtenteils traurig war. In Polen geboren, in Berlin zur Schule gegangen (ohne familiären Rückhalt) und dann die Kriegsjahre im Warschauer Getto und später im Unterschlupf bei Bauern auf dem polnischen Land, waren die Stationen der ersten 25 Lebensjahre. Was für eine bewegende Lebensgeschichte, die schon damals von der Liebe zur Literatur und Musik geprägt war. Am wenigsten gefiel mir der Mittelteil, in dem MRR über seinen Start in der Bundesrepublik Ende der 50er Jahre berichtete. Er fühlte sich (auch als Jude) stets fremd in diesem Land. Hier stellt er in einigen Stellen seinen großen Narzissmus zur Schau und glänzte nicht gerade mit Bescheidenheit. So ein großes Ego will gestreichelt werden. Kostprobe: “Was habe ich aus dem Gespräch mit Anna Seghers gelernt? Daß die meisten Schriftsteller von der Literatur nicht mehr verstehen als die Vögel von der Ornithologie. Und dass sie am wenigsten imstande wären, ihre eigenen Werke beurteilen zu können. [...] Was der Autor sonst über sein Werk zu sagen hat, sollten wir nicht ignorieren, indes auch nicht sonderlich ernst nehmen.“ Es wird einem beim Lesen der Autobiografie oft klar, warum manche Schriftsteller/innen nicht gut auf ihn zu sprechen waren. Unbestritten hat er durch seine Medienpräsenz seit Beginn des Literarischen Quartetts im Jahr 1988 viel für die von ihm so sehr geliebte Literatur getan. So sehr charismatisch, ehrlich und kompromisslos er auch war, so sehr war aber auch machthungrig und wenig emphatisch. Wenn er z.B. im Kapitel über die Familie Mann detailliert über die Lieblosigkeit von Thomas Mann berichtet und wie sehr dessen Kinder unter ihm litten, wunderte es mich, dass MRR auch viel von Thomas Manns schlechten Eigenschaften für sich in Anspruch nahm. Sein Sohn Alexander Andrew, zu Lebzeiten geschätzter Professor der Mathematik in Edinburgh, erzählt auch nicht gerade von einer einfachen Jugend unter dem ehrgeizigen Vater. Gelobt wurde im Hause Reich-Ranicki nur selten. Man liebte MRR ja auch eher für seine Verrisse und nicht für seine Belobigungen. Interessanterweise hatte ich beim Lesen immer die markante Stimme Reich-Ranickis im Ohr. Das Buch ist sehr gut und interessant geschrieben. Absolute Leseempfehlung, selbst wenn man kein Anhänger Reich-Ranickis war und ist

Mein Leben
Mein Lebenvon Marcel Reich-RanickiDVA
28. Sept. 2022
Bewertung:5

Schon lange wollte ich Marcel Reich-Ranickis Autobiografie lesen, das Buch habe ich schon nach der Ausstrahlung der Verfilmung gekauft. Aber wie das nun mal so ist bei einem Monster-SuB, es hat lange dort gelegen und Deutschlands bekanntester Literaturkritiker ist inzwischen verstorben. Ich muss gestehen, dass ich das Literarische Quartett nicht sehr oft gesehen habe, ich war auch zu Beginn noch etwas jung dafür, doch ich mochte Reich-Ranicki immer, mit seiner streitbaren, charakteristischen Art hat er mich oft zum Schmunzeln gebracht. Außerdem war mir sein Down-to-earth-Standpunkt zur Literatur und seine Überzeugung, dass Literaturkritik auch verständlich und lesbar sein muss, sehr sympathisch. Dass Marcel Reich-Ranicki Jude war und das Warschauer Getto überlebt hat, hat man immer mal wieder gelesen, doch mehr über seine dramatischen Erlebnisse wusste ich nicht, bis zu dem schon genannten Film. Das Buch ist in fünf Teile bzw. Lebensabschnitte gegliedert, der erste Teil beschäftigt sich mit seiner Kindheit und Jugend in Polen und dann Berlin unter dem Aufstieg des Nationalsozialismus. Doch springt Reich-Ranicki dabei durchaus in der Geschichte nach vorne, wenn es das jeweilige Thema gerade sinnvoll macht, etwa in dem Kapitel über seine Beziehung zu Erich Kästner, das mich sehr bewegt hat und mich gleich dazu veranlasst hat, mir eine Ausgabe des von ihm und seiner Frau Teofila zusammengestellten Gedichtbandes zu besorgen. Im zweiten Teil schildert Reich-Ranicki sein Leben und seine Flucht aus dem Warschauer Getto. Ich muss nicht sagen, dass dieser Teil der bewegendste, erschütterndste ist. Mir kamen öfter die Tränen, etwa als die Abtransporte ins Vernichtungslager Treblinka beschrieben werden, an deren Ende der sofortige Tod stand, auch für Reich-Ranickis Eltern. In den verbleibenden Teilen geht es um Reich-Ranickis Zeit in Polen, seine Rückkehr nach Deutschland und seine weitere Karriere sowie sein Verhältnis zu verschiedenen Autoren und Kollegen. Ich fand es sehr schlimm, wie Freundschaften dabei zerbrachen, vor allem die Freundschaft zu Walter Jens. Viele Autoren zeichnen sich leider auch durch mangelnde Kritikfähigkeit aus, aber Reich-Ranickis vermeidet Beschuldigungen, äußert sich auch durchaus teilweise positiv über Martin Walser, trotz “Tod eines Kritikers” und seiner Rede im Rahmen des Historikerstreits. Schockiert hat mich gerade die Geschichte dieses Historikerstreits und Joachim Fests Beteiligung daran. Dessen Hitler-Biografie steht auch bei mir im Regal, wenn ich mich auch noch nicht an das 1200 Seiten starke Werk gewagt habe. (Sie bleibt auch auf meiner Leseliste, denn Reich-Ranicki nennt es ein “in jeder Hinsicht gewichtiges Werk”.) Auch die “Anekdote” über den “dunklen Ehrengast” bei der Veröffentlichung dieses Buchs hat mich schockiert. Ich kann euch nur empfehlen, diese Autiobiografie eines so faszinierenden Zeitzeugen, wie Reich-Ranicki es war, zu lesen. Man erfährt nicht nur viel über das Leben eines Juden während und nach der Nazidiktatur, sondern auch über viele renommierte deutschsprachige Schriftsteller. Reich-Ranickis Begeisterung für die Literatur, das Theater und die Musik sind einfach mitreißend. Sprachlich bleibt Reich-Ranicki in seiner Autobiografie seinen Prinzipien treu: anspruchsvoll, aber gut und flüssig lesbar. Auf einer der letzten Seiten beschreibt Marcel Reich-Ranicki, was ihm Willy Brandts Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer Gettos bedeutete: “Damals wußte ich, daß ich ihm bis zum Ende meines Lebens dankbar sein werde.” Ich wiederum bin Marcel Reich-Ranicki unendlich dankbar dafür, dass er nach seinen schrecklichen Erfahrungen nach Deutschland, das Land, dessen Literatur er liebte, zurückgekehrt ist und unser Land bereichert hat.

Mein Leben
Mein Lebenvon Marcel Reich-RanickiDVA