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Bereichernder Blick auf Kafkas Arbeit als Schriftsteller ✍️📝🫶📚😻

„Kafkas Werkstatt“ ist 2024 bei C.H. Beck erschienen. Der Literaturwissenschaftler Andreas Kilcher beschreibt den Prager Autor in seiner Studie „Kafkas Werkstatt“ als wandelndes Textverarbeitungssystem. Und interpretiert Kafkas kleine Geschichte über Odradek als Hallraum der großen zeitgenössischen Diskurse. Er räumt mit dem Irrglauben auf, dass Autoren ihre Geschichten einfach so erfinden:„Bücher entstehen aus Büchern. Literatur aus Literatur“. Kafkas Schreibprozess beruhte und gründete sich aus diversen Lektüren. Kilcher möchte… „… einem Kafka-Bild widersprechen, das sein Schreiben als schwierige, einsame und geniale Geburt eines Einzelgängers jenseits aller Kontexte versteht (…). Dagegen richtet das Verständnis von Kafkas Texten als Hypertexten den Blick auf die direkte sowie auch indirekte Verarbeitung von Gelesenem. Kafkas Texte erweisen sich dann förmlich als „Krypto-Konferenzen“, als mehr oder weniger verdeckte „Lektüreprotokolle“.“ Wer glaubt eigentlich noch ernsthaft an das Bild des einsame Genies Franz Kafka?Die Kafka Forschung beschäftigt sich schon lange mit zahlreichen Kontexten zu seinen Werken. Der Schreibstil Kafkas ist für mich auch fernab des „Protokollstils“. Seine Methode zeigt uns Kilcher mithilfe Kafkas anderthalbseitiger Kurzgeschichte „Die Sorge des Hausvaters“. Die Handlung erzählt von einem kleinen, im Treppenhaus herumhuschenden Wesen, das aus Spulen, Fäden und Hölzchen zusammengesetzt ist und sich selbst „Odradek“ nennt. Stets ärgert es den „Hausvater“ aber führt sonst zu keinerlei Schaden, selbiger pikiert sich nur fortlaufend über dessen wenig sinnhafte, überflüssige Existenz. Kilcher demonstriert uns, mit welchen Themen sich Kafka als Intellektueller auseinandersetzte: Marxismus, Psychoanalyse, Okkultismus und Zionismus. Für mich selbst am aufschlussreichsten war das Kapitel über den Zionismus, der Kafka umtrieb und mit dem er sich beschäftigte. Er wollte nach Palästina auswandern und lernte Hebräisch. Man könnte Odradek demzufolge interpretieren als Verkörperung der jüdischen Selbstkritik am Diaspora-Judentum: „All die negativen Bestimmungen des Diaspora, die im zionistischen Diskurs auf zahlreichen publizistischen Kanälen zirkulierten, erscheinen in der Figur Odradeks kongenial verdichtet und verflochten: Odradek ist nicht kohärent, sondern ‚verfitzt‘, nicht verwurzelt, sondern ‚von unbestimmtem Wohnsitz‘, nicht tätig und produktiv, sondern untätig und zwecklos. Odradek ist mithin die syndromartige Ausgestaltung all dessen, was dem Zionismus am eigenen Judentum so unheimlich geworden war.“ „Kafkas Werkstatt“ begründet sich auf Jahrzehnte der Auseinandersetzung mit Kafka und seinen Einflüssen. Ich fand den Blick auf Kafkas Arbeit, den uns Kilcher verschafft, absolut bereichernd.

Kafkas Werkstatt
Kafkas Werkstattvon Andreas KilcherC.H.Beck