
Neuguinea, Anfang der 1930er Jahre: Nell Stone befindet sich gerade am Ende einer Forschungsreise mit ihrem Mann Fen, als sie auf den Briten Andrew Bankson treffen. Dieser überredet sie, das letzte Halbe Jahr ihrer Reise in seinem Forschungsgebiet am Strom Sepik zu verbringen. Nell und Bankson fühlen sich sofort zueinander hingezogen, sowohl körperlich, als auch intellektuell. Trotz der Arbeit bei verschiedenen Stämmen entsteht eine gefährliche Dreiecksbeziehung, die in einer Katastrophe enden wird. Der Titel "Euphoria" von Lily Kings Roman fängt die anfängliche Stimmung zwischen Nell, Fen und Bankson sehr gut ein: Euphorisch tauschen sich die drei Ethnolog*innen aus, erarbeiten neue Forschungsansätze und kommen sich dabei immer näher. Nell ist bereits eine angesehene und bekannte Wissenschaftlerin, was ihrem Mann Fen sehr zusetzt, der bislang den großen Durchbruch noch nicht geschafft hat und es nicht aushält, im Schatten (s)einer Frau zu stehen. Bankson hingegen steckt in einer intellektuellen Flaute, er ist depressiv und hat kurz vor dem Zusammentreffen der drei einen Selbstmordversuch hinter sich. Lily King erzählt ihren Roman in eher nüchternem, unsentimentalen Ton aus Banksons Sicht und anhand von Tagebucheinträgen Nells, was für mich einen besonderen Reiz ausmacht. Während Nell den Forschungsansatz verfolgt, dass Geschlechterrollen erlernt, und nicht angeboren sind, steht Fen für die problematischen Aspekte der Ethnologie - er ist eine durch und durch unsympathische, grausame Figur. Inspiriert wurde Lily King zu diesem Roman durch eine Biographie der Ethnologin Margaret Mead, die sie sich eher zufällig bei einem Buchhandlungsbesuch schnappte. Für mich ist "Euphoria" ein ausgesprochen faszinierendes Buch über Macht und Missbrauch, über Freundschaft und Liebe, über das ich noch lange nachdenken werde. Wer "Das Volk der Bäume" von von Hanya Yanagihara gerne mochte, sollte "Euphoria" auch lesen! Übersetzt von Sabine Roth.