Hallt lange nach „Mysteriöser Tod im katholischen Kinderheim im Nachkriegsholland“ – spannend, dachte ich und nahm an einer Leserunde zu „Staub zu Staub“ von Felix Weber (Pseudonym eines holländischen Thrillerautors) teil. Nun, spannend war es definitiv. Für Hardcore-Krimileser (zu denen ich definitiv NICHT gehöre) kam die Spannung und die Krimihandlung vielleicht ein wenig zu kurz. Aber die Frage ist eh: Wo fängt Spannung an und wo hört ein Krimi auf? Da wird jede*r eine eigene Definition finden – und das ist auch gut so. Diversität regt die Diskussion an. Als an Siem Coburg, ein ehemaliger und abgehalfterter Widerstandskämpfer in Holland, die Bitte herangetragen wird, den mysteriösen Tod des Enkels eines ihm bekannten Bauern zu klären, ahnt er (und die geneigte Leserschaft) noch nicht, worauf er sich da einlässt… Siem und die Leser*innen tauchen immer mehr in die/ seine (nahe) Vergangenheit ein. Dabei erfährt die geneigte Leserschaft einiges über den holländischen Widerstandskampf gegen den Naziterror; ein düsteres Kapitel – ebenso wie über die (durchaus kriminellen) Machenschaften des Abtes in dem katholischen Kinderheim, in dem Siem als Reporter getarnt „ermittelt“. Auch erfahren die Leserinnen und Leser aus dem (fiktiven) Tagebuch eines Klosterbruders über dessen Einsatz im Ersten Weltkrieg und die daraus resultierenden traumatischen und psychischen Störungen. Diese Tagebucheinträge sind dermaßen bildlich geschrieben, dass ich beim Lesen eine ziemlich dicke Gänsehaut bekommen habe. Noch eindringlicher waren (und sind) für mich jedoch die Schilderungen rund um die teilweise unmenschliche Behandlung der Kinder in dem katholischen Kloster. Leider gab es diese Behandlung nicht nur in katholischen, sondern auch in evangelischen Einrichtungen… Siem Coburg ist ein Charakter, der einem nicht automatisch sympathisch ist, der einen aber trotzdem nicht „kalt“ lässt. So pendelt man als Leser*in zwischen Akzeptanz und Kopfschütteln für sein Handeln während und nach dem Krieg. Im Anhang des Buches erfährt die geneigte Leserschaft dann noch etwas über die realen „Hintergründe“ der Story; ebenso gibt es ein mehrseitiges Glossar mit näheren Informationen zu in der Handlung vorkommenden Begrifflichkeiten und Personen. Die zunächst verwirrenden Zeitsprünge in der Handlung sind zwar bis zum Ende zugegen, aber ich habe mich irgendwann daran gewöhnt und konnte sie gut einordnen. Da ich nicht mit besonderen bzw. keinen Ansprüchen an das Buch herangegangen bin und ich weder richtig enttäuscht noch komplett begeistert bin, ich aber trotzdem weiterhin über das Buch und den Inhalt nachdenken muss, öffne ich das Rezensionssternesäckchen, entlasse 4 von ihnen in die Freiheit und gebe somit eine Leseempfehlung ab. ©kingofmusic
Niederlande, 1949 Der ehemalige Widerstandskämpfer Siem Coburg, gebrochen vom tragischen Tod seiner großen Liebe Rosa, lebt in selbstgewählter Isolation auf einem heruntergekommenen Hausboot. Dennoch schickt er sich an, ins Leben zurückzukehren, um eine Ehrenschuld zu begleichen. Im Krieg ging der alte Bauer Tammens ein immenses persönliches Risiko ein, um Coburg das Leben zu retten, wobei vor allem das Kreischen seines Enkels Siebold die “Moffen” (Deutschen) in die Flucht schlug. Doch nun muss Tammens Coburg darum bitten, Siebolds Tod aufzuklären… Der behinderte Junge kam unter fragwürdigen Umständen im Heim eines Klosters ums Leben, und Tammens will wenigstens Klarheit, wenn nicht Gerechtigkeit. Coburg muss in seinen Ermittlungen jedoch schnell feststellen, dass Siebolds Tod nicht das einzige mysteriöse Vorkommnis mit Todesfolge in diesem Heim war. “Staub zu Staub” zeichnet ein ungeschöntes, beklemmend düsteres Bild der letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit rund um das Jahr 1949 in den Niederlanden. Der Fokus liegt auf den Erlebnissen des Widerstandskämpfers Siem Coburg – ein schwieriger, indes interessanter Charakter voller moralischer Graustufen. Man kann seine Motivation und seine Gefühle durchaus verstehen, seine Gewaltbereitschaft ist dennoch erschreckend. Die Geschichte wird durch die Perspektiven diverser anderer Charaktere abgerundet. Viele davon bleiben über weite Strecken ambivalent und rätselhaft, dem Leser wird es nicht einfach gemacht, sie zu verstehen, geschweige denn als Identifikationsfiguren zu sehen. Man spürt aber immer eine gewisse Komplexität, und keine der handelnden Figuren wird platt vereinfacht. Hier wird eine Zeit dargestellt, die die Menschen an ihre Grenzen und darüber hinaus brachte, im Guten wie im Schlechten, und der Autor gibt beidem in der Darstellung seiner Charaktere Raum. Für mich handelt es sich nur unter Vorbehalt um einen Krimi. Eher sehe ich es als zeitgeschichtlichen Roman mit Krimielementen – damit möchte ich ihm die Spannung allerdings nicht absprechen! Das Buch ist auf seine ganz eigene Art fesselnd, und dabei originell, intelligent und flüssig geschrieben. Die Handlung teilt sich auf verschiedene Zeitebenen und Orte auf und springt zwischen diesen oft recht abrupt hin und her. Gerade anfangs ist es dadurch nicht immer einfach, sich zu orientieren: was passiert in welcher Reihenfolge und wo, wer ist involviert? Kann man anfangs das Gesamtbild höchstens erahnen, fügen sich die Splitter der Handlung nach und nach immer mehr zusammen. Daher sollte man nicht zu schnell aufgeben, wenn man erst Schwierigkeiten hat! Herausfordernd, aber lohnend, ist auch die schiere Anzahl der verarbeiteten Themen. Dabei eröffnen manche der Charaktere eigene Handlungsstränge, die erst nicht unbedingt zusammenlaufen mit den Erlebnissen von Coburg, aber später meist doch eine Rolle für dessen Ermittlungen spielen. Heime für behinderte Kinder in der NS-Zeit? Immer, wenn ich ein Buch lese oder einen Dokumentarfilm sehe, in denen die Zustände in Kinderheimen der Vergangenheit beschrieben werden, besonders solchen, die Kinder mit Behinderungen aufnahmen, fühle ich mich wieder schockiert und angeekelt – nicht von den Kindern, sondern von den Umständen, in denen sie leben mussten. Felix Weber zeigt diese Lebensumstände ohne Weichzeichner, aber auch ohne Dämonisierung der Schuldigen, die zum Teil (!) einfach unwissend und überfordert sind. Er verwendet Ausdrücke wie “Schwachsinnige”, was mich bei einer Geschichte, die in der heutigen Zeit spielt, enorm stören würde. Hier spricht meines Erachtens jedoch nicht der Autor als Person, sondern er lässt die Charaktere der Zeit sprechen. Würden heutige Ausdrücke verwendet, würde das meines Erachtens der Authentizität der Geschichte schaden – und damit dem Leser auch weniger deutlich machen, wie entsetzlich damals mit diesen Kindern umgegangen wurde, zum Teil mit besten Absichten. Im letzten Teil des Buches gibt es einige überraschende Entwicklungen. Diese werden allerdings nur zum Teil vollkommen aufgeklärt. Das Ende ist meines Erachtens etwas schwach – es bleibt in vielem zu schwammig und unentschlossen, sowohl als Krimi als auch als historischer Roman. Für mich wird damit aus einem herausragendem Buch eines, das mit leichten Abstrichen immer noch sehr lesenswert ist. Fazit Niederlande, 1949: Der ehemalige Widerstandskämpfer Siem Coburg wird von dem Mann, der ihn im Krieg versteckte und damit sein Leben rettete, gebeten, den Tod seines Enkels aufzuklären, der in einem christlichen Heim ums Leben kam. Schnell eröffnen sich wahre Abgründe. Fangen wir mit dem Ende an: das fand ich schwach, den Rest des Buches dafür aber originell, intelligent, vielschichtig und gut geschrieben. Man muss sich in den ersten Kapiteln erst daran gewöhnen, dass die Geschichte ohne Vorwarnung durch Zeiten und zwischen Charakteren und Orten springt, aber in meinen Augen lohnt sich die Mühe. Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog: https://wordpress.mikkaliest.de/rezension-felix-weber-staub-zu-staub/
wenn man ein Buch lesen möchte, aber so gar nicht reinkommt... leider