
»Ach, wir glauben, dass es in der Welt fröhlich zugeht, weil alles Glück zum Licht drängt; weil das Elend sich aber im Dunkeln verbirgt, glauben wir, dass es kein Elend gibt.«
Geschildert wird eine Amtsstube eines Notars an der Wall Street und dessen Schreibern, die alle als Figuren mit Eigenarten geschildert werden. Doch keiner, nicht der nur vormittags leistungsfähige Turkey, nicht der ehrgeizige und unter Verdauungsproblemen leidende Nippers und schon gar nicht der minderjährige Ginger Nut sind so interessant wie Bartleby, der Schreiber, der seinem Job tadellos und mit großem Ehrgeiz nachkommt, aber alle anderen Tätigkeiten, wie das Abgleichen seiner Abschriften, mit den Worten „Ich möchte lieber nicht“ vehement ablehnt. Dabei lässt er sich auf keine Diskussion ein, sondern beharrt wiederholend auf seinem Ausspruch. Irgendwann hört er sogar mit seiner eigentlichen Arbeit auf. Trotz allem bleibt der Notar geduldig und gutmütig, obwohl Bartleby sich Sachen herausnimmt, die er bei keinem anderen geduldet hätte. Ist Bartleby‘s Verhalten also eine Revolution im Stillen, eine friedliche Verweigerung? Im beigefügten Essay „Vom Drang, das Rätsel zu lösen“ des Übersetzers Karl-Heinz Ott werden verschiedene Ansätze zur Deutung dargelegt und die Ähnlichkeit zu Kafkas Werk dargelegt, was durchaus einleuchtend ist, da die Situation mit Bartleby für den Notar schier ausweglos erscheint. Ganz egal, was er macht, ob er ihm mit Mitgefühl oder Entschlossenheit entgegnet, Bartleby möchte lieber nichts. Besonders die genaue, nicht selten zum Schmunzeln animierende Zeichnung der Figuren und die stilvolle Sprache haben dazu geführt, dass ich diesen dünnen Klassiker mit Freude gelesen habe. Umso erstaunter war ich, dass dieser Text – 1853 in einer Zeitschrift veröffentlicht – erstmals 1946 auf Deutsch erschienen ist und noch später überhaupt Anerkennung gefunden hat und trotz dessen über 150 Jahre, immer noch – oder jetzt erst recht – aktuell ist. Von mir eine große Empfehlung für diese Erzählung!