Nebeneinander von Schwarz und Weiß als unentbehrlicher Wert in der Welt?! 🖤🤍
Teju Cole, geboren 1975 in den USA, wuchs in Nigeria auf und kehrte zum Studieren in die USA zurück. Der Schriftsteller, Kunsthistoriker und Fotograf lebt heute in New York, lehrt dort als Distinguished Writer in Residence am Bard College, schreibt für verschiedene Zeitschriften und ist Fotografie-Kritiker beim „New York Time Magazine“. Teju Cole folgt einer Einladung in das Schweizer Bergdorf Leukerbad, wo der US-Autor James Baldwin seinen ersten Roman beendete. 60 Jahre später begibt sich Cole auf Baldwins Spuren und geht dessen Erfahrungen als erster Schwarzer im Essay „Fremder im Dorf“ nach. Anders als für Baldwin sind für Teju Cole amerikanische Identität und europäische Kultur keine Gegensätze mehr. Cole definiert sich als Weltbürger. „Ich nenne das alles mit Freuden mein. (…) Ich kann gegen weiße Vorherrschaft sein und mich trotzdem für die gotische Baukunst begeistern.“ Cole arbeitet Unterschiede und neue Denkansätze für die Gegenwart heraus. „Die gleiche schwelende Wut über Rassismus im Leib“ Ob er Baldwins schonungslose Analyse über Rassismus und weiße Vorherrschaft in ihren Schlussfolgerungen teilen kann, ist Gegenstand seines Besuchs vor Ort in Leukerbad, das heute ein stolzes Kurbad mit internationalen Gästen ist. „Und doch verstehe ich, der ich fast ein halbes Jahrhundert nach Baldwin in den USA geboren wurde, was ihn bewegte, denn ich habe die gleiche schwelende Wut über Rassismus im Leib.“ Dann beginnt Cole zu überlegen, was ihn mit Baldwin einerseits verbindet und was sie andererseits trennt. Seine Gedanken bringen ihn zum Verhältnis von afroamerikanischen und „weißen“ Kulturleistungen, er registriert, wie Baldwin sich seinerzeit noch von der weißen Kultur ausgeschlossen fühlte, während Cole nüchtern festhält: „Ich kann gegen weiße Vorherrschaft sein und mich trotzdem für die gotische Baukunst begeistern.“ Zugleich ist er sich völlig im Klaren darüber, dass er von Weißen zuallererst als „schwarzer Körper“ wahrgenommen wird. Ob in der Pizzeria in Leukerbad oder in New York. Seinen Essay „Fremder im Dorf“ schrieb James Baldwin 1955 in Leukerbad. Die Mutter seines Freundes hatte ihm ihr dortiges Chalet zur Verfügung gestellt. Mit einer Schreibmaschine im Gepäck zog der schwarze New Yorker mit Pariser Adresse in das Thermalbad: „Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, hatte vor mir kein schwarzer Mann dieses kleine Dorf in der Schweiz jemals betreten.“ So beginnt Baldwin seinen Essay, der vor zehn Jahren erstmals in deutscher Übersetzung erschienen ist. Der Essay hat manche Autoren, Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, wie auch Teju Cole veranlasst, den beschwerlichen Weg nach Leukerbad auf sich zu nehmen oder darüber nachzudenken, ob dieser Ort, dieses Haus und das, was einst darin entstand, heute immer noch so viel zu bedeuten haben wie damals, als ein junger James Baldwin mit Norwegerpulli, Zigarette und erhobenem Haupt durch die Gassen ging, die Treppen in die enge Wohnung eines Freundes hochstieg und dort die ersten Worte seines Essays in die Schreibmaschine hämmerte. Das Nachdenken im Schweizer Dorf über den Zorn und Hass, die Überlegenheit einer (weißen) Mehrheit und ihre Furcht, Privilegien und Status zu verlieren, führen James Baldwin zurück in seine Heimatstadt New York und seine Existenz als schwarzer Bürger der USA. „Die Wurzel des amerikanischen Rassenproblems liegt in der Notwendigkeit, dass der weiße Amerikaner eine Möglichkeit finden muss, mit den Schwarzen zusammenzuleben, um mit sich selbst zusammenleben zu können. (…) Das daraus resultierende Spektakel, albern und schrecklich zugleich, veranlasst jemanden zu dem durchaus zutreffenden Ausspruch, Schwarzer in Amerika sei eine Form von Wahnsinn, die den Weißen ereilt“. Wem fielen bei diesem Bild nicht die Erstürmung des Kapitols oder polizeiliche Jagdszenen gegen unbewaffnete Schwarze ein. Und so schreibt denn auch James Baldwin vor über einem halben Jahrhundert: „In dieser langen Schlacht, die noch keineswegs beendet ist und deren unvorhersehbare Folge noch vielen zukünftigen Generationen zu schaffen machen werden, ging es dem weißen Mann darum, seine Identität zu schützen; der Schwarze hingegen musste sich seine Identität erst schaffen.“ Diese Kämpfe um Identität sind weder in den USA noch in Europa abgeschlossen, entfachen immer wieder Wut und Zorn, auch Radikalitäten und geschichtslose Ausgrenzungen, wie die Forderung schwarzer Studierender, weiße europäische Denker von Platon bis Kant aus universitären Lehrplänen zu streichen. Im Schweizer Dorf Leukerbad hoffte James Baldwin damals auf einen neuen Schwarzen und einen neuen Weißen. „Vielleicht erweist sich diese Erfahrung eines Nebeneinanders von Schwarz und Weiß eines Tages als unentbehrlicher Wert in der Welt, vor der wir heute stehen. Eine Welt, die nicht mehr weiß ist und es nie wieder sein wird.“ Was für ein Schlusssatz.