Stalin-Russland war kein Spaß, das wissen wir alle. Was die Diktatur aber mit den Menschen angerichtet hat, welches Leid es verursacht hat, das erzählt Sasha Filipenko beispielhaft und – insbesondere für russische Verhältnisse – sehr rasant in seinem Roman „Rote Kreuze“, der gerade in die deutsche Sprache übersetzt im Diogenes-Verlag erschienen ist. Erzählt wird die Geschichte von Tatjana Alexejewna, die sich ihrem neuen Nachbarn, dem jungen Alexander anvertraut. Tatjana ist 90 Jahre alt und hat Alzheimer „Weil Gott Angst hat vor mir.“ Warum Gott vor ihr Angst hat? Das werden wir im Lauf der Geschichte noch erfahren – wie so vieles anderes, was sie am Anfang des Buches Alexander gegenüber andeutet. Anfangs wurde ich etwas überrumpelt. Bei russischer Literatur erwarte ich einen eher gemächlichen Einstieg und einen eher langsamen Erzählfluss. Sasha Filipenko dagegen kommt umgehend zur Sache – und legt bis zum Ende seines Romans ein ausgesprochen rasantes Tempo hin. Kein Wunder also, dass er es schafft, Stalin-Russland und die Umbrüche danach, in einem Roman von gerade einmal 288 Seiten unterzubringen – und das auch noch, ohne den Leser*innen allzu große Lücken zuzumuten. Im Gegenteil: Natürlich versammelt sich in Tatjanas Lebensgeschichte außerordentlich viel Leid. Und doch ist es realistisch genug erzählt, um die Leser*innen zu packen, sie mitleiden zu lassen – obwohl Tatjana gar nicht Mitleid heischend erzählt -, ihnen das Unfassbare näher zu bringen. Vor allem aber schafft es Filipenko, die Grausamkeit des Regimes herauszuarbeiten und gleichzeitig aufzuzeigen, was das Wissen um die Grausamkeit bei der Bevölkerung bewirkte. Mir gefiel Filipenkos Roman sehr. Ich mochte das Tempo – ich habe das Buch binnen eines Nachmittages gelesen -, das Thema und Tatjana, die ihr Leben auf eine Weise meisterte, die für mich nachvollziehbar erzählt wurde. Tatjana ist eine dieser Figuren, wie es sie wohl nur in Romanen geben kann, die aber gleichzeitig eine ganz reale Faszination auf mich ausüben und eine gewisse Vorbildfunktion übernehmen können. „Rote Kreuze“ basiert auf ganz realen Ereignissen und insbesondere einige Dokumente, die im Roman zitiert wurden, sind so unfassbar, dass ich anfangs dachte, sie seien vom Autor erdacht worden. Leider ist dem aber nicht so. Die im Roman zitierten Dokumente existieren tatsächlich. Es ist schrecklich! Umso schöner, dass Filipenko es schaffte, sie so in seinen Roman zu integrieren, dass sie ihre Wirkung voll entfalten können, ohne das Filipenko den Moralapostel spielt oder permanent mit erhobenem Zeigefinger erzählt. „Rote Kreuze“ hat mich mitgerissen, ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, als ich erst einmal mit der Lektüre begonnen hatte. Keine einzige Stelle, kein einziger Abschnitt ist zäh, die Geschichte spannend, der Schreibstil knapp und doch bildhaft schön. Das einzige, was mich persönlich ein bisschen gestört hat, ist die mir viel zu schnell entstehende Beziehung zwischen Sascha und Lera, einer weiteren Nachbarin (in Sashas Alter). Da war mir Filipenko dann doch ein bisschen zu rasant. Und auch Sashas Geschichte – so tragisch sie auch sein mag – war mir ein bisschen zu viel des Guten. Trotzdem: Am Ende bleibt ein fesselnder Roman über die dunkelste Zeit russischer Geschichte, den es sich zu lesen lohnt. Kaufen und lesen!
Sehr interessant 😍 musste nur manchmal eine Seite nochmal lesen, weil ich auf Anhieb nicht ganz gecheckt habe, wer wer ist 😅
Rasante Lebensgeschichte in Zeiten des Stalin-Terrors - Ergreifend und schonungslos.
Ziemlich dick aufgetragene Erinnerungsliteratur. Es geht um die Gräueltaten des Stalinismus, erzählt durch die von Alzheimer getrübte Erinnerung einer 91jährigen Weißrussin in Minsk. Das Buch krankt nach meinem Empfinden an der generellen Schwäche historischer Romane, auch wenn die Rahmenhandlung zu Beginn dieses Jahrhunderts spielt. Die Geschichte ist nämlich gut recherchiert und mit Zeitdokumenten belegt, aber sie liest sich wie eine chronologische Abhandlung des Schreckens. Dadurch wird man mit Informationen umfangreich versorgt, aber was es tatsächlich bedeutet, in einem System voller Angst zu leben, kann der Autor nicht vermitteln. Der junge Protagonist Alexander trifft nach seinem Umzug nach Minsk in seinem Mehrfamilienhaus auf die senile Nachbarin Tatjana, die ihn quasi auf dem Hausflur mit ihrer Lebensgeschichte unter Stalin überrumpelt. Die Figuren sind an dieser Stelle schon sehr überzeichnet, Alexander überaus arrogant, Tatjana überaus aufdringlich. Und wenn doch die tragische Geschichte von Tatjana nicht schon ausreichend genug wäre, so packt der Autor seinem Alexander auch nach eine durch Tod und Verzweiflung geprägte Liebesgeschichte oben drauf. Völlig unnötig. Derlei bekümmert fliegt man über die Schicksalsschläge der Beiden hinweg, die sich wie eine Einkaufsliste aus dem Betroffenheitsmarkt lesen. Mir blieben die Figuren daher zu sehr auf Distanz. Das Buch löste keinen Widerhall in mir aus und wird bald in Vergessenheit geraten. Filipenko hat diese Tendenzen schon in „Der ehemalige Sohn“ gezeigt. Wahrscheinlich ist es einfach nicht die Literatur, die mich anspricht.
Ziemlich dick aufgetragene Erinnerungsliteratur. Es geht um die Gräueltaten des Stalinismus, erzählt durch die von Alzheimer getrübte Erinnerung einer 91jährigen Weißrussin in Minsk. Das Buch krankt nach meinem Empfinden an der generellen Schwäche historischer Romane, auch wenn die Rahmenhandlung zu Beginn dieses Jahrhunderts spielt. Die Geschichte ist nämlich gut recherchiert und mit Zeitdokumenten belegt, aber sie liest sich wie eine chronologische Abhandlung des Schreckens. Dadurch wird man mit Informationen umfangreich versorgt, aber was es tatsächlich bedeutet, in einem System voller Angst zu leben, kann der Autor nicht vermitteln. Der junge Protagonist Alexander trifft nach seinem Umzug nach Minsk in seinem Mehrfamilienhaus auf die senile Nachbarin Tatjana, die ihn quasi auf dem Hausflur mit ihrer Lebensgeschichte unter Stalin überrumpelt. Die Figuren sind an dieser Stelle schon sehr überzeichnet, Alexander überaus arrogant, Tatjana überaus aufdringlich. Und wenn doch die tragische Geschichte von Tatjana nicht schon ausreichend genug wäre, so packt der Autor seinem Alexander auch nach eine durch Tod und Verzweiflung geprägte Liebesgeschichte oben drauf. Völlig unnötig. Derlei bekümmert fliegt man über die Schicksalsschläge der Beiden hinweg, die sich wie eine Einkaufsliste aus dem Betroffenheitsmarkt lesen. Mir blieben die Figuren daher zu sehr auf Distanz. Das Buch löste keinen Widerhall in mir aus und wird bald in Vergessenheit geraten. Filipenko hat diese Tendenzen schon in „Der ehemalige Sohn“ gezeigt. Wahrscheinlich ist es einfach nicht die Literatur, die mich anspricht.
Sasha Filipenko schafft mit seinem Roman eine Erinnerung gegen das Vergessen. Zwei Protagonisten, die nichts gemein haben, außer der Einsamkeit und der Trauer des Verlusts. Alexander, allein-erziehend mit einem Baby, zieht in eine neue Wohnung, um von vorn zu beginnen. Dort lernt er direkt seine Nachbarin kennen. Tatjana ist alt und allein und nicht auf den Mund gefallen, sie drängt Alexander ihre Bekanntschaft quasi auf und auch wenn er am Anfang noch genervt ist, ist diese seltsame Freundschaft doch genau das was er braucht. Gemeinsam begeben sie sich ein letztes Mal in das Reich von Tatjanas Erinnerungen. Sie erzählt ihm vom Krieg, vom Lager und von der Hoffnung, die sie nie aufgegeben hat. Während der Roman viel zurückblickt und an die schrecklichen Zeiten im damaligen Russland erinnert, schafft er es doch auch gut die Kurve zur Gegenwart zu kriegen, und nicht nur den Handlungsstrang zu verbinden, sondern auch hier durchaus kritische Aspekte zur Gesellschaft aufzuzeigen. Ein großer Roman auf weniger als 300 Seiten. Doch genau das hat mich ein wenig gestört, die Freundschaft der beiden wird nicht wirklich stark beleuchtet. Die Entwicklung zwischen ihnen geht relativ schnell. Zwar ist sie durchaus nachvollziehbar, hier fand ich aber man hätte einige Stellen, wo Dokumente zitiert wurden kürzen können, um diese besondere Beziehung emotionaler darzustellen. Ansonsten fand ich den Roman sehr gelungen, eine gute Geschichte, ein bewegendes Thema, spannende Protagonisten und wundervoll in Worte gefasst. Hier hätte es jedoch für meinen Geschmack wirklich mal etwas länger gehen können.
Akribisch recherchierter „Wider das Vergessen“-Roman 2020 geht in die Geschichte ein. Soviel steht fest. Das öffentliche und soziale Leben bricht mehr oder weniger zusammen, es gibt auf einmal Millionen Hamster in Menschenform…Und das alles wegen eines kleinen, aber (leider) nachhaltig wirkenden Virus. Wie gut, dass Leseratten die Möglichkeit haben, diesem Wahnsinn ein paar Stunden zu entfliehen – um sich mit dem nächsten Wahnsinn zu befassen. Um so einen geht es nämlich in dem Roman „Rote Kreuze“ des jungen weißrussischen Schriftstellers und Journalisten Sasha Filipenko. Es ist sein erster auf Deutsch übersetzter Roman; vier weitere hat er schon veröffentlicht. Man darf gespannt sein, ob sie auch den Weg zu uns finden. In „Rote Kreuze“ arbeitet Sasha Filipenko ein dunkles Kapitel der sowjetischen Geschichte auf. Es geht um (sowjetische) Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg, die von der eigenen Regierung im wahrsten Sinne des Wortes im Stich gelassen werden „Wenn sich ein Krieger ergibt, dann ist er ein Feigling.“ (S. 72) sowie die ungerechte Behandlung der Familienangehörigen selbiger. Alle diesbezüglichen Schreiben des Internationalen Roten Kreuzes an die sowjetische Regierung bleiben antwort- und entsprechend folgenlos. Sasha Filipenko hat hier akribisch recherchiert und geizt nicht mit dem Abdruck von Originalquellen in seinem Roman. Dem einen gefällt´s, die andere kann mit der Menge an gleichförmigen Schriftstücken nichts anfangen. Das ist okay – jede*r liest mit anderen Prioritäten und Interessen. Als Archivar kann ich indes von Originalquellen nicht genug bekommen – daher habe ich mich auch sehr gut „unterhalten“ gefühlt. Wobei Unterhaltung bei dem Thema recht schwierig ist. Es stellen sich eher Assoziationen wie „Wachrütteln“, „aufmerksam machen“ ein – ergo ist „Rote Kreuze“ ein „Wider das Vergessen“-Roman mit Gänsehautfaktor. Es ist aber auch ein Roman über (falsche) Schuldgefühle über Jahrzehnte hinweg, über das Bewahren von Erinnerungen vor dem eigenen „Vergessen“ (Alzheimer/ Demenz), über den Verlust eines geliebten Menschen durch einen aggressiven Gehirntumor – Sasha Filipenko hat hier auf knapp 300 Seiten ein buntes Potpourri an Themen verarbeitet, was meines Erachtens nach gar nicht notwendig gewesen wäre, aber im Sinne der Dramatik wahrscheinlich unumgänglich war. Nun gut, sei´s drum. Das ist jammern auf höchstem Niveau und schmälert nicht meine Begeisterung für „Rote Kreuze“. Für mich zählt „Rote Kreuze“ von Sasha Filipenko zu den eindrücklichsten Romanen 2020 und bekommt 5* und eine klare Leseempfehlung! ©kingofmusic
Unglaublich gut. Ein schnörkelloser, sehr direkter Sprachstil und eine tragische Geschichte - auch wenn es etwas Dramatik gibt, ist dieses Buch sehr zu empfehlen.
Im belorussischen Minsk begegnen sich Tatjana Alexejewna und Alexander, der als neuer Mieter in ein Wohnhaus zieht. Sie ist über neunzig und hat mit Alzheimer zu kämpfen; er ist dreißig und hat vor kurzem seine Frau verloren. Sie erzählen sich gegenseitig ihre Lebensgeschichte, die jeweils Schicksalsschläge enthält. Das Buch stellt eine gut geschriebene Abrechnung mit der Sowjetnostalgie dar, die in Rußland und Belorus besonders verbreitet ist und von den Machthabern beider Länder gezielt gefördert wird. Die Schilderung ist kurz, ohne an Eindringlichkeit einzubüßen. Sowohl die Paranoia der großen Säuberungen vor dem Krieg als auch die Maßnahmen während des Krieges werden plastisch geschildert und durch bürokratische Zeugnisse in makabrer Weise illustriert. Filipenko beschreibt, wie die Erinnerung, die zu vergehen droht, bewahrt werden kann: Die Neunzigjährige, die mit Alzheimer ringt, erzählt den Jungen ihre Geschichte. Auch kämpft sie für den Erhalt von Kurapaty, dem Massengrab bei Minsk, um das es im Jahr 2001 heftige Konflikte gab. Auf der Suche nach Erklärungen macht sich auch Alexander schließlich auf, um etwas in Erfahrung zu bringen. Mehr auf meinem Blog "Notizhefte": https://notizhefte.com/2020/05/25/lebensgeschichten-ungeheuer-ist-viel/
"Rote Kreuze" ist eine Geschichte gegen das Vergessen. Eine Geschichte über zwei Leben, die miteinander verbunden sind, und eine Geschichte über Schuld, Verlust und Trauma. Die beiden Protagonist*innen Alexander und Tatjana erzählen sich ihre Lebensgeschichten. Tatjanas Erzählungen handeln vom Zweiten Weltkrieg und Stalinismus, Alexanders vom Tod seiner Frau. Alexanders Teil ist meiner Meinung nach deutlich schwächer und weniger ausgearbeitet, aber glücklicherweise steht Tatjanas im Vordergrund. So lässt sich zusammenfassen, dass Sasha Filipenko ein gutes Buch über ein wichtiges Thema geschrieben hat.
Alexander ist mit seiner drei Monate alten Tochter gerade in eine neue Wohnung in Minsk gezogen, als er ein rotes Kreuz auf seiner Wohnungstür findet. Seine Nachbarin Tatjana hat es dort angebracht. Bei ihr wurde Alzheimer diagnostiziert und die roten Kreuze, die sie zweitweise wo anbringt, weisen ihr den Weg nach Hause. Derzeitig ist vorrangig das Kurzzeitgedächtnis von der Alzheimer betroffen; an ihre Vergangenheit erinnert sich Tatjana noch sehr gut und davon berichtet sie Alexander detailgetreu. Tatjana Alexejewnas wurde im Jahr 1910 in London geboren und zog mit 9 Jahren mit ihrem Vater zurück in dessen Heimat Russland. Als sie älter wurde nahm sie dort ihr Studium auf und fand anschließen im Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten eine Arbeitsstelle. Zu der Zeit, als sie dort tätig war, brach der Zweite Weltkrieg, unter Stalins Herrschaft, aus. Ihr Mann war Soldat und wurde an die Front eingezogen. Sie erhielt von ihm zwei Briefe, doch danach hörte sie nichts mehr ihm. Das Schicksal von Tatjana, ihrem Mann und ihrer Tochter sowie von ihren Nachbar Alexander nehmen ihren Lauf. Der Großteil der Geschichte ist die Lebensgeschichte von Tatjana. Wider Erwarten zum Klappentext, nimmt die Geschichte von Alexander weniger Raum in dem Roman ein, was ich persönlich sehr schade finde. Zu Beginn des Buches fand ich etwas schwer in die Geschichte, da „Geschichte“ im Bereich der Weltkriege nicht generell zu meinen Interessen zählt. Trotzdem ist die Erzählung klar und durchgängig und man kann den Erzählungen von Tatjana mühelos folgen. In der Geschichte wird immer wieder klar, welche geheimen Informationen und Dokumente durch Tatjanas Hände gingen und mit welchem „Berg“ an Emotionen sie klar kommen musste, überhaupt als sie den Namen ihres Mannes auf einer Liste wiederfand. Welche das ist, lest in dem Buch. Fazit: Um die Geschichte der Protagonistin, Informationen zum zweiten Weltkrieg, Auszüge aus Originaldokumenten, willkürlichen Verhaftungen und Tötungen erkundet man trotzdem eine Geschichte, die emotional und extrem berührend ist. Es treffen zwei tragische Schicksale, zu Zeiten des Stalin Regimes, aufeinander. Es ist kaum zu fassen, was Menschen Menschen antun können, was sie aushalten müssen und unvorstellbar, wie sie damit umgingen mussten - wenn man bedenkt in was für einer angenehmen Welt wir leben (dürfen). Von meiner Seite eine klare Kauf- und Leseempfehlung! (unbezahlte Rezension, selbst gekauft)
Russische Geschichte? Um ehrlich zu sein habe ich mich kaum damit beschäftigt! Seid ihr geschichtsinteressiert? Oder meidet ihr eher Bücher die auf historischen Fakten basieren?
Selten bin ich mir bei einem Buch mit meiner Meinung so unsicher wie bei diesem. Einerseits ist es ein ganz besonderes Buch, dass ein Schicksal zeigt, von welchem es viele gibt. Die Geschichte der Protagonistin führt Einem Grausamkeit, vor Augen, die einem nicht menschlich erscheinen und ich habe größten Respekt vor der Recherchearbeit des Autoren. Das Buch ist voller Fakten und auch Einblicke in Dokumente bekommt man sehr viele. Teilweise sogar zu viel davon. Der Schreibstil war überragend, dass Buch ist sehr flüssig zu lesen und man merkt gar nicht wie die Seiten an einem vorbeifliegen, weil man so an die Geschichte gefesselt ist. Anfangs, muss ich sagen, war es aber nicht einfach sich an den Stil zu gewöhnen, da ständig zwischen den Perspektiven der beiden Protagonisten gewechselt wird und zusätzlich gibt es noch einen dritten Erzähler, der vergangene Geschichten der Protagonisten erzählt. Leider entspricht die Geschichte nicht wirklich dem, was der Klappentext verspricht. Es wird einem eine Geschichte von zwei ganz unterschiedlichen Freunden versprochen. Doch Alexanders Schicksal wird in der Geschichte nur ganz kurz behandelt, obwohl ich hier gerne mehr erfahren hätte. Auch Gespräche der beiden finden selten statt. Es sind eher sehr lange einzelne Monologe, die sich abwechseln.
Darum geht es: Alexander ist ein junger Mann, dessen Leben brutal entzweigerissen wurde. Tatjana Alexejewna ist über neunzig und immer vergesslicher. Die alte Dame erzählt ihrem neuen Nachbarn ihre Lebensgeschichte, die das ganze russische 20. Jahrhundert mit all seinen Schrecken umspannt. Nach und nach erkennen die beiden ineinander das eigene gebrochene Herz wieder und schließen eine unerwartete Freundschaft, einen Pakt gegen das Vergessen. Es ist eine Geschichte über die Verluste, die jeden Menschen im Leben immer wieder hart treffen. Feinfühlig, aber sehr sachlich wird die Geschichte von Tatjana erzählt, und trifft so den Leser und weckt Fassungslosigkeit und Betroffenheit. Die roten Kreuze ziehen sich als feine Linien durch die Geschichte – erst durch die Vermittlung des Roten Kreuzes und dann durch die mit einem roten Kreuz markierte Tür der Protagonistin. So schmal das Buch ist, so wichtig ist sein Inhalt. Und – nicht nur in der derzeitigen Situation – macht mich wieder fassungslos, wie hilflos man ist im Angesicht einer kleinen Gruppen Menschen, die der Welt einen Stempel aufdrücken möchten und einfach nur alles Leben zerstört. Mich hat dieses Buch tief berührt und ich empfehle es unbedingt weiter! 5 von 5 Sterne
Ein neues Leben in Minsk beginnen - das möchte Alexander mit seiner Tochter. Die roten Kreuze im Treppenhaus fallen ihm sofort auf und kurz darauf trifft er auf seine 91-jährige Nachbarin Tatjana und beide erzählen ihre jeweilige Lebensgeschichte. Am Anfang hat Alexander wenig Geduld und den Kopf voll eigener Sorgen, aber nach und nach möchte er immer mehr erfahren von Tatjana, die während der Stalindiktatur beim Roten Kreuz arbeitete und selbst 10 Jahre im Lager verbrachte. Zwei schmerzvolle Leben, geteiltes Leid und der Umgang mit Verlust von geliebten Menschen erwarten einen. Meinetwegen hätte das Ganze noch 200 Seiten mehr vertragen können. Ansonsten wirken viele Informationen nur leicht anteasernd und kommen nicht Recht zu Tiefe. Empfand "Der ehemalige Sohn" um einiges stärker, der Belarus-Anteil ist in "Rote Kreuze" denkbar gering. Trotz allem ein spannender Autor, von dem hoffentlich noch einiges übersetzt wird. In beiden Büchern gibt's immer wieder kleinere Fußballpassagen. Gibt glaube ich kaum einen Sport, der mich weniger interessiert. Sasha Filipenko wird auch in seiner Autorenvita als "leidenschaftlicher Fußballfan" bezeichnet.